Kultur | Salto Weekend

„Ich wollte das stinknormale Leben“

Oliver Kofler dokumentiert in der Foto-Reportage „Orderly Confusion“ das alltägliche Leben in Japan. Die analogen Fotos sind zurzeit in Meran ausgestellt. Ein Gespräch.
Orderly Confusion
Foto: Oliver Kofler

Das Projekt HANAMI (10.12.2021-14.01.2022) bietet diverse Veranstaltungen in Meran und Bozen an, um Japan näher kennenzulernen. Im Kulturzentrum Trevi in Bozen sind Fotos von Fosco Maraini ausgestellt, ein Fotograf und Bergsteiger, der in den Jahren von 1930 bis 1980, Japan fotografisch dokumentierte.

Ein Pendant bietet das Projekt „Orderly Confusion“ von Oliver Kofler. Seine analogen Fotos sind in der Sprachenmediathek in Meran ausgestellt. salto.bz hat den 30-Jährigen zu einem Interview getroffen. Im Gespräch gibt Kofler Einblicke in seine japanische Abenteuer und erzählt von jenen Werten, die SüdtirolerInnen von JapanerInnen übernehmen können.

salto.bz.: Herr Kofler, wie ist dein Japan-Projekt entstanden? Zuerst die Reise, dann das Projekt oder umgekehrt?

Oliver Kofler: 2018 hatte ich meine erste große Ausstellung in der Galerie “Lasecondaluna” geplant und wollte zu diesem Anlass ein tolles Projekt auf die Beine stellen. Im März-April 2019 bin ich dann nach Japan gereist und habe dort die Fotos für die Ausstellung gemacht. Da die verschiedenen Corona-Wellen immer wieder die Eröffnung hinausgezögert hatten, fand jene erste Ausstellung heuer im März, in Zusammenarbeit mit der Organisation „Lasecondaluna“, statt. Sie arbeiten auch mit dem Kulturzentrum Trevi zusammen und haben dann beschlossen, dass meine Bilder auch beim Hanami-Projekt ausgestellt werden.
 


Bist du mit bestimmten Erwartungen deine Japan-Reise angetreten?

Nein. Grundsätzlich versuche ich mir immer wenig bis gar nichts zu erwarten, dass ich nicht enttäuscht werden kann. Ich versuche mich einfach in das Abenteuer zu stürzen und alles auf mich zukommen zu lassen. Ich habe mir nicht vorgenommen, bestimmte Festivals oder Zeremonie zu besuchen. Ich wollte einfach das stinknormale Leben dort dokumentieren. Ein Motiv aber hatte ich schon im Kopf: Ich wollte unbedingt Menschen mit Mundmaske fotografieren. Ich dachte mir immer, wir hier sind so frei, leben so unbeschwert. Und jetzt laufen wir selbst alle mit Maske herum. (lacht)

Hast du dich fotografisch auf die Reise vorbereitet?

Ich habe viele Filme und einige Kameras mitgenommen, weil ich mittlerweile weiß, dass bei alten Kameras immer etwas schiefgehen kann. Das ist dann auch passiert. Eine Kamera ist mir tatsächlich kaputt geworden. Da ich aber die Fotos noch retten wollte, habe ich mich in ein Klo eingesperrt und versucht - so gut wie’s eben ging - den Raum zu verdunkeln. Trotzdem hat ein Lichtstrahl die Filmrolle getroffen und jene Fotos haben einen hellen Streifen. Das sieht aber gar nicht mal so schlecht aus.

Du fotografierst analog. Was ist das Besondere daran?

Das analoge Fotografieren ist ein Handwerk. Digitale Fotos kann heute jeder mit seinem Handy schießen und mithilfe von fotoshop die Fehler retuschieren. Aus 1.000 gemachten Fotos werden dann die besten 10 ausgesucht. Beim analogen Fotografieren schieße ich ein Foto von einer Szene. Und wenn ich es dann in der Dunkelkammer falsch entwickle, ist alles weg. Mir ist es auch wichtig, dass das gesagt wird. Aus diesem Grund lasse ich auch immer einen schwarzen Rand um meine Fotos, damit der Betrachter sieht, dass das Bild analog geschossen und entwickelt wurde. Der schwarze Rahmen soll darstellen, dass ich genau diesen Ausschnitt gewählt habe und das Foto nicht zugeschnitten wurde.
 

