Gesellschaft | Grenzen verschieben

Radiovetter - zwei

Ich hab mich lange bemüht, beim Nicht-Wissen zu verweilen.
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Hallo Radiovetter, da bin ich wieder. Ich muss mit dir reden. Mach ich ziemlich oft, eben Selbstgespräche mit dir. Aus meinem ersten Brief weißt du ja, wie ich dich mir vorstellen will - als den Hüter des Abgrundes, in dem sich wilde und grundlegende Fragen türmen, die du uns ersparen möchtest. Deshalb rede ich gern und ganz offen mit dir.

Du hast dich lange an den Hochaltären des medizinisch-industriellen Komplexes aufgehalten, in den Forschungslabors, dort, wo das pulsierende Herz der Megamaschine schlägt, wo Geld keine Rolle spielt, wo die Besten sich versammeln und „Grenzen nach vorne verschieben“ und wo alle wissen, dass es immer auch und definitiv um das ganz große Geld geht. Versteh mich nicht falsch, ich hab Respekt, vor den Menschen dort. Ich hätte es aber gern, dass sie sehen, dass es auch ein Altar ist, vor dem sie knien und dessen Glaubensbekenntnis sie beten. An diesen Orten, Radiovetter, bist du zu hohen Ehren gekommen und hast vermutlich leider auch diese Haltung mitbekommen, die ich ehrlich gesagt, gar nicht mag. Da schaust du so herab auf die „Mittelmäßigen“, die eben nicht die „Exzellenz“ verkörpern, sondern sich halt in der zweiten Reihe schlecht und recht abmühen und die man vor zu viel Wahrheit verschonen muss. Und natürlich, deine tiefe Gläubigkeit in die Wissenschaft. Reg dich nicht auf, ich respektiere sie schon, aber sie ist eben halt auch nur ein Altar von vielen – zugegebenermaßen ein sehr prächtiger. Mensch, Radiovetter, was meinst du, wenn die Stunde gekommen ist, wenn der Schnitter die Sense gedengelt hat und der Gevatter an die Tür klopft, was wird da sein? Wenn er uns dann so vorfindet, in Unterhosen, maskiert, zehnmal durchgeimpft, mit der App in der Hand  und mit dem Chip unter der Haut, der unsere biologischen Parameter überwacht - und er dann einen Lachkrampf kriegt, der Gevatter und den sauberen Schnitt nicht mehr hinkriegt. Mir wär das extrem und brutal peinlich. Ich würde als alter Mann lieber bella figura machen und mit ihm über das Leben reden, das kleine und das große und sein Geheimnis und das unglaublich Viele, das es ausmacht und wie ich darin herumgestolpert bin. Du verstehst schon, der weitere Blick eben.

Was soll ich dir noch sagen? Ich hab guten Willen gezeigt, Radiovetter, ich hab mich über viele Wochen in dieser Coronazeit  bemüht, mich an dem Platz des Nicht-Wissens aufzuhalten und mir zu sagen, dass ich nicht weiß, ob die Geschichte, so wie sie uns erzählt wird, wahr ist und wieviel nicht erzählt wird und ob diese extremen Entscheidungen richtig sind. Und immer mehr – ich sag’s dir ungern – bin ich ins Zweifeln gekommen. Weißt du, was mich am meisten irritiert? Dass sie uns immer nur absolute Zahlen vorsetzten. Soundso  viele Tote, soundso viele Infizierte usw. Im Studium haben sie uns lange genug mit empirischer Sozialforschung, Statistik, Testtheorie, Testkonstruktion, Signifikanzniveaus, aggregierten Daten usw. traktiert. Der Professor von damals hätte wahrscheinlich gesagt, wer nur mit absoluten Zahlen operiert, der weiß nichts oder will etwas verbergen. So ist mir ein Riecher für solche Sachen geblieben und die Zweifel sind leider gewachsen. Das macht mich gar nicht froh. Und wenn ich jetzt sehe, was der verwirrten und  verängstigten Herde als Ausweg aus dem Pferch angeboten wird - Dauermaskierung, Durchimpfung, digitale Kontrolle und der Notstandsgesetzknüppel immer in Reichweite - dann geht’s mir schlecht.

