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“Das war immer schon sein Traum”

Maddalena Fingerle über die soeben erschienene Übersetzung ihres Romans “Lingua madre”. Ein Buch, das im Deutschen Nuancen verliert, sich dafür aber mit Emotionen füllt.
Maddalena Fingerle
Foto: Julia Mayer

Vor knapp zwei Jahren gewann die 29-jährige Boznerin Maddalena Fingerle mit ihrem Roman "Lingua Madre" den Italo-Calvino-Preis. Ein Buch in drei Akten, dessen Hauptdarsteller Paolo Prescher zwischen Bozen, Berlin und Bozen mit einer Sprachbesessenheit und der Suche nach Ehrlichkeit kämpft. Nun wurde der Roman für den Premio Strega vorgeschlagen - und ins Deutsche übersetzt: "Muttersprache". Er schreit danach, gelesen zu werden.

 

Salto.bz: Maddalena, diese Woche erschien dein Roman “Lingua madre” unter dem Titel “Muttersprache” auf Deutsch. Vor einiger Zeit meintest du, dass du die Übersetzung stellenweise fast besser findest als das Original. Geht das bei einem Buch, in dem die Wörter so wichtig sind?

Maddalena Fingerle: Habe ich das wirklich so gesagt? (lacht) Nein, aber im ernst: Es war sehr emotional für mich, zu sehen, dass Paolo wirklich auf Deutsch spricht. Es war immer sein Traum im Buch und auf einmal redet er tatsächlich deutsch! Aber es ist auch klar, dass in einem Buch, in dem es viel um die Sprache selbst und um Sprachspiele geht, eine Übersetzung sehr schwierig ist. Ich finde aber, dass die Übersetzung sehr gut gelungen ist und dass Maria Brunner den Ton auch wirklich getroffen hat.

Geht durch die Übersetzung etwas verloren?

Dort, wo vielleicht etwas verloren geht - abgesehen vom Titel, wo sich dieses Spiel der Sprache, die auch Mutter ist, etwas verliert - sind die Anmerkungen am Ende des Buchs. Bei der italienischen Ausgabe war es mir sehr wichtig, dass trotz der vielen deutschen Sätze keine Fußnoten beziehungsweise Anmerkungen gibt, weil ich verhindern wollte, dass die LeserInnen aus dem Fluss rauskommen. Außerdem sind auch viele Sprachspiele, die im Italienischen versteckt sind, plötzlich…

…erklärt.

Ja, ich fühle mich ein bisschen ertappt. (lacht)

 

 

Paolo Prescher, die Hauptfigur des Romans, ist besessen von Wörtern. Er unterscheidet zwischen schmutzigen und sauberen Wörtern. Kannst du diesen Unterschied etwas genauer beschreiben?

Für Paolo sind saubere Wörter Wörter, die ehrlich sind und auch ehrlich gemeint sind. Es hat also viel mit der Intention, die dahinter steckt und mit der Person, die die Wörter ausspricht, zu tun. Das sieht man sehr deutlich am Beispiel der Mutter und seiner Freundin Mira: Wenn die Mutter etwas sagt, ist es immer schmutzig. Bei Mira sind die Wörter hingegen sauber. Es gibt also eine emotionale Komponente; es geht Paolo auch darum, dass er akzeptiert wird und dass die andere Person es gut mit ihm meint. Deshalb kann man nicht pauschal sagen, dass ein Wort schmutzig oder sauber ist.

Das Italienische war für Paolo anfangs eine schmutzige Sprache. Erst seine Freundin Mira schafft es ihm in Berlin die Sprache zu säubern. Inwiefern spielt die verwendete Sprache eine Rolle, ob ein Wort als schmutzig oder sauber empfunden wird?

Es geht hier ganz viel um Assoziationen. Italienisch ist irgendwann schmutzig, weil ihm die anderen die Sprache beschmutzt haben und er selbst in seiner Sprache versagt. Als er dann in Berlin in einem italienischen Kreis landet, sprechen alle sauber: Die Menschen drücken das aus, was sie sind. Und genau das schätzt er. Insofern kann jede Sprache schmutzig oder sauber sein. Es geht eher um die Erfahrungen, die man mit einer Sprache macht.

