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"Wie ein Tier im Käfig“

Hannes Obermair verlässt das Bozner Stadtarchiv. Nicht nur, weil er neue Herausforderungen sucht.
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Foto: RAI Südtirol

Die Grünen Landtagsabgeordneten und allen voran der Historiker unter ihnen starteten am Mittwoch einen Rettungsversuch: „Die Gemeinde Bozen sollte sich bewusst sein, dass sie sich den Abgang einer solchen Persönlichkeit, die bei beiden großen Sprachgruppen anerkannt ist, grundsätzlich nicht leisten kann“, heißt es in einer Aussendung von Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo dello Sbarba. „Es sollten alle Versuche unternommen werden, Hannes Obermair doch noch umzustimmen und ihn dazu zu bewegen, seine verantwortliche und grundnotwendige Position in Bozen weiterhin wahrzunehmen.“

Hintergrund dieses Vorstoßes? Der Abgang des Leiters des Stadtarchivs Bozen oder „Gedächtnis-Assessor“, wie Hans Heiss seinen Historikerkollegen mit Augenzwinkern benennt. Seit 2002 ist Hannes Obermair - nach fast zehnjähriger Tätigkeit im Südtiroler Landesarchiv - im Stadtarchiv Bozen zu Hause, das er seit 2009 auch leitete. Spätestens seit der Umgestaltung des Siegesdenkmals wurde der Mittelalterexperte und Editor auch über Fachkreise hinaus zu einer bekannten öffentlichen Figur, der in den heißen öffentlichen Historisierungs-Debatten nicht mit prononcierten Stellungnahmen geizte.„Ja, ich habe gekündigt“, bestätigt Obermair gegenüber salto.bz. Mehr will er dazu am Mittwoch vorerst nicht sagen – nachdem er in der Tageszeitung Alto Adige unter dem Stichwort „Terremoto in Comune“ bereits für breite Irritation in Bozens Gemeindestuben gesorgt haben dürfte. „Ich fühle mich wie ein Tier im Käfig, ich fühle mich wie in Fesseln“, wird er dort in einem Artikel von Paolo Campostrini zitiert. Dass sein disagio vor allem mit der Direktorin der Abteilung für Kultur Anna Vittorio zusammenhängt, die nach einem langen Rechtstreit mit der Gemeinde seit April seine direkte Vorgesetze ist, kommentiert der Historiker mit dem Hannah-Arendt-Zitat, das im Mittelpunkt seiner letzten großen Arbeit als Leiter des Stadtarchivs, der Historisierung des Piffrader-Reliefs steht: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“ Viel mehr lässt sich der scheidende Leiter des Stadtarchivs zumindest nicht vor übernächster Woche entlocken, wie er gegenüber salto.bz erklärt. „Das sind heikle Dinge, die am besten unter den direkt Betroffenen geklärt werden“, meint er dazu im Alto Adige.

"Niemand hat das Recht zu gehorchen"

Für Kulturassessor Sandro Repetto scheinen aber auch solche Andeutungen auszureichen, um am Mittwoch umgehend mit einer Gegendarstellung an die Öffentlichkeit zu gehen. „Das Stadtarchiv hat immer ausreichend Gestaltungsfreiheit genossen“, kommentiert er Obermairs Aussagen. „Ich habe weder Kenntnis von irgendeiner Art von Zensur oder sonstiger Einschränkung von Seiten der Ämter“. Vor allem die Verwendung des Hanna-Arendt-Zitats scheint dem Assessor sauer aufzustoßen: Dieses sei in einem völlig anderen Zusammenhang entstanden. „Und es ist offensiv, es nun für eine öffentliche Verwaltung innerhalb eines demokratischen Systems und ihre Regeln zu gebrauchen, die ein Doktor Obermair wie jeder andere Gemeindebedienstete zu respektieren hat“,  kontert Sandro Repetto in der „mit dem Bürgermeister abgesprochenen Stellungnahme“.

Ob Renzo Caramaschi Obermair nun dennoch beknien wird, seine Entscheidung zu überdenken? „Obermair ist ein Genie und ein Rassepferd“, antwortete Bozens Bürgermeister dem Alto Adige auf diese Frage. „Doch manchmal beißen solche Rassenpferde ihr Halfter und haben Schwierigkeiten in der Startbox von Rennen zu warten“.  Uneingeschränkt wertschätzend fällt dagegen die Beschreibung Obermairs durch die Grünen aus. „Sein qualifiziertes und entschiedenes Eintreten für eine öffentliche Erinnerungskultur in Bozen haben zu einer grundlegenden Wende zum Besseren beigetragen“, würdigen ihn Hans Heiss und seine LandtagskollegInnen. Als „wichtiger Mitträger und Ideator der Umgestaltung des Siegesdenkmals zur Gedenkstätte, als Vordenker und Promotor einer europäischen Erinnerungskultur in Bozen“ habe der Leiter des Stadtarchivs herausragendes öffentliches Engagement bewiesen. „Dabei hat er sich mit großer Zivilcourage und strategischem Gespür auf die Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Politik eingelassen und meldet sich unerschrocken in öffentlichen Debatten zu Wort“, so die Grünen.

Nach Abschluss der Arbeiten zum Piffrader-Relief, die Obermair nach eigenen Aussagen noch fertig begleiten will, wird er dies zumindest nicht mehr in seiner aktuellen Funktion machen. Wohin es ihn dann weitertreibt, ist nicht bekannt. „Aber es ist in jedem Fall immer gut, neue Erfahrungen zu suchen“, ist alles, was der Leiter des Stadtarchivs dazu sagt. 

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luigi spagnolli Mi., 23.08.2017 - 14:13

Hannes Obermair hat wesentlich dazu beigetragen, daß Bozen heute, einziger Ort in Südtirol, in Italien und wahrscheinlich auch auf einer breiteren Ebene, die Geschichte der Zeit zwischen 1918 und 1945 mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der persönlichen, ethnischen und kulturellen Sichtpunkte darstellen konnte. Er hat sich mit Körper und Seele für ein neues, ab Bozen startenden, innovativen Zusammenleben in Südtirol eingesetzt. Danke Hannes.

Mi., 23.08.2017 - 14:13 Permalink
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Martin B. Do., 24.08.2017 - 02:15

Ich schätze die schwierige Aufarbeitung der mittelalterlichen Zeiträume (Regesten, Urkunden Bozen, usw.) durch Hannes Obermair.

Do., 24.08.2017 - 02:15 Permalink