Gesellschaft | salto Gespräch

“Warum tue ich das?”

Renate Mumelter begleitet schwangere Flüchtlingsfrauen. Sie ist eine von unzähligen Freiwilligen im Land, ohne die es in unserer Gesellschaft um einiges dunkler wäre.
Renate Mumelter
Foto: Lorenz Zenleser

Seit Juli dieses Jahres ist Renate Mumelter im Ruhestand. Zuletzt arbeitete die gebürtige Bozner Journalistin, Kulturredakteurin und Filmkritikerin im Presseamt der Gemeinde Bozen. Nach ihrer Pensionierung hat sie entschieden, sich als Freiwillige zu engagieren. Über die Herausforderungen und Schattenseiten, Resignation, Schwierigkeiten und Lichtblicke einer Tätigkeit, die nicht selbstverständlich ist. Aber ohne die es in unserer Gesellschaft um einiges dunkler wäre.

salto.bz: Frau Mumelter, wie sind Sie zur offiziellen Bezeichnung als Freiwillige gekommen?
Renate Mumelter: Durch Zufall. Und zwar aufgrund einer Recherche, die ich über die Kleiderkammer vom Vinzenzverein und den Umsonst-Laden in Bozen gemacht habe. Dadurch bin ich zufällig auf eine neu gegründete Gruppe der Caritas gestoßen, die sich mit schwangeren Flüchtlingsfrauen beschäftigt. So hat sich das eine aus dem anderen ergeben. Seitdem bin ich “offiziell” Freiwillige. Volontariat, etwa im Kulturbereich habe ich schon früher gemacht. Aber im Grunde ist das dasselbe. Denn Freiwilligenarbeit beinhaltet ja nicht nur Sozialarbeit, sondern bietet viele Möglichkeiten. Jemand kann zum Beispiel sagen, ich habe eine Stunde in der Woche Zeit und bringe Süßigkeiten in irgendein Heim. Jemand anderes kann sagen, ich bin bereit, einen Sprachkurs zu halten oder im Altersheim einmal in der Woche mit jemandem spazieren zu gehen.

Manche Menschen besinnen sich gerade jetzt in der Weihnachtszeit auf ihre soziale Ader und fühlen sich vielleicht irgendwie verpflichtet, etwas für Menschen zu tun, deren Lebensumstände nicht so rosig sind wie die eigenen. Wie stehen Sie zu dieser weihnachtlichen Wohltätigkeit?
Ich sehe das so: Wenn jemand in der Weihnachtszeit auf die Idee kommt, nicht nur im nächsten Einkaufszentrum oder auf dem nächsten Christkindlmarkt einkaufen zu gehen, sondern auch eine Spende zu geben, finde ich das absolut ok, auch wenn es nur eine einmalige Sache sein sollte.

Das hört sich nach einem Aber an?
Es gibt natürlich in der Weihnachtszeit auch die Tendenz, dass man gerade zu diesem Anlass halt selbst einmal etwas tun will – überwältigt von der weihnachtlichen Stimmung und gefördert durch die unterschiedlichsten Werbespots im Fernsehen mit Familie, zu Hause und so weiter. Das hat mit Weihnachten herzlich wenig zu tun. Freiwilligenarbeit muss etwas Kontinuierliches sein, wo man aber natürlich auch wieder aussteigen kann. Freiwilligenarbeit bedeutet nicht, dass ich das ganze Jahr werdende Mütter betreuen muss. Das würde ich auch gar nicht schaffen und ist auch nicht meine Aufgabe.

Als Freiwilliger muss man sehr selbst selbstreflektiert sein und sich selbst fragen, warum tue ich das – ist das für mich Familienersatz oder will ich etwas Gutes tun, weil die Welt so schlecht ist?

Wieviel Ihrer Zeit stiften Sie für Ihre freiwillige Tätigkeit?
In meinem Fall ist es schwieriger als bei anderen freiwilligen Tätigkeiten, sich die Zeit selbst einzuteilen. Denn es geht um schwangere Frauen, und da kommandiert die Natur und nicht der Stundenplan. Im Moment ist es zum Beispiel eher intensiv.

