Gesellschaft | Mystische Orte

Weiß- und Schwarzhorn

Weiß- und Schwarzhorn ragen aus der weiten Hochebene zwischen Aldein, dem Fassa- und dem Eggental herausragen und sind schon von weitem als unzertrennliches Bergpaar am Horizont auszumachen.
Weisshorn Schwarzhorn
Foto: Martin Ruepp

 

Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 7

 

Die Bergspitzen von Weiß- und Schwarzhorn  blicken wie zwei Landschaftsgöttinnen von ihrer dominanten Lage weit ins Land. Ihre spitzen Berggestalten ergänzen sich wie zwei Seiten einer Medaille und bilden trotz aller Gegensätze eine unzertrennliche Einheit. Betrachtet man dieses ungleiche Geschwisterpaar, lässt sich begreifen, dass hell und dunkel nicht nur zusammengehören, sondern sich sogar bedingen, und dass das Eine ohne das Andere nicht existieren würde.

Nicht nur in ihrer Erscheinung, auch in ihrer Ausstrahlung fühlen sich beide Berge unterschiedlich an: Da ist das Weißhorn tatsächlich der lichte, helle Berg, an dem man Transparenz und Leichtigkeit erfährt, wo sich der Raum öffnet und es fast so scheint, als könne man dem tanzenden Spiel ewig junger Lichtteilchen zusehen. Das Schwarzhorn hingegen trägt eine tiefe erdende und spannungsgeladene Kraft in sich, es ist ein Ort, an dem man aktiv die Welt gestalten und verändern will, ein Ort der Transformation und, als dessen elementarster Ausdruck, ein Ort des Feuers.

Direkt im Sattel zwischen Weiß- und Schwarzhorn, unweit des Hotels Jochgrimm, fand man die Reste eines steinzeitlichen Lagers. Dabei wurden über fünfzig Silexgeräte und unzählige Feuersteinsplitter geborgen, die in ihrer Machart der Mittelsteinzeit zugeordnet werden konnten. Solche Wohnplätze wurden auch am nahen Lavazèsee sowie am Reiterjoch gefunden und weisen die Orte als beliebte Lager- und Jagdgebiete für die Menschen aus der Mittelsteinzeit aus. Wollten sie Ausschau halten, waren die beiden Bergspitzen dafür optimal – sie waren leicht zu besteigen und boten einen unvergleichlichen Überblick über nahe sowie entfernte Gebiete. Auf diese Weise dürften die Wildbeuter auch Informationen über den Verbleib anderer Sippen erhalten haben und vielleicht sogar mit ihnen durch Feuer oder Rauch kommuniziert haben. Vor allem aber konnten sie von dieser Höhe aus das vorbeistreifende Wild gut beobachten.

 

Am Jochgrimm, das beide Berge voneinander trennt, lag vor x000 Jahren ein Lagerplatz der steinzeitlichen Jäger und Sammler

Das 2.439 Meter hohe Schwarzhorn ist ein sehr kraftvoller Berg, der sich in der Ausstrahlung deutlich von anderen Bergen unterscheidet. Nicht nur seine dunkle Erscheinung, die im krassen Gegensatz zum hellen Weißhorn steht, auch seine starke Energie, die man sogleich beim Begehen verspürt, vermittelt Tiefe und Massigkeit. Es ein Ort, der eher mit der Erde und dem Feuer der Unterwelt in Verbindung steht als mit den luftigen und lichten Wesenszügen des Himmels und des Lichts, und ein Ort, an dem man unbändige Kräfte tanken und neue Ideen schöpfen kann. Diese unverkennbare Ausdruckskraft teilt das Schwarzhorn mit vielen anderen Berggipfeln, an denen sich einst Brandopferplätze befanden.

Auf der Nordseite der Gipfelfläche befindet sich ein ausgedehntes geheimnisvolles Steintrümmerfeld, aus dessen Steinen einst irgendwann große Haufen aufgeschichtet und fragil wirkende Rundtürme errichtet wurden. Wann, lässt sich nicht mehr bestimmen. Auch die langgezogenen Gräben und runden Mulden am Rand der Gipfelfläche lassen sich nicht eindeutig zuordnen, nur so viel lässt sich sagen, dass sie zweifelsfrei künstlich ausgehoben wurden. Der italienische Name Monte oder Cima di Rocca, Festungsberg, vergleichbar mit der deutschen Bezeichnung Burgstall, machte in den 1950er Jahren die Urgeschichtsforscher_innen hellhörig. Tatsächlich fanden sie auf der Kuppe vorgeschichtliche Mauerführungen und dunkle Erde, die mit Keramik durchsetzt war. Erst einige Jahre zuvor hatte man die ersten prähistorischen Höhenfunde am Schlern gemacht – so war das Wissen um die vorgeschichtliche Präsenz der Menschen auf den Berggipfeln bereits etabliert und man rechnete mit weiteren Funden in großer Höhe.

 

Steintrümmer am Schwarzhorn und viele kalzinierten Knochen und Keramikscheben am Boden sprechen von einer bewegten Vergangenheit mit Kultcharakter.

Vom 2.317 hohen Weißhorn sind bis dato keine prähistorischen Spuren bekannt, obwohl es sich um einen sehr charismatischen Berg handelt, der sicherlich auch schon in der Vorzeit große Aufmerksamkeit erweckte und zweifellos von den damaligen Menschen aufgesucht wurde. Von hier aus hat man eine gute Sichtverbindung zum namensverwandten Wallfahrtsort Maria Weißenstein, und  alles ist hier hell und leicht, es ist ein fröhlicher Ort, an dem man sich gerne und auch über einen längeren Zeitraum aufhält. In den warmen Sommermonaten ist es ein beliebtes Ausflugsziel – Sonnenaufgänge als auch -untergänge sind von hier aus zu betrachten, ein besonders beeindruckendes Schauspiel.