Ja, Radiovetter, es geht mir schlecht. Und weißt du was? Ich wünsch mir überhaupt ein anderes Gesundheitssystem. Eines, das sich vor allem um unsere Gesundheit kümmert und nicht nur um unsere Krankheiten. Primäre Prävention, stolze Hausärzte mit einem umfassenden Blick, Leute aus vielen Wissensgebieten. Altenheime, die gut aufgestellt sind und Menschen immer auch ein würdiges Sterben ermöglichen. Wie können wir gesund bleiben, wie unser Immunsystem stärken? Was massakriert das Immunsystem jeden Tag? Wie hängen Körper, Umwelt und Seele zusammen und mit dem Woher und Wohin unserer Existenz?  Was ist Gesundheit  und wie sollen wir mit der Tatsache des  letzten Stündleins umgehen? Das mit dem Virus würde da wahrscheinlich auch anders laufen. Zugegeben, die medizinisch-industrielle Megamaschine könnte weniger beschäftigt sein. Das tut mir nicht wirklich leid. Und dir wohl auch nicht, weil du hast viele und  tiefe Einblicke bekommen in den Rachen dieses Tazzlwurms, kennst seine Verführungsmacht und wie er seine Feldherren fürstlich entlohnt. Wenn du das abstreiten willst, dann erzähl ich dir noch eine Geschichte vom Gevatter mit der Sense. Also lass es lieber. Ich mag dich dann auch wieder mehr.

„Grenzen nach vorne verschieben“, das sagst du oft und gerne und ich versteht die Energie, die in diesem Bild liegt. Genau bei diesen Fragen, da könnten wir das wirklich und wahrhaftig tun, Grenzen verschieben. Das würde sich lohnen. Mensch, Radiovetter, wenn du mit deinem scharfen Verstand dabei sein könntest! Es würde nicht nur dir und mir, sondern auch allen andern, dem Sarntal und der ganzen Schöpfung überaus gut tun.

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Erwin Demichiel So., 26.04.2020 - 18:17

Danke für den sehr interessanten Hinweis. Wusste leider, leider nichts von ihm. ‚Er hat sich für zweiteres entschieden‘ – sagen Sie ….

Bezüglich seiner Stellungnahme gegen den Irakkrieg 2003 hab ich mir aus Wikipedia diesen Satz gemerkt: "(Harold Pinter ist der Meinung) die westlichen Medien hätten durch eine Art Hypnose der westlichen Bevölkerung die verbrecherischen Kriege ihrer Regierungen gedeckt. 'Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit…' “ Wie schnell man vergisst. Bestimmte einfache Muster wiederholen sich wohl immer wieder und wir wollen sie nicht wirklich wahrhaben, weil es zutiefst verstörend und bedrohlich ist, wirklich zu sehen, was passiert.

So., 26.04.2020 - 18:17 Permalink
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Karl Gudauner So., 26.04.2020 - 20:08

Bei so vielen nüchternen wie dramatischen Fakten kann ich die da und dort aufflammenden Verschwörungstheorien nicht nachvollziehen. Die Hypothese einer von Markt- oder sonstigen dunklen Mächten gesteuerten Freiheitsberaubung mit dem Vorwand der Coronaviruspandemie ist so abenteuerlich wie gewisse Phantasyfilmserien. Mein Eindruck ist, dass eine ungute Vermengung ganz unterschiedlicher Fakten, gesellschaftlicher Probleme und Wirkungsfaktoren passiert. Es ist so überraschend wie besorgniserregend zu beobachten, wie in einer außerordentlichen aber rational betrachtet überschaubaren Situation emotionale Pulsionen so weit die Befindlichkeit der Menschen prägen, dass Irrationalität sich des Denkens bemächtigt. Wir können nicht erwarten, dass unsere Gesellschaft am konkreten Fall der Coronaviruspandemie in einem epochalen Kraftakt all ihre Ungereimtheiten und Widersprüche auflöst. Die müssen wir schon Schritt für Schritt angehen. Der vorübergehende Standby des Systems ist für viele Anlass, die bereits bestehenden und überaus notwendigen Visionen für eine gesündere, gerechtere, ethisch und ökologisch nachhaltigere Welt ins Spiel zu bringen. Ich hoffe selbst, dass entsprechende Weichenstellungen gelingen. Dafür werden die nächsten zehn Jahre entscheidend sein. Die Coronaviruskrise wird uns dann rückblickend vielleicht als ein Faktor mit vernachlässigbarer Schubwirkung in Erinnerung bleiben.

So., 26.04.2020 - 20:08 Permalink