Politik | Landraub

"Es fehlt das Kataster“

Michele Vollaro arbeitet als Reporter beim Magazin ‚Africa e Affari’ und der Presseagentur ‚InfoAfrica’ in Rom und hat den Landraub zu seinem Schwerpunkt gemacht.
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Foto: Michele Vollaro

Ist Landraub in den Ländern des Globalen Südens ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit – oder was ist das für ein Phänomen?

Michele Vollaro: Der Begriff ‚Landraub’ oder ‚Landgrabbing’ ist nach der Ernährungskrise in den Medien erstmals aufgetaucht, die 2007 in den weniger entwickelten Ländern ausgebrochen war. Aber das Phänomen ist alt, nur sprach man früher von Großgrundbesitzern und Latifundien.

Was steckt hinter diesem neuen Ansatz, dass sich Investoren Grundstücke in einem schlecht entwickelten Land zueigen machen?

Es gibt verschiedene Anlässe. Einer ist wohl, dass globalisierte Lebensmittelkonzerne Strategien entwickeln, die weit in die Zukunft reichen. Sie wissen, was in Afrika die meisten Regierungen noch nicht im Blick haben, nämlich dass sich die Bevölkerung Afrikas in den nächsten 30 Jahren verdoppeln wird. Für die Multis ist das ein Geschäft, das sie sich nicht unvorbereitet entgehen lassen wollen: Sie bauen jetzt dem Profit für morgen vor. Dafür brauchen sie Grund und Boden.

Warum sehen das die Regierungen nicht?

Viele haben ihren Blick nicht so weit in die Zukunft gerichtet, sondern sind mit der Lösung der aktuellen Probleme befasst.

Wer raubt sonst noch Ländereien?

Es gibt andere Staaten, die zur Ernährungssicherheit ihrer Bevölkerung auf Böden in anderen Ländern zurückgreifen. In Asien sind das etwa Malaysia und Südkorea, oder die arabischen Länder, die irgendwo in Afrika Felder bebauen und die Ernten exportieren. Südkorea hat 2008 in Madagaskar eine Mio Hektar dank einer Konzession der Regierung in Besitz genommen. Dabei ist die Insel nur 5,8 Mio Hektar groß, d.h. ein Achtel der Landesfläche nutzt Südkorea für den Anbau von Reis für seine Bevölkerung.

Geht es immer um Nahrungsmittel?

Keineswegs. Es gibt Investoren, die im Grunde ein gutes Ziel verfolgen, aber mit ihren Plänen auch fehlschlagen, etwa mit dem Anbau von Pflanzen, die fossile Brennstoffe ersetzen sollen. Dafür wurden riesige Flächen bepflanzt, zum Beispiel mit Palmen zur Gewinnung von Palmöl. Wichtige Ressourcen gehen in solche Plantagen, aber die Rechnung geht den Investoren nicht auf. Also statt einer win-win-Situation ist das ein Verlust für alle. Oder die großen Felder an Sonnenkollektoren, um Energie zu gewinnen. Das erinnert schon an die Zeiten im Kolonialismus, als Kautschuk, Kaffee und Kakaobohnen von den und für die westlichen Länder produziert wurde.

Wir im Westen bedienen uns an den Erträgen im Süden…

… ja, auch als Touristen. Viele Ressorts, in denen Europäer ihren Urlaub verbringen, wurden auf geraubtem Land gebaut. Da sind nicht immer nur große Investoren im Spiel, sondern auch kleinere Unternehmen. Einige Jahrzehnte sind diese nach Osteuropa expandiert, heute investieren sie irgendwo in einem afrikanischen Land.

Schaffen solche Initiativen zumindest Arbeitsplätze?

In der Regel nicht oder kaum. Landwirtschaftliche Großprojekte setzen auf intensiven Anbau, der wenig Arbeitskraft braucht. Anderen fehlen die qualifizierten Arbeitskräfte, sodass die Bewohner des Landes durch die Finger schauen. Oder sogar wegziehen müssen.

Um für den Investor Platz zu machen?

Genau. Denn es gibt zahlreiche Beispiele, wo Investoren an strategisch günstigen Lagen interessiert sind. Die sind aber häufig besiedelt. Durch den Vertrag mit der Regierung kaufen sie sich das Recht auf das Land. Die Bewohner müssen weggehen, ziehen in die Städte und leben dort in Slums. Und wir hier in Europa wundern uns, warum es Migration gibt.

Einem Land sein Land und dessen Ertrag wegzunehmen, ist ein Angriff auf das Grundsätzlichste, was eine Bevölkerung erfahren kann. Wo liegt das Problem?

Der große Fehler ist, dass fast allen afrikanischen Staaten ein institutionelles Recht fehlt, das das Gewohnheitsrecht der einheimischen Gemeinschaften berücksichtigt und den Grundbesitz in einem Katasterregister festhält. Viele Staaten haben noch nicht mal ein Melderegister. Wer wo lebt, ist in Folge ebenso wenig erfasst wie das Ausmaß und der Wert von Grundstücken.

Wem gehört der Boden?

Wo es kein Kataster gibt, gehört alles dem Staat, aber ohne Kataster kann der Staat diesen Wert nicht bemessen – und seinen Besitz auch nicht schützen. In einigen Ländern gehört der Boden auch den Regionalbezirken. Immerhin haben einige Staaten damit begonnen, ihre Bürger zu registrieren. In den Städten ist das etwas einfacher, aber in ländlichen Gebieten, die meilenweit entfernt liegen und noch nicht erschlossen sind, ist das nur schwer möglich und es geht daher nur langsam voran.

Hierzulande geht die Führung eines Katasters auf Kaiserin Maria Theresia zurück. Wie kann es sein, dass die afrikanischen Staaten das nicht haben?

Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich um sehr junge Staaten handelt, die erst nach 1960 entstanden sind. Der Aufbau einer Demokratie bedeutet sehr viel Arbeit und es gibt viele Dinge, die Vorrang haben. Es geht darum, Prioritäten zu setzen: Für die Alphabetisierung müssen Schulen errichtet werden, Verbindungsstraßen müssen erst gebaut werden, vielen Haushalten fehlt noch Elektrizität – die jungen Staaten befinden sich immer noch im Aufbau.

Sind einige Staaten weiter entwickelt?

Einige Staaten haben damit begonnen, diese institutionellen Rechte einzurichten: Ghana und Senegal zum Beispiel. Kenia hat diese institutionellen Rechte kürzlich in seiner Verfassung verankert. Malawi ist aktuell dabei, alle Neugeborenen zu registrieren. Und in Südafrika, wo 2019 gewählt wird, wird die Landreform im Wahlkampf aktuell heftig diskutiert.

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Martin Daniel Sa., 25.11.2017 - 11:20

"Durch den Vertrag mit der Regierung kaufen sie sich das Recht auf das Land" -> Inwiefern spielen korrupte Regierungen, die die Bevölkerung zugunsten der Konzerne enteignen, eine Rolle?

Sa., 25.11.2017 - 11:20 Permalink