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Hämatli & Patriae

Ob patria, lieu d’origine, homeland, watan oder yurt: "Heimat" kennt keine Übersetzung.
Hämatli & Patriae
Foto: Foto: Salto.bz

Eindeutig und plakativ verdeutlicht dies auch eine Installation in der aktuellen Ausstellung im Museion in Bozen: Überdimensionale Plakate mit Wikipedia Artikeln über Vaterland, Patria und Heimat nehmen den Raum ein. Einer der Artikel sticht besonders hervor; länger als alle anderen, zieht er sich von der Decke bis zum Boden, wo sich das Papier weiter aufrollt und das Lesen unmöglich macht. Es ist der deutsche Artikel zum Thema Heimat.

Heimat – der Ort wo man zuhause ist? So einfach ist das nicht. Wie jeder Begriff, ist auch jener der Heimat wandelbar und wird immer wieder gerne ideologisch neu konnotiert: Heimat – ein Gefühl zwischen Zugehörigkeit, Geborgenheit und Melancholie; Heimat – die Verbindung zur unberührten, friedlichen Natur; aber auch: Heimat – das WIR, das uns von den ANDEREN unterscheidet.

Und es ist genau dieser Punkt, die Identitätsstiftende Rolle der Heimat, der das vielschichtige Konzept in die Definierungsecke treibt; Heimat durch geteilten Boden, Sprache, Kultur oder sogar Blut: Heimat als Ausgrenzungsmechanismus.

In der Ausstellung Hämatli & Patriae im Museion setzt sich der Kurator Nicolò Degiorgis mit eben diesen Mechanismen auseinander und ergänzt sich durch Dialoge zum Thema des Vaterlandes und der Nation.

Zentral im Raum, Rücken an Rücken mit den Wikipedia Definitonen, ein Schiff: Das riesige Foto zeigt den kubanische Frachter Vlora, der 1991 an der albanischen Küste von 20.000 Menschen gestürmt wurde. Die Menschen zwangen den Kapitän Kurs auf Italien zu nehmen, um den schweren Krisen auf dem Balkan zu entfliehen. Dieser erste große Exodus nach Italien hebt sich über einen großen Teil der Ausstellung: Physisch und metaphorisch immer im Hintergrund, wirft er den Schatten der Aktualität auf alle anderen Werke.  

Immer wieder finden sich Werke die, abseits von Heimat und Vaterland, einen lokalen Bezug herstellen: Eine Untersuchung von islamischen Gemeinden in Norditalien und eine in Südtiroler Schulen entstandene Mappe zum Schulfach Heimatkunde von Degiorgis, Ötzis Fußabdrücke im Asphalt von Hans Winkler und bewegsame Dolomiten-Collagen von Marcello Maloberti. Unterhaltsam auch ein Projekt des Kurators selbst; And if the horizon were not a border?, zeigt unzählige Postkarten, die Besucher des Plessi-Museums am Brenner eingeladen haben, die Frage zu beantworten.

Rätselhaft und anfangs unerklärlich ist das häufige Auftauchen von Tieren in der Ausstellung: ein Video das die faszinierende Arbeit der Blattschneiderameisen dokumentiert, die Spuren die ein eingesperrter Schmetterling hinterlassen hat, glückliche Hühner, Wirtschaftsschweine, das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn und viele mehr.

Mit dabei sind auch echte, ausgestopfte Tiere: Ein an Calder erinnerndes Mobile des schwedischen Künstlers Henrik Hakansson ziegt einen Schwarm ausgestopfter Stare. Die Vögel werden in der Nähe von Flughäfen massenweise getötet, um Störungen des Flugverkehrs zu vermeisen. Die perfekt konservierte und mit Blattgold überzogene Schildkröte, die schon allein aus naturwissenschaftlichem Interesse einen Besuch im Museum verdient, stammt von Laetitia Badaut Haussmann, einer der wenigen in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen.

Eine der ausdrucksstärksten Arbeiten ist die Videoarbeit Homo Homini Lupus von Filippo Berta. Sie zeigt drei Wölfe, die sich in der Wildnis um eine italienische Flagge reißen; drei das Italienische Gründungssymbol repräsentierende Parteien, sie sich um (oder für) Nationalität und Staat bekämpfen? Da klingeln einige Glocken; Interpretation erwünscht.

Die Tiere stellen weit mehr als nur einen Dialog zur Natur her; Der Grund für die stark präsente Tiersymbolik wird dem Besucher jedoch erst am Ende der Ausstellung enthüllt.

Das faszinierende an der Ausstellung ist die Ausdrucksstärke und Klarheit der Werke: eine Wohltat für all jene die das Gefühl des Unverständnisses bei Museumsbesuchen leid sind. Die Werke sprechen eine klare Sprache, jedes für sich, aber vor allem auch in Verbindung zueinander.

So entstehen unterschiedliche Dichotome, wie Ost und West, Mensch und Tier, Natur und Kultur; Auch die sozialpolitische Aktualität, die als verbindendes Glied zwischen Werken fungiert, ist Teil eines Dichotomes. Denn der Titel, Hämatli – der germanische Ausdruck für Heimat und Patriae – das lateinische Wort für Vaterland, bringt einen historischen Aspekt mit sich und deutet bereits auf das letzte und eigentlich zentrale Werk der Ausstellung hin: das Urmotiv der Arche Noah: Sowohl die Begriffe als auch die Konzepte der beiden Worte sind alt, genauso wie auch der Exodus, das Verlassen und Wiederfindens einer Heimat.