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Foto: hintner
Gesellschaft | Beggars Banquet

Zur Rose

Hier wird nach wie vor die Maxime gelebt, dass ein Essen nichts weiter als sehr gut schmecken soll und dass ein Rezept keine Partitur ist.

Im Zeitalter ihrer medialen Omnipräsenz werden Chefköche im klassischen Printmedium gern auch als Soziopathen dargestellt. Wollen wir Anthony Bourdain Glauben schenken – und wir glauben ihm so manches – sind es arrogante, allzu trinkfreudige Tea-Party-Sympathisanten mit der verfeinerten Urbanität eines Homer Simpson und einem Ego irgendwo zwischen Jose Mourinho und Axl Rose; Heinz Winkler, der mit seiner dreifach besternten „Residenz“ in Aschau die immer schon recht unbescheidenen Ansprüche des Südtiroler Köcheverbandes lange Zeit gewissermaßen extra moenia legitimieren sollte, wirkte in seinen eher unglücklichen TV-Auftritten manchmal gar, als sei er nur noch ein „Avada Kedavra“ von der Verwandlung zu Lord Voldemort entfernt.

Ich weiß nicht, wie das bei Herbert Hintner früher war, als die Michelin-Sterne in Südtirol ebenso rar gesät waren wie angeblich jene am politischen Firmament (ersteres hat sich ja geändert), und als Köche, die nicht nur Knödel und Carbonara auf der Speisekarte führten, unabhängig von ihrem Alter automatisch und unweigerlich als „Junge Wilde“ bezeichnet wurden. Heute jedenfalls empfängt er seine Gäste in der „Rose“ so, als wolle er diese Klischees ganz allein widerlegen – lieber als seine Kreationen kommentiert er politische Themen (vorzugsweise am späteren Abend), auch das Philosophische hat es ihm angetan, und wenn wir schon Fußballtrainer als Referenz nehmen wollen, wäre wohl eher Carlo Ancelotti angebracht.

Aber darum soll es hier nicht gehen.

Von den beiden Grüßen aus der Küche war der erste („Variation von der roten Beete“) eine für seinen Stil eher atypische Kombination von Aromen und Texturen, der zweite – eine Art offener Fagottino mit roter Beete, dazu Fonduta – war bemerkenswert. Nur selten hinterlässt ein Amuse-Gueule einen wirklich bleibenden Eindruck, noch seltener evoziert es Emotionen: Hier ist beides der Fall. Es ist eines jener Gerichte, die in ihrer Einfachheit so selbstverständlich und fast schon unwiderstehlich stringent wirken wie ein Touchdown-Pass von Tom Brady oder wie manche Riffs von Keith Richards – nun ja, fast so.

"Lieber als seine Kreationen kommentiert er politische Themen, auch das Philosophische hat es ihm angetan, und wenn wir schon Fußballtrainer als Referenz nehmen wollen, wäre wohl eher Carlo Ancelotti angebracht."
 

Als erster Gang wurde „Kalbsbries – Kartoffel–Petersilienschaum- Hallimaschen“ serviert. Das Bries schmeckt ausgezeichnet und die quasi bissfest gegarten Pilze passen natürlich wunderbar zur doch eher opulenten Textur des Fleisches; der Kartoffel-Petersilienschaum, der das Gericht chromatisch abrunden und um eine zusätzliche Konsistenz erweitern soll, überzeugt mich dagegen nicht ganz – ich bin allerdings auch kein Anhänger des aktuell doch sehr dominanten Dogmas, wonach auch in einem mehrgängigen Menu jeder Gang ein möglichst breites Spektrum an Konsistenzen und Grundgeschmacksrichtungen abbilden soll.

 

Der zweite „Starter“ (die Karte gibt sich international) waren die „Tortelloni mit Kalbsbrust und schwarzem Trüffel“- ebenfalls sehr gut. Für die Tortelloni wird nicht der „klassische“ Teig verwendet (also die üblichen 10 Eier pro Kg Mehl), sondern die Variante, in der ausschließlich das Eigelb verarbeitet wird - sehr viele Eigelbe und in Verbindung mit dem Kalbfleisch auch sehr viel süffiger Umami-Geschmack. Die weißen Trüffeln, die der Kanon in diesem Kontext wohl vorsähe, vermisst man gar nicht.

 

Als „Main Course“ wählte ich „Bernsteinfisch – Tomatenschnitzel - Kapern“. Die Optik erinnert etwas an eine eher umstrittene Tendenz in der deutschen Drei-Sterne-Gastronomie (Tupfer, Cremen, „Straßen“ und dergleichen mehr), aber der Fisch ist perfekt gegart, glasig und „blättrig“, und die Beilagen sind stimmig.
 


Am Nebentisch saß überraschenderweise der Chefredakteur von salto.bz, der ja gemeinhin eher der Robespierre- als der Roquefort-Fraktion zugerechnet wird (in seinem Selbstverständnis ist er beides, also wohl so etwas wie ein Südtiroler Danton); er widmete sich einem Hauptgang von geradezu reaktionärer Opulenz - Taubenbrust, Foie gras, Steinpilze und Quitten - mit bourgeoiser Entrückung. Zu seiner Verteidigung: Es schmeckte wirklich hervorragend.

 

Mein Dessert (Schokoladen-Millefeuille) war konzeptuell recht orthodox und handwerklich einwandfrei.

Vor der Nouvelle Cuisine waren ja Köche – unabhängig von ihrem Anspruch und auch von ihrer „Kreativität“ - eigentlich nur bestrebt, möglichst gut zu kochen; zumindest in Europa und auf Drei-Sterne-Niveau gilt das bekanntlich nicht mehr uneingeschränkt. Ein Essen etwa bei Bottura oder bei Pierre Gagnaire hat inzwischen durchaus auch eine intellektuelle Dimension, und die spanische und skandinavische Avantgarde haben die Koch“kunst“ um ein System von Konnotationen und Metaebenen erweitert, das nicht für jeden Geschmack auch eine Bereicherung darstellt. Davon ist in der „Rose“ nichts zu spüren; hier wird nach wie vor die Maxime gelebt , dass ein Essen nichts weiter als sehr gut schmecken soll (das hat es auch) – und dass ein Rezept keine Partitur ist.

„Es ist eines jener Gerichte, die in ihrer Einfachheit so selbstverständlich und fast schon unwiderstehlich stringent wirken wie ein Touchdown-Pass von Tom Brady oder wie manche Riffs von Keith Richards.“

Die Weinkarte ist nicht zu stark Südtirol-zentriert und bietet vergleichsweise faire Aufschläge, die Beratung ist engagiert und kompetent. Der Service könnte vielleicht etwas mehr zu den einzelnen Speisen sagen, ist aber ansonsten aufmerksam, freundlich und professionell.

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F. T. So., 23.10.2016 - 00:50

Wunderbar, endlich haben wir auch auf salto einen weltgewandten "Zuagroasten" der uns Südtirolern die Küche der Sterne, und jetzt Hauben, Köche erklärt. Das hat schon lange gefehlt.
Das ganze haben wir schon zum xt-en Mal in den unzähligen Führern gelesen, aber diesmal ist
es mit netten Bildern unterfüttert. Grandios, und einmalig im Internet. Dem Herrn würde ich raten einmal (ohne Restaurantführer) auf der Suche nach der echten Küche des Landes zu gehen. Vielleicht findet er auch ein unbekannes gutes Lokal, mit einem Koch der nicht schon überall aus
den Gazetten schaut. Das wär eine Neuheit. Den Rest kann er sich sparen. Schnee von gestern.

So., 23.10.2016 - 00:50 Permalink