Politik | Frankreich

Was steht auf dem Spiel?

Emmanuel Macron oder Marine Le Pen: bürgerlich-liberale Weltoffenheit oder nationalpopulistische Abschottung. Am Sonntagabend wird klar, welchen Weg Frankreich gehen will
le pen/macron
Foto: upi
Die Meinungsumfragen sehen den Amtsinhaber Emmanuel Macron seit zwei Wochen stabil in Führung, allerdings mit einer Spannweite von 53 : 47% bis zu 57,5 : 42,5% - nach dem fast dreistündigen TV-Duell vom Mittwoch. Es könnte also knapp werden. Vor fünf Jahren hatte Macron in der Stichwahl Le Pen noch mit 66 zu 34% geschlagen. Spätestens die Wahl Donald Trumps sowie der Brexit haben uns jedoch gelehrt, dass Wahlurnen durchaus von allen als „denkunmöglich“ und „nicht vorstellbar“ gehaltene Ergebnisse hervorbringen können.
Die Fehlermarge liege nur mehr bei 1-1,5% versichern die Umfrage-Institute, unentschlossen seien nur mehr 10% der Befragten, aber ziemlich sicher sei eine – für französische Präsidentschaftswahlen – noch niedrigere Wahlbeteiligung als vor fünf Jahren, nämlich unter 75%.
 

Rechtsruck – Radikalisierung - Implosion der traditionellen Parteien

 
Zum besseren Verständnis der bevorstehenden Wahlentscheidung muss man sich die radikale Veränderung der Polit-Landschaft Frankreichs der letzten Jahre vor Augen führen. Immerhin regierte bis vor fünf Jahren die sozialistische Partei unter Präsident Francois Hollande, der einen gewissen strebsamen 34Jährigen namens Emmanuel Macron zuerst zu seinem Generalsekretär und dann zum Wirtschaftsminister machte. Weil er sich mit seinen Vorschlägen zur Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes nicht durchsetzen konnte, gründete Macron im Herbst 2016 eine Art Basisbewegung „En Marche“ (in Bewegung) und gewann 9 Monate später unter dem Motto „nicht rechts und nicht links“ die Präsidentschaftswahl.
 
 
 
Das war nicht nur der Todesstoß für die ohnehin schwächelnde sozialistische Partei, sondern ebenso für die konservativen „Les Républicains“. Denn der gewiefte Taktiker Macron machte mit Éduard Philippe den erfolgreichen Bürgermeister von Le Havre der „Républicains“, zu seinem Premierminister und betraute weitere Vertreter der Konservativen, der Zentrumspartei „MODEM“ oder Sozialisten mit wichtigen Posten und Ämtern. Resultat: der Spaltpilz und Niedergang beider traditionellen Volksparteien, die einen Francois Mitterrand oder Jacques Chirac als jahrelange Präsidenten hervorgebracht hatten. Vor 12 Tagen kamen „Les Républicains“ noch auf ganze 4,7% der Stimmen, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo für den „Parti Socialiste“ auf 1,7%.
Die Linke und die Grünen sind auf ein halbes Dutzend zerstrittene Splittergruppen verteilt, die im ersten Durchgang allesamt unter der 5-Prozent-Marke blieben. Ein Großteil ihrer Anhänger entschied sich offenbar für den „vote utile“, die nützliche Stimme für den radikalen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. In der Tat verfehlte er mit 22% nur um 1.1% hinter Marine Le Pen den Einzug in die Stichwahl. (Mélenchon gegen Macron - das hätte ja interessant werden können!)
Die extreme Rechte ist hingegen schon jetzt der wirkliche Sieger dieser Wahlen. Marine Le Pen mit ihrem „Rassemblement National“ konnte im Vergleich zu 2017 fast 2% dazu gewinnen und das obwohl sie diesmal mit dem faschistoiden, offen rassistisch-identitären Rivalen Éric Zemmour einen scharfen Konkurrenten hatte. Zemmours Bewegung „Reconquète“ erhielt 7% der Stimmen, eine weitere rechtsradikale Splittergruppe (Dupont-Aignan) 2%. Insgesamt hat die extreme Rechte fast 10% dazu gewonnen und kommt auf 32%.
Was im Fall eines Wahlsieges von Marine Le Pen zu erwarten wäre (Konfrontationskurs mit der EU bis zum Frexit, „Franzosen zuerst“ und plebiszitär-illiberale Demokratur) ist im salto-Artikel vom Mittwoch beschrieben:
 

Der radikal linke Pol – Jean-Luc Mélenchon

 
Der rüstige 70-jährige ex-Senator der Sozialisten hat seit 2008 verschiedene Parteigründungen und heuer den dritten Präsidentschaftswahlkampf hinter sich. Er ist begabter Redner, Volkstribun und provokanter Diskutant mit zugleich etwas altmodisch-staatsmännischem Auftreten.
Politisch fordert er die Abschaffung der „Wahlmonarchie“ und die Rückkehr zu einer „echten Parlaments-Demokratie“ mit Verhältniswahlrecht, mehr direkter Demokratie per Referendum, Wahlrecht ab 16 Jahren und für Migranten bei Lokalwahlen.
 