Freiwilligenarbeit wird nicht bezahlt und passiert oft dort, wo niemand hinschaut. Was ist Ihre Erfahrung, werden diese Tätigkeiten nicht genug wahrgenommen beziehungsweise anerkannt?
Die Erfahrung, die ich derzeit mache, ist folgende: Wenn ich jemandem erzähle, dass ich als Freiwillige arbeite, sagen alle “toll”. Man bekommt sehr viel Anerkennung auf privater Ebene. Wobei man aufpassen muss, wie man damit umgeht. Durch die Anerkennung kann man sich natürlich sehr aufbauen, aber eben auch auf eine ungute Art… Problematisch ist momentan aber auch ganz etwas anders.

Nämlich?
In bestimmten, delikateren Bereichen fehlt häufig eine Begleitung für die Freiwilligen.

In welcher Hinsicht?
Als Freiwilliger muss man sich ja auch darüber Gedanken machen, wieso tue ich das, was will ich damit erreichen, was kann ich eventuell auch falsch machen und wo kann ich mehr schaden als nutzen? Zum Teil findet man sich ja in sehr heiklen Bereichen wieder. Und gerade da habe ich den Eindruck, dass es von institutioneller Seite eigentlich gar nichts gibt.

Einiges an Engagement hat es auch dieses Jahr im Bereich der Flüchtlingshilfe gegeben. Ist das einer dieser “heiklen Bereiche”, von denen Sie sprechen?
Momentan ist es sehr in Mode, im Flüchtlingsbereich zu arbeiten – was absolut notwendig, wichtig und absolut ehrenhaft ist. Gleichzeitig ist das ein total sensibler Bereich, ja. Erstens hat man es zu 90 Prozent mit traumatisierten Menschen zu tun. Andererseits kann es schnell passieren, dass man Schaden anrichtet. Zum Beispiel wenn man nicht die richtigen Informationen weitergibt oder Hoffnungen weckt, wo keine Hoffnungen zu wecken sind.

Hier fehlt es an Angeboten von institutioneller Seite?
Ich glaube schon, ja. Es gibt keine Kommunikation zwischen der öffentlichen Hand, den Vereinigungen und der Freiwilligen. Ich bin der Meinung, dass sich die öffentliche Hand beziehungsweise von der öffentlichen Hand beauftragte Einrichtungen da unbedingt etwas überlegen müssen, und auch versuchen, die Freiwilligen zu koordinieren.

Es mangelt an Kommunikation, sagen Sie. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ganz konkret: Ich gehöre eigentlich zu jenen Leuten, die auch aufgrund ihres Berufes gelernt haben, sich in der Gesellschaft zu bewegen. Sprich, ich weiß, wen ich anrufen kann, um etwas in Erfahrung zu bringen. In dem Bereich, in dem ich jetzt arbeite, merke ich aber, dass ich immer wieder an meine Grenzen stoße, weil ich nicht an Informationen komme, die für die von mir betreute Person wichtig sind. Hier tue ich mich im Moment am schwersten. Nicht etwa die Betreuung der Person oder die Person selber bereitet mir Schwierigkeiten, obwohl es klarerweise auch dort eine Menge Probleme, sprachlicher, kultureller Art – ich könnte sie reihenweise aufzählen – gibt. Am schwierigsten ist das Gefühl, sich da alleine durchkämpfen zu müssen.

Ich höre von vielen Freiwilligen, dass sie sich irgendwann wieder aus dieser Tätigkeit zurückziehen weil sie merken, sie schaffen es nicht mehr.

Sie sprechen von Freiwilligen, die sich für Organisationen wie die Caritas für Flüchtlinge engagieren und damit überfordert sind?
Nicht nur. Es gibt ja auch noch Volontarius oder Freiwillige aus der Zivilgesellschaft wie jene von Binario1 oder Bozen Accoglie. Es ist gut, dass es viele verschiedene Zusammenschlüsse gibt. Aber egal mit wem man redet, ob es die Leute von Volontarius, der Caritas oder sonst welche sind, man hört immer wieder, dass es keine strukturierten Angebote für die Freiwilligen gibt. Hier, so glaube ich, wäre eigentlich die öffentliche Hand zuständig.