Ich wollte unbedingt Menschen mit Mundmaske fotografieren. Und jetzt laufen wir selbst alle mit Maske herum.


Was meint dein Titel „Orderly Confusion“?

Der hat sich irgendwie ergeben. Als ich mit der Auswahl der Fotos für die Ausstellung begonnen hatte, steckte ich selbst im extremen Chaos. Meine erste Idee für das Projekt war, die Tradition und Moderne in Japan getrennt darzustellen. Aber eigentlich stellte das nicht die Realität dar, weil dort auch ein Wolkenkratzer neben einem traditionellem Haus steht. Und was mich auch fasziniert hat, ist, dass bei so vielen Menschen auf einem Haufen trotzdem alles super funktioniert. Alles hat seine Ordnung, obwohl so viel Ungleiches nebeneinander herläuft. Das ist vielleicht eine Erklärung für den Titel. 
 


Was hat dich an Japan am meisten fasziniert?

Die Sauberkeit. Die Sauberkeit ist einfach extrem. In Tokio, einer Millionenstadt, findet man keinen einzigen, öffentlichen Mülleimer. Alle müssen den Müll wieder mit nach Hause nehmen und dort entsorgen. Auch der Respekt der Menschen und die Geradlinigkeit hat mich beeindruckt. Ich glaube, die Geradlinigkeit kann aber auf die Menschen einen sehr großen Druck ausüben: Sie wollen einfach alle perfekt sein. Ich kann mich an eine Situation in der U-Bahn erinnern: Alle sitzen nebeneinander, mit dem Handy oder einem Buch in der Hand und niemand redet. Die Bahn ist gesteckt voll, aber man hört einfach nichts. Wenn das Handy läutet – sofort ausschalten. Über die Sprachanlage wird immer wieder gesagt, dass die Fahrt für alle angenehm sein soll und man sich deshalb ruhig verhalten und niemanden stören soll. Und dieses Verhalten kennt man hier halt nicht.

Ist dieses Verhalten vorbildhaft? Würdest du dir das auch hier wünschen?

Ich finde, dass wir manchmal sehr chaotisch sein können. Ein wenig Struktur würde uns deshalb nicht schaden. Aber zu viel Struktur geht natürlich auch nicht. Das ist ein sehr schwieriger Grad. Struktur und Geradlinigkeit in dem Sinn, dass wir mehr Bewusstsein für all unsere Handlungen entwickeln könnten. Wenn man sich z.B. vornimmt, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, soll man das auch so oft wie möglich durchziehen. Einfach mehr Verantwortung für die eigenen Handlungen tragen, dass man auch Rücksicht auf andere Menschen nimmt: Wissen was man tut, wissen was man sagt, wissen, wie man mit anderen umgeht.
 


Welches Ziel verfolgst du mit deinen Ausstellungen?

Ich will zeigen, dass es auch Anderes gibt. Andere Werte, andere Lebensformen, andere Weltanschauungen. Und ich will auch zeigen, dass wir von jeder Kultur etwas Positives mitnehmen können. Als ich in Sri Lanka war, trat ich mit extremer Armut in Kontakt. Aber die Menschen waren sehr respektvoll, zuvorkommend und machten den Eindruck, glücklich zu sein. Wenn wir hier in Südtirol keinen BMW fahren, keine Eigentumswohnung haben oder was weiß ich, dann sind wir nicht glücklich. Und ich will einfach zeigen, dass es auch anders geht und anderes gibt.

 

Oliver Kofler arbeitet als Geometer in Bozen. Durch das Skateboarden ist der Bozner zum Fotografieren gekommen. Da das Skaten mit kleineren und größeren Verletzungen einhergeht und Kofler immer wieder zwingt, Pausen einzulegen, kam vor fünf Jahren die Kamera ins Spiel. Er fotografierte mit einer gebrochenen Schulter seine Kollegen und filmte ihre Tricks. Seine fotografischen Erfolge verdankt er also definitiv seiner Leidenschaft zum Skateboard.