Umwelt | Klimapolitik

Everyday for greenwashing hat ausgedient

Um das Klima und unseren Planeten zu retten, bedarf es radikaler Klimaschutzmaßnahmen sowie einer sozial gerechten Verteilung dieser.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Das Schicksal der Welt liegt in unseren Händen
Foto: © Adobe Stock Images

 

Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI), spricht über die Auswirkungen der Klimawende auf Gesellschaft und Arbeitnehmerschaft. Was sich in Zukunft ändern muss und wie es überhaupt so weit kommen konnte, erklärt der Volkswirt im Interview. 

 

salto.bz: Herr Perini, von welchem Wirtschaftsmodell wird unser tägliches Leben bestimmt?

Perini: Wir sind noch sehr stark vom Wirtschaftsdenken der Nachkriegszeit geprägt. Dieses Wachstumsmodell hat uns viel materiellen Wohlstand gebracht, die Märkte haben sich internationalisiert, der Welthandel ist exponentiell angestiegen. Seit den 80er-Jahren werden aber auch die Schwächen dieses Modells deutlich. Sie äußern sich in einer Zunahme der wirtschaftlichen Ungleichheiten und in der aktuellen Klimakrise. Die Belastungsfähigkeit der Natur ist ausgereizt. Dieses Modell hat einerseits zwar „Wohlstand für die meisten“ gebracht, wir wissen aber auch genau: So kann es nicht weitergehen.

salto.bz: Wenn wir schon wissen, dass wir etwas ändern müssen, warum tun wir das dann nicht?

Perini: Wir leben im Endeffekt alle in einer Komfortzone, aus der wir nicht ausbrechen wollen. In Südtirol kann sich heute jeder Fabrikarbeiter einen Urlaub in der Karibik leisten, und auch das Auto nutzen wir gerne – es vermittelt uns ein Freiheitsgefühl. Ist die Hose kaputt, kauft man sich im nächsten Laden einfach eine neue. Wir sind zu einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft geworden und wollen diese Komfortzone eigentlich gar nicht verlassen.

Wir leben im Endeffekt alle in einer Komfortzone, aus der wir nicht ausbrechen wollen.

salto.bz: Was hat uns vom Pfad der Nachhaltigkeit abgebracht? Gibt es konkrete Gründe dafür?

Perini: Ja, allerdings. Ich nenne sie immer die drei Dimensionen der „Nicht-Nachhaltigkeit“. Zum einen gibt es die wirtschaftliche Dimension: Sie rührt im Wesentlichen daher, dass die aktuellen Marktpreise nicht die Kostenwahrheit abbilden. Die politische Dimension rührt von der Verschärfung der sozialen Ungleichheit und birgt das Risiko der Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft in sich. Und auch aus sozialer Sicht ist dieses Modell nicht nachhaltig, weil mit Reagan und Thatcher Mitte der 80er-Jahren der Individualismus richtungsweisend wurde, will heißen: Das Gemeinwohl ist dem Einzelinteresse gewichen. Die eigentliche große Frage ist deshalb: Wie schaffen wir eine Klimawende, die nicht nur umweltbewusst, sondern auch sozial gerecht ausfällt?

salto.bz: Wie ist man überhaupt in diese Situation hineingeschlittert?

Perini: Um auf diese Frage zu antworten, müssen wir auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Das große Ziel war, Europa wiederaufzubauen. Es entstanden staatsübergreifende Zusammenarbeiten und gemeinschaftliche Organisationen wie die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 oder die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957. Den Fokus bildete dabei stets das wirtschaftliche Wachstum. Später setzte sich Europa den Binnenmarkt zum Ziel – Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen sollten frei zirkulieren können. Schließlich, eine Wirtschafts- und Währungsunion. Die EU-Politik hat aber auch dazu geführt, dass wir in Südtirol die Butter aus Deutschland kaufen und unsere wieder nach Deutschland liefern. Es sind extrem große Waren- und Transportströme entstanden, die eigentlich total sinnlos sind. Wie gesagt: Heute sind die Prioritäten in Europa andere.

Es sind extrem große Waren- und Transportströme entstanden, die eigentlich total sinnlos sind.

salto.bz: Nehmen wir zwei bereits genannte Themen unter die Lupe: die Komfortzone und den Welthandel. Für viele Menschen ist es zur Gewohnheit geworden, sich Kleidung nach Hause liefern zu lassen. Ist der Onlinehandel eines der größten Probleme, die es zu lösen gilt?