Von institutioneller Seite, etwa in der Person von Landesrätin Martha Stocker, wurde immer wieder betont, dass man sich zumindest in die “freiwillige Freiwilligenarbeit” wie jene von Binario1 nicht einmischen will. In der Art, “solange jemand anderes da ist, brauche ich mich nicht darum kümmern”.
Man kann das auch umgekehrt formulieren. Ich gebe jetzt nicht meine Worte wieder, sondern die Aussage anderer Freiwilliger – die ich allerdings teilen kann –, die sagen: Wir leisten hier eine wichtige Arbeit für die Gesellschaft und die Gesellschaft stünde ganz schön blöd da, wenn es diese wichtige Arbeit nicht geben würde. Gerade die Integration, das Einbinden in die Gesellschaft, das Sich-Eingebunden-Fühlen läuft vielfach über Freiwillige. Egal, ob es psychisch Kranke sind, Flüchtlinge oder alte Leute mit Demenz. Und wenn das alles wegfällt, dann fallen ganz wichtige Sachen weg. Ich kann ein konkretes Beispiel machen.

Ja?
Es gibt zwei Frauen, mit denen ich im Moment in engerem Kontakt bin und deren Geschichten im Detail den Institutionen nicht bekannt sind. Auch die betreuenden Vereinigungen, ganz konkret Volontarius & Co., wissen ganz viel von diesen Personen nicht.

Warum nicht?
Weil sie ganz einfach die Zeit dafür nicht haben. Es wird geschaut, dass diese Menschen etwas zum Essen haben und eventuell eine Windel für das Kind bekommen – aber auch das nicht immer –, doch mehr weiß man nicht. Die Geschichte der Person, warum sie hierher gekommen ist, ob sie lesen und schreiben kann oder nicht, ob sie die Landessprache – im Normalfall Italienisch – kann oder nicht, all das ist den zuständigen Vereinigungen nicht bekannt. Deshalb sind es oft die Freiwilligen, die dann Maßnahmen treffen und sich zum Beispiel darum kümmern, dass die Menschen einen Alphabetisierungskurs machen.

Wünschen Sie sich, dass die Freiwilligen, was den Umgang mit der Flüchtlingsfrage im Land betrifft, mehr angehört werden?
Ich kann verstehen, dass man sich als öffentliche Hand beziehungsweise als mit der Betreuung beauftragte Vereinigung von den Freiwilligen nicht alles durcheinander bringen lassen kann. Dafür habe ich schon Verständnis. Schließlich hat jeder der Freiwilligen seine eigene Motivationen so wie es unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen gibt, von denen nicht alle reflektiert sind. Insofern verstehe ich, dass man hier Regeln festlegen muss. Aber dieses absolute Nicht-Einbinden schafft eine große Menge an Problemen.

Fühlen Sie sich als Freiwillige ausgenutzt?
Nein, das nicht. Was ich im Moment fühle ist Verärgerung und ich sage mir eher, also vom Gefühl her, das tue ich nicht noch einmal.

Ihren Ärger haben Sie letzthin auch auf Facebook kund getan. Sie haben sich empört über Amtsdirektor Luca Critelli geäußert…
Das hat mich an jenem Tag und in jener konkreten Situation brutal geärgert. Vorweg: Ich bin der Meinung, dass ein Beamter keine politischen Aussagen zu machen hat. Das war der Grundkritikpunkt. Er kann Zahlen und Fakten liefern, aber hat dann den Mund zu halten. Aus besagtem Artikel, in dem Critelli zitiert wurde, ist durchgeklungen, dass die Freiwilligen eigentlich nur Schaden anrichten. Das war eine Nicht-Wertschätzung der Freiwilligen. Und das finde ich beleidigend.

Hat es auf Ihren Facebook-Post Reaktionen gegeben?
Im Netz hat es viele Reaktionen gegeben, ja. Von ziemlich Menschen, die meine Meinung teilen. Es hat auch gar einige gegeben, die es begrüßt hätten wenn ich noch deftigere Sachen gesagt hätte. Aber das ist nicht meine Absicht.

Was möchten Sie dann erreichen?
Ich möchte, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Weil ich glaube, dass man sie zum Besseren ändern kann.

Ich glaube, wenn jemand Freiwilligenarbeit macht, in welcher Form auch immer, hat etwas mit Persönlichkeitsstruktur und Charakter zu tun.