Für Paolo wäre auch eine politisch korrekte Sprache eine schmutzige Sprache. Warum?

Das ist natürlich eine Provokation. Ihm geht es vor allem um die Heuchelei der Mutter und der Politik in Bozen. Beide sind immer super vorsichtig und versuchen alles richtig zu machen, aber am Ende ist es ihnen scheißegal. Von dieser Position möchte ich mich aber distanzieren. Da bin ich ganz anderer Meinung als Paolo. Für mich ist Sprache auch Respekt. Bei Argumenten wie “Gendern macht die Sprache unverständlich oder unschön” bin ich skeptisch. Anfangs fand ich es zum Beispiel auch komisch, "mein Mann" zu sagen, dann habe ich mich aber schnell daran gewöhnt. Mit dem Gendern ist es ähnlich.

Politische Korrektheit kann ja auch tatsächlich ein Ausdruck von Respekt sein. Paolos Problem damit scheint die Hypokrisie zu sein, die in manchen Fällen darin mitschwingt.

Genau. Paolo wäre mit dieser Aussage auch einverstanden.

 

Ich habe nicht das Gefühl, eine Kritik geschrieben zu haben. Und ich empfinde es auch nicht so, als ob ich ein Buch über Bozen geschrieben hätte.

 

Interessant finde ich unter anderem die Rolle des Dialekts im Buch. Paolo entschuldigt sich einerseits dafür, im Italienischen keinen Dialekt zu sprechen. Gleichzeitig wird der deutsche Dialekt als ausschließend empfunden, da es keine Möglichkeiten gibt, ihn zu erlernen. Was ist das Verhältnis des Hauptdarstellers zum Dialekt?

Der Dialekt ist natürlich etwas, das ihm fehlt - emotional, aber auch sprachlich. Das ist wahrscheinlich auch bei vielen echten italienischsprachigen SüdtirolerInnen der Fall: Es gibt keinen wirklichen Bozner Dialekt im Italienischen, das heißt, es gibt keine markante Sprache, wie es sie für die deutschsprachigen BoznerInnen gibt. Bei Paolo hängt das Ganze aber auch mit seinem familiären Umfeld zusammen: Er hätte gerne eine Familie, möchte sich zugehörig fühlen, kann es aber nicht. Diese Zugehörigkeit, die durch den Dialekt geschaffen wird, fasziniert ihn. Auch im Italienischen. Er findet sogar den mailändischen Dialekt toll, der ja nicht unbedingt der schönste Dialekt in Italien ist.

Dabei echauffiert sich Paolo immer wieder darüber, dass die Bozner immer nur an ihre Identität, ihre Wurzeln, ihre Region denken und eigentlich besessen sind von dieser Identitätsfrage. Während ihm eine eigene, starke Identität also fehlt, kommt er mit der vorhandenen Identität nicht zurecht.

Auf jeden Fall stört ihn das ständige Reden über Identität und Wurzeln. Gleichzeitig fühlt er sich, als hätte er keine eigene, starke Identität. Er ist auf der ständigen Suche danach. Er sucht aber eine ehrliche Identität, keine aufgesetzte, die aus Dreisprachigkeit und anderen Floskeln besteht.

Es wirkt beinahe so, als müsse Identität in Südtirol aus dem Kontext fließen: Man ist Bozner oder Südtiroler, deutsch-, italienisch- oder dreisprachig… Aber nicht nur die Identität wird kontextualisiert, sondern auch das Umfeld selbst: faschistische Denkmäler zum Beispiel. Warum ist diese Kontextualisierung für Paolo ein so großes Problem?