 
 
Die Verpflichtung zur Energiewende und zum Umweltschutz soll in der Verfassung verankert, der Ausstieg aus der Atomenergie umgehend begonnen werden.  Als scharfer Kritiker neoliberaler Wirtschaft fordert Mélenchon die Rückkehr zur Rente ab 60, einen Mindestlohn von 1400 Euro, die Einführung einer Reichensteuer, eine 32-Stunden-Woche für Schwerarbeiter, eine sechste Urlaubswoche für alle und ein Autonomie-Grundeinkommen von 1063 Euro für Jugendliche…..die Liste ließe sich lange fortsetzen.
 

EU-Skepsis und gegen Hegemonie der USA

 
In der EU sollte Frankreich wann immer nötig das Recht auf opt-out wahrnehmen und die eigenen Wirtschaftsinteressen besser verteidigen. Großzügige Asylpolitik und Regularisierung von Migranten müsse sowohl in Frankreich aber auch von den anderen EU-Ländern endlich verwirklicht werden.
Außenpolitisch hat für Mélenchon der Austritt aus der NATO und eine „Deeskalation“ im Konflikt mit Russland absolute Priorität. Die vom Westen beschlossenen Sanktionen seien wirkungslos, Waffenlieferungen an die Ukraine würden den Krieg nur verlängern, für die Krim (die er für russisch hält) sollte ein neues Referendum unter Kontrolle der UNO stattfinden.
Und weil Jean-Luc Mélenchon weder kleinmütig noch kampfesmüde ist, will er angesichts seines guten Abschneidens vor zwei Wochen bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni den Stimmenerfolg so steigern, dass er das Amt des Premierministers einfordern kann – und zwar egal ob unter Macron oder Le Pen.
 

Und Emmanuel Macron?

 
Eigentlich könnte man glauben, dass man von ihm am besten weiß, was zu erwarten ist, hat er doch 5 Jahre absolut regiert. Ja und Nein.  Nicht umsonst trägt Macron den Spitznamen „Monsieur en mème temps“, was wörtlich übersetzt „zur selben Zeit“ heißt und „sowohl als auch“ meint. Denn ganz im Sinne seiner zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung deklarierten „nicht links und nicht rechts“-Philosophie macht der rührige Präsident gerne einen Schritt nach rechts und „en mème temps“ einen nach links.
 
 
Beispiel Klimapolitik. Da kann Macron stolz die Verdoppelung der Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windräder verkünden, aber „en mème temps“ angesichts des Putin`schen Ukrainekrieges die schon beschlossene Schließung von 12 alten Atomkraftwerken rückgängig machen und „den Bau 6 weiterer Nuklearanlagen der neuen Generation ankündigen. Oder von der EU eine humanere, gerechtere Migrationspolitik fordern und „en mème temps“ striktere Bedingungen bei der Verleihung der Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer ankündigen. Ebenso die vereinfachte Auszahlung der sozialen Mindestsicherung für Jugendliche bis 25 ( RSA) verkünden, aber „en mème temps“ dafür von den Beziehern 15-20 Wochenstunden „Aktivität“ (in Betrieben, im öffentlichen Dienst etc.) zur leichteren Berufseingliederung verlangen.
Dementsprechend zwiespältig fallen die Urteile über die Bilanz der bisherigen Amtszeit aus. Ja, es wurden 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, aber zu einem Gutteil handelt es sich um prekäre, schlecht bezahlte oder Teilzeit-Arbeitsplätze. Wurde in den ersten beiden Jahren viel privatisiert und hatte Macron die großzügigen staatlichen Zuschüsse als „Heroin“ verdammt, so öffnete er während der Pandemie und jetzt zur Abfederung der Teuerung die staatlichen Geldschleusen nach dem Motto „koste es was es wolle“.
Im Fall seiner Wiederwahl wird Macron wohl seine sehr wirtschaftsliberale Reformpolitik fortführen wollen. Allerdings hat der enorme Zulauf zur extremen Rechten sowie zur radikalen Linken Macron schon jetzt zu Kompromissangeboten im sozialen Bereich veranlasst. Und vieles wird davon abhängen, welche Mehrheitsverhältnisse die Parlamentswahlen im Juni bringen.
Verlässliche Kontinuität wäre mit Macron jedenfalls in der Außenpolitik garantiert. Atlantisches Bündnis, eine politisch und militärisch noch stärker geeinte Europäische Union sowie die Fortsetzung der engen deutsch-französischen Freundschaft und Kooperation gehören sozusagen zur DNA Macrons – ohne „en mème temps“ in diesem Fall.
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Dietmar Nußbaumer So., 24.04.2022 - 21:24

Wenn Macron verliert, dann hat er nicht gut gearbeitet oder nicht gut kommuniziert, schlechtestenfalls beides. Bei vielen, die in Europa rechts wählen, muss der Leidensdruck schon recht groß sein. Das ist nicht die "Schuld" der Rechtsparteien (so populistisch diese auch sein mögen), sondern, meine Meinung, das Versagen der Regierungsparteien. Gegen das Volk zu regieren bringt in einer Demokratie keine Mehrheit (und oft genug hat der normale Bürger den Eindruck, dass eigentlich das Geld regiert; Stichwort Rothschild in Frankreich).

So., 24.04.2022 - 21:24 Permalink