Einerseits sieht man, dass Freiwilligenarbeit in vielen Fällen aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus passiert, weil die Institutionen gewisse Lücken nicht füllen. Andererseits werden diese Missstände zum Anlass für politische Instrumentalisierung genommen. Beispiel CasaPound, die Lebensmittel für bedürftige Familien – italienische wohlgemerkt – sammelt. Lässt sich eine solche Instrumentalisierung vermeiden?
Es gibt offensichtlich Lücken im System, wobei ich nicht weiß, ob man die jemals füllen kann. Zu CasaPound: Es gibt noch schlimmere Varianten. Ich habe letzthin gehört, dass es so eine Art Kirchen gibt, die sich zwar Kirchen nennen, aber sektiererische Züge haben. Ich weiß, dass das in Meran der Fall sein soll und jetzt habe ich auch in Bozen davon gehört. Die versuchen, sich auch in den Bereich, in dem ich tätig bin, einzuklinken.

Mit welcher Absicht?
Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso. Normalerweise sind Sekten unterwegs, weil sie Geld haben wollen – und bei den Flüchtlingen ist ja definitiv kein Geld zu holen. Aber es gibt natürlich solche Grenzbereiche, wo ein Vakuum da ist und wo sich Akteure zwischen CasaPound und irgendwelchen Kirchen, die keine Kirchen sind, einbringen. Doch wahrscheinlich gibt es dieses Risiko immer. Denn wenn man das zu Ende denkt, dann müsste in letzter Konsequenz das Volontariat ganz verboten werden.

Als Freiwillige generell, aber auch speziell in der Arbeit mit Flüchtlingen, begegnet man auch schweren Schicksalen und harten Geschichten. Wie schafft man es, sich abzugrenzen, um sich selbst nicht allzu sehr zu belasten?
Das ist ganz gefährlich – abgesehen von den strukturellen Gegebenheiten, von denen ich vorher gesprochen habe. Genauso wichtig wie verbesserte Informationsflüsse zwischen öffentlicher Hand, Vereinigungen und Freiwilligen wäre es, die Freiwilligen zu begleiten oder zumindest darauf hinzuweisen, dass es Grenzsituationen gibt, die mitunter sehr schnell entstehen können. Man hat ja schließlich mit Menschen zu tun. Hier muss man sehr selbstreflektiert sein und sich ständig vor Augen halten, dass man Distanz zu wahren hat. Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil es zum Teil Geschichten sind, die einen so nahe gehen, dass man davon träumt. Es ist nicht so, dass dich das, was am Tag passiert ist, nicht auch nachts begleitet und dir nicht auch einmal eine fast schlaflose Nacht bereitet.

Sie sagen, es wäre wichtig, den Freiwilligen in diesem Fall zur Seite zu stehen. Gibt es auch hier keine Angebote in Südtirol?
Es bräuchte zwischendurch Begleitung oder die Möglichkeit, sich an jemanden wenden zu können, eine Art Supervision, damit man auch erkennt, wenn es einem zu viel wird. Da gibt es gar nichts. Meines Wissens ist das in anderen europäischen Ländern anders organisiert: Dort gibt es für die Freiwilligenarbeit durchaus Supervisionsmodelle.

Wie schaffen Sie es, auf Distanz zu dem, was Sie täglich erleben, zu gehen? Schaffen Sie das überhaupt?
(Lacht) Das ist die Frage… Eine Sache ist, dass ich inzwischen 62 Jahre alt bin und einiges an Lebenserfahrung habe. Es ist nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich in Situationen wieder finde, wo ich anderen vorübergehend helfe und daher weiß, wie sich Dinge entwickeln. Ich habe inzwischen gelernt, dass ich auf mich aufpassen muss. Trotzdem ist es schwierig. Du brauchst ein Umfeld, das mit dem, was du machst, einverstanden ist, jemandem, der das in einer bestimmten Form mitträgt. Es ist aber schwierig… Und ich bin nicht die Einzige, die das sagt.

Man muss sich bewusst sein, dass die Person, die man begleitet, nur ein Stück des Weges begleitet. Danach ist diese Person vermutlich wieder irgendwo anders, weil sie ja ihr eigenes Leben hat.