Weil sie unehrlich ist. Es gibt ein Problem, aber anstatt das Problem anzusprechen, kontextualisiert man es. Auf ein faschistisches Denkmal wird ein Spruch von Hannah Arendt aufgedrückt und dann ist es auch schon wieder gut. Das findet Paolo nicht in Ordnung. Er hätte gerne eine Welt, in der man ehrlich ist und in der man die Dinge beim Namen nennt. Diese Welt findet er in Bozen nicht.

Und findest du diese Ehrlichkeit in Bozen?

Ich bin nicht so besessen von dieser Suche nach einer absoluten Ehrlichkeit. Das ist für mich eine Illusion. Und vielleicht wäre sie auch schädlich. Natürlich könnte man mit manchen Dingen anders umgehen. Aber ich verstehe auch, dass es eine komplexe Situation ist und es nicht so einfach ist, die Dinge zu ändern.

 

Paolo Prescher ist von der Zugehörigkeit, die durch den Dialekt geschaffen wird, fasziniert.

 

Das Buch kam für viele in Bozen lebende Personen wie ein Schlag in die Magengrube und ein Befreiungsschlag zugleich: Es wird ein Stadtbild gemalt, das man vielleicht selbst schon als erdrückend empfunden hat. Gleichzeitig bietet diese Kritik die Möglichkeit, nach dem Schönen in Bozen zu suchen. Hast du das während des Schreibens auch so empfunden?

Ich habe nicht das Gefühl, eine Kritik geschrieben zu haben. Und ich empfinde es auch nicht so, als ob ich ein Buch über Bozen geschrieben hätte. Ich habe ein Buch über die Sprachbesessenheit von Paolo geschrieben - einem jungen Mann, der in Bozen geboren und aufgewachsen ist. Klar, die Distanz zu Bozen hat mir dabei geholfen, das Ganze ins Auge zu fassen. Gleichzeitig war aber auch eine gewisse Nähe notwendig: Ich habe viel mit akustischen Elementen gespielt, die ich in Bozen aufgenommen habe. Ich war zum Beispiel in Piazza delle Erbe und habe einfach zugehört und mir selbst Sprachnachrichten geschickt. Aber das Politische war für mich gar nicht so stark. Es diente eher als Grundlage für Paolo Besessenheit. Nur weil man in Bozen aufgewachsen ist, wird die Welt nicht so dichotomisch, so schwarz und weiß. Das Ganze funktioniert nur, wenn man auch Paolo familiären Kontext miteinbezieht.

Apropos familiärer Kontext. Im restlichen Italien wurde das Buch viel mehr als Roman und nicht als historisches Stadtporträt empfunden.

Das sollte auch so sein!

Was erhoffst du dir vom deutschsprachigen Publikum?

In etwa dieselben Reaktionen. Das heißt, dass das Buch als Buch gelesen wird. Die Idee, dass mit dem Buch Probleme der Zweisprachigkeit in Bozen gelöst werden können, ist schon ein bisschen absurd.

 

Wenn du in einem Satz beschreiben müsstest, worum es in deinem Buch geht. Was würdest du sagen?

Es ist die Geschichte von einem jungen Mann, der von Sprachen besessen ist und der auf der Suche nach Ehrlichkeit die Welt dichotomisch in dreckige und saubere Wörter unterteilt. Ups, Bozen kommt in diesem Satz gar nicht vor!

Glaubst du, dass es möglich sein wird, das Buch in weitere Sprachen zu übersetzen? 

Ich denke schon. Ich glaube, dass es tatsächlich die größte Herausforderung war, es ins Deutsche zu übersetzen. In anderen Sprachen ist es viel einfacher, da keine der beiden Sprachen im Spiel ist.

Grazie mille dell’intervista, Maddalena. Torno all’Italiano perché mi sento un po' a disagio a parlare in tedesco, in Hochdeutsch con te.

Vedi che ha ragione Paolo! È una cosa che dico spesso: A Bolzano con le persone di madrelingua tedesca ho spesso l’impressione che si preferisca parlare in italiano, perché l’alternativa sarebbe una lingua standard che risulta faticosa e costruita. Allo stesso tempo sono state fatte molte cