Kultur | Salto Weekend

Can You Ever Forgive Me?

Drei Oscarnominierungen, unter anderem für die Beste Hauptdarstellerin: Melissa McCarthy in einer ernsten Rolle ist ein Ereignis, auf das die Welt gewartet hat.
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Foto: 20th Century Fox

Es ist ein grauer Morgen in New York. Die Sonne traut sich noch nicht recht aus ihrem Versteck, die Nebelschwaden ziehen noch durch die Straßen. Autos und Menschen ruhen gleichermaßen, nur wenige, rastlose Seelen eilen von Häuserblock zu Häuserblock. Eine von ihnen ist Lee Israel, eine Schriftstellerin, die gerade ihren Job verloren hat. Wie sie durch dieses melancholisch angehauchte New York der 90er Jahre schlurft, nach Hause zu ihrer Katze eilt, sie in ihrer ansonsten verlassenen Wohnung auffindet, so glaubt man sich fast in einer alternativen Version von Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ beziehungsweise dem Anfang der gleichnamigen Verfilmung wiederzufinden. Doch anders als Holly Golightly führt Lee Israel kein Leben im Luxus, sie ist vielmehr eine mittellose Autorin, eine von vielen in New York. Ihre Bücher verkaufen sich mehr schlecht als recht, und selbst eine Bestsellerplatzierung macht sie nicht erfolgreicher. Eine Notlösung zur Geldbeschaffung muss her, und die findet Lee in den Archiven, die sie im Verlauf einer Recherche zu ihrem neuesten Werk aufsucht. Sie beginnt, Briefe bekannter, längst verstorbener Persönlichkeiten zu fälschen. Sorgfältig mit verschiedenen Schreibmaschinen geschrieben, mit intimen Details und brisanten Informationen versehen beginnt Lee, die falschen Briefe getarnt als zufällige Fund-oder Erbstücke an Buchhandlungen und Sammler in der ganzen Stadt zu verkaufen. Dabei behilflich ist Lees neuer Freund, ein Drogendealer namens Jack Hock, dem sie ihr Geheimnis anvertraut. Doch kann sie auf sein Stillschweigen pochen? Und was, wenn der Reiz und die Gier nach mehr und mehr Geld irgendwann zu groß wird?

CAN YOU EVER FORGIVE ME? | Official Trailer [HD] | FOX Searchlight, von FoxSearchlight

Liest man diese Zeilen, so fällt es beinahe schwer, sich ausgerechnet Melissa McCarthy in der Rolle der übergewichtigen Schriftstellerin vorzustellen. McCarthy, die in erster Linie für plumpe US-Komödien bekannt ist, zeigt mit diesem Film erstmals, was sie schauspielerisch wirklich kann. Es ist fast so, als hätte Regisseurin Marielle Heller wie eine Goldgräberin das versteckte Potenzial, die geheimen Seiten der McCarthy zu Tage gefördert. Sie hat ihr Schauspielensemble, aber allen voran ihre beiden Hauptdarsteller, der männliche Part wunderbar exzentrisch verkörpert von Richard E. Grant, zu jeder Zeit perfekt unter Kontrolle. Und McCarthy liefert mit ihrer Performance die wohl beeindruckendste ihrer Karriere. Mit viel Gefühl für leise Zwischentöne und großem Respekt für ihre unsicher wirkende, leicht alkoholabhängige Figur nimmt sie Abstand vom lauten Getöse ihrer bisherigen Werke, das Spektakel und all der Lärm findet hier nicht statt. McCarthy verschwindet vollkommen hinter ihrem Charakter, wir sehen nicht länger eine Schauspielerin, sondern einen Menschen, der erst nicht weiß, in welche Richtung sein Leben weiter verlaufen soll, der dann jedoch einen Pfad findet, der wohl nicht der rechte ist, aber einer, der weiterführt. Wenn die Sache schließlich größer wird als sie selbst, wird das weder mit großem Geschrei oder Drama gelöst, sondern ganz subtil. Die Unsicherheit, die Verzagtheit, die Heller ihrer Hauptdarstellerin ins Gesicht legt, dringt tief. Passend dazu ist auch die Inszenierung unauffällig. In ruhigen, entsättigten Bildern wird ein New York gezeigt, welches in einigen Momenten melancholisch, in anderen einfach nur trostlos wirkt. Leere Pubs, Liebhaberbüchereien, Straßenschluchten und chaotische Wohnungen. Die Trostlosigkeit wird auf die Spitze getrieben, wenn zu diesen Bildern romantische Schlager ertönen, die einerseits wiederum an Holly Golightly erinnern, andererseits die Hilflosigkeit dieser kreativen, doch festgefahrenen Person ins Absurde treiben. Lee Israel wird wie zu einem Charakter in ihrem eigenen Roman. Die wahre Schriftstellerin, auf deren Memoiren der Film basiert, hat eben diese Ereignisse, die Wochen und Monate, in denen sie beinahe 400 Briefe gefälscht hat, später als Roman aufgearbeitet. Das Buch wurde ein Erfolg.

Beeindruckend an „Can you ever forgive me“ ist auch, dass er trotz der Thematik, seiner Stimmung und seinen absurden Momenten durchweg unterhaltsam und teils auch spannend ist. Melissa McCarthy wird in der Nacht von Sonntag auf Montag zwar den Oscar nicht gewinnen, zu wünschen wäre es ihr aber auf jeden Fall.