Warum machen Sie es dann?
Manchmal denke ich mir, es wäre leichter, wenn ich drei Windjacken in die Kleiderkammer tragen oder 200 Euro an die Caritas spenden würde. Was ich alles ok finde und es würde mir nichts abverlangen. In dem Moment, wo ich mich bereit erkläre, mich auf Menschen einzulassen, ändert sich das. In dem Bereich, wo ich mich engagiere, muss man sich sehr stark auf die Menschen, also Frauen, einlassen. Es sind zum Teil Menschen, die sonst niemanden haben, wie es gerade im Flüchtlingsbereich häufig vorkommt. Man wird dann für eine bestimmte Zeit zur Bezugsperson. Wir sind eine ganze Gruppe von Frauen, die diese Frauen betreuen und ich sehe, dass das die anderen Frauen auch sehr beschäftigt.

Reden Sie mit ihnen darüber?
Es ist manchmal schwierig, die Zeit zu finden, sich zu treffen. Es sind Frauen dabei, die berufstätig sind oder kleine Kinder haben und man wird dann vor die Wahl gestellt. Was Freiwilligenarbeit vor allem verlangt, ist Zeit. Und die Zeitressourcen sind in unserer Gesellschaft ja relativ eingeschränkt.

Bei all den Widrigkeiten und dem Vielen, das Freiwillige von sich hergeben, gibt es sicher auch Positives zu berichten. Ansonsten würden Sie diese Arbeit wahrscheinlich nicht machen?
Ja, auf jeden Fall, es gibt auch tolle Erfahrungen. Jene, die ich mit den betreuten Personen, die ich betreue, habe, sind absolut positiv. Die zwei Frauen sind äußerst respektvoll, haben wunderbare Umgangsformen. Obwohl es zwei Frauen sind, die aus Nigeria kommen und weder lesen noch schreiben können und obwohl es sprachliche Probleme gibt. Sie sind absolut pünktlich und verlässlich, und bedanken sich jedes Mal, auch für Kleinigkeiten.

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Hartwig Heine So., 25.12.2016 - 17:26

Eine herzliche Umarmung für Renate Mumelter! Ihrem Interview merkt man an, dass sie nicht nur viel guten Willen mitbringt, sondern gleichzeitig den Willen zur Reflexion und zur Selbstkontrolle. Auch nach meiner Erfahrung ist beides notwendig, denn natürlich gehört zur Motivation des Helfenden der Wunsch nach Anerkennung und oft ein Schuss Narzissmus. Beides ist vollkommen in Ordnung, wenn es dem Helfenden bewusst ist und er es unter Kontrolle hält.
Als sich 2015 in Deutschland Hunderttausende freiwilliger Helfer meldeten, um bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu helfen, stellte sich ihnen sehr schnell das gleiche Problem, das Frau Mumelter beschreibt: Für dieses Engagement gab es keine Strukturen. Die mussten sich die Ehrenamtlichen meist selbst schaffen, ebenso wie das Minimum an Professionalität, das dafür erforderlich ist. Ein Beispiel sind die Sprachkurse, die im Umkreis jeder Flüchtlingsunterkunft zunächst wie Pilze aus der Erde schossen, oft ohne jede Methodik und hilflos der Fluktuation ausgeliefert, die sich durchsetzt, wenn man nicht von Anfang an bewusst gegensteuert. Die Masse an gutem Willen, die da verschlissen wurde, kann einem im Rückblick schon in der Seele weh tun.
An welche Institutionen kann man sich anlehnen, wenn man nicht das Rad völlig neu erfinden will? Der Staat bietet da auch in Deutschland wenig. Die Betreiber-Organisationen der Flüchtlingsunterkünfte sahen in den Ehrenamtlichen oft nur mangelnde Professionalität, Unzuverlässigkeit und manchmal auch Konkurrenz. Eine etwas andere Erfahrung machten wir mit den Kirchen - und damit meine ich nicht die Sekten, die neue Anhänger rekrutieren wollen, sondern die sog. "großen" Kirchen, also die protestantische oder die katholische. Ich bin wahrhaftig kein "Kirchenmensch", aber sie haben Räume, ein landesweites Netzwerk und im Zweifelsfall auch Leute, die sie für die nötige organisatorische Arbeit freistellen können. Und wenn ihr Glaube nicht darin besteht, dass man das Abendland gegen den Einfall der Unchristen verteidigen muss, sondern dass praktiziertes Christentum darin besteht, bei den Ärmsten und Letzten zu sein, kann man mit ihnen durchaus gut zusammenarbeiten.
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So., 25.12.2016 - 17:26 Permalink