Kultur | Ausstellung

Wie Flüsse zur Sprache kommen

Wer beim Namen „FLUX“ an eine abgeschlossene Ausstellung gedacht hätte, ist auf dem Holzweg. Mit dem Zusatz „Fragments, Sammlung I“ lässt der Titel schon weiter blicken.
Claudia Corrent: „Oltrefiume“
Foto: (c) Privat
...wenn man im Lungomare in Bozen dann noch von einem zweijährigen Projekt spricht, das mit einem Open Call verbunden ist, versteht man, dass man hier ergebnisoffen arbeitet.
Es geht um Flüsse, beispielhaft derer drei: Etsch, Talfer und Eisack. Es geht um Geschichte, soziale und ökologische Fragen der Gegenwart und Utopien der Zukunft. Der Raum um die Flüsse ist ein Raum im Fluss, in ständiger Veränderung in welchem teils gegensätzliche Interessen konkurrieren oder koexistieren, der auch keine enge Gruppe von Nutzern kennt. Alt und jung, neue und alteingesessene Bürger der Stadt leben zusammen oder leben aneinander vorbei.
Künstlerische Arbeiten von Claudia Corrent, Ludwig Thalheimer und Susanne Waiz, sowie von Karl Unterfrauner stellen sich der historischen Realität, etwa einer Talfer die uns bis 1970 ein ganz anderes Gesicht zeigte, von der die Stimme des Ingenieurs Michele Lettieri zu berichten weiß. Alte Stadtkarten von Bozen und eine Sammlung von Postkarten und Fotografien tritt in den Dialog mit Claudia Corrents Überlagerungen von Archivmaterial „Oltrefiume“, welche vor ihnen von der Decke gehängt sind und den Blick für Fantastisches bis Mögliches schärfen.
 
 
Im linken Teil der Ausstellung sind Seite an Seite Karl Unterfrauners Fotoarbeit „Neophyten“ (2010) und die gemeinsam von Ludwig Thalheimer (Foto) und Susanne Waitz (Audio) in den vergangenen beiden Jahren zusammengetragene Arbeit „Obdachlos in Bozen / Senzatetto a Bolzano“. Erstere zeigt in diesem Kontext drei stellvertretende Beispiele für eingeschleppte Pflanzenarten, die im Eisacktal entlang der Autobahn, sowie entlang der Talfer heimisch und für das botanisch ungeschulte Auge als Eindringlinge unsichtbar geworden sind. Sie werden mit nüchtern-sachlichem Blick, aber nicht ohne Auge für gelungene Bildkomposition dokumentiert. Die andere Künstlerkonstellation thematisiert soziale Unsichtbarkeit, die uns zugleich näher ist, zu welcher wir allerdings auch künstliche Distanz aufbauen. Im aufliegenden Fotobuch, welches beim Durchblättern auch mit Zoom-Out Bildern der Stadt in ihrer Gesamtheit, Farbe und Schwarz-Weiß alterniert, wie auch in den als Dialog arrangierten Gesprächen mit Menschen, die beruflich mit Obdachlosigkeit zu tun haben. Zwischen den beiden Werkgruppen entsteht ein ambivalenter Spannungsbogen, zwischen durch den Raster der Gesellschaft fallen und das in ein ökologisches System einfallen, oder eingeschleppt werden.
Das erste von mehreren Projekten im öffentlichen Raum ist für den 10. Juni, zwischen 21 Uhr und Mitternacht entlang der Bozner Flussufer angesetzt. Die Künstlerinnen Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer werden mit acht Stadtbewohner:innen die Performance „Semiotics of the River“ umsetzen, welche versucht, einen Raum der gerade für marginalisierte Gruppen mit Angst vor Übergriffen verbunden ist, zu transformieren und zu einem Ort des Empowerments umzugestalten.