Perini: Der technologische Wandel und die internationale Vernetzung lassen sich nicht aufhalten. Wir müssen also lernen, mit den beiden Phänomenen umzugehen. Die Corona-Pandemie hat den Trend der Onlinebestellung noch einmal verstärkt. Damit verbunden sind aber auch wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme.

salto.bz: Das müssen Sie jetzt genauer erläutern.

Perini: Beginnen wir mit einem sozialen Problem: Die Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer ist durch den Onlinehandel abhandengekommen. Aus wirtschaftlicher Sicht fließt Kaufkraft ab. Dazu ein konkretes Beispiel: Kaufen wir eine Tasche nicht im Lederwarengeschäft vor Ort, sondern über das Internet, wird dem lokalen Wirtschaftskreislauf Kaufkraft entzogen. Erschwerend kommt hinzu, dass gewisse Plattformen wie z. B. Amazon nicht in jenem Land ihre Steuern bezahlen, in dem sie ihren Umsatz generiert haben. Diese kommen alle in einen einzigen Topf – Konzernbilanz genannt –, und besteuert wird dann in irgendeiner Steueroase. Betrachten wir den ökologischen Aspekt, dann ist hinreichend belegt, dass aufgrund der ganzen Paketlieferungen enorme Warenflüsse entstehen. Die Art und Weise, wie die Logistik abgewickelt wird, ist sicher nicht ökologisch. Wenn wir lokal einkaufen, vermeiden wir die genannten Probleme.

salto.bz: Was sind konkrete Auswirkungen der Klimakrise auf die Arbeitnehmerschaft?

Perini: Gerade aktuell und unmittelbar: auf deren Brieftasche. In den letzten Monaten kam es zu einem starken Preisanstieg bei den Rohstoffen und Halbfertigwaren. Der Endverbraucher hat dies in erster Linie an der Zapfsäule und an den Energie- und Stromrechnungen gemerkt. Die Löhne bleiben aber weitgehend unverändert. Steigende Preise einerseits und gleichbleibender Lohn andererseits bedeuten eine geringere Kaufkraft und somit einen Wohlstandsverlust. Nimmt der Kaufkraftabfluss aus Südtirol durch die erwähnten Gründe zu, sind auch lokale Arbeitsplätze in Gefahr.

Nimmt der Kaufkraftabfluss aus Südtirol durch die erwähnten Gründe zu, sind auch lokale Arbeitsplätze in Gefahr.

salto.bz: Wir schreiben das Jahr 2028. Das Wirtschaftssystem entfernt sich immer mehr vom Nachhaltigkeitspfad. Sie sind auserwählt worden, die ersten drei Schritte in eine neue Zukunft zu planen. Welche wären das?

Perini: Als erstes würde ich eine CO2-basierte Schwerverkehrsabgabe und eine LKW-Maut einführen. Damit würden sich Produkte mit großem ökologischem Fußabdruck automatisch verteuern und regionale Kreisläufe sich automatisch schließen. Parallel würde ich mich dafür stark machen, dass die Exportförderungen europaweit gestrichen werden, weil diese ebenfalls den Transport von Produkten über die halbe Weltkugel begünstigen.

Zum Zweiten würde ich in Südtirol den Zugang zu öffentlichen Aufträgen auf jene Unternehmen beschränken, welche die Kollektivverträge auf Gebietsebene einhalten. Es ist nämlich so, dass viele Zuschläge an provinzfremde Firmen gehen, weil sie stark unterbieten und dabei die eigenen Arbeiter ausbeuten. Lohn- und Sozialdumping muss unterbunden werden!

Als dritten Punkt würde ich Anreize schaffen, die zum Kauf langlebiger Güter animieren. Man muss weg von der Wegwerfgesellschaft! Eine Erhöhung der Fabrikationssteuer auf neu hergestellte Produkte würde den Erwerb eines neuen Produkts teurer machen und die Hersteller dazu bewegen, wieder mehr auf die Langlebigkeit des Produkts zu achten. 

Ein echtes "Everyday for future" bedarf einer gewissen Radikalität – das derzeitige "Everyday for greenwashing" funktioniert nicht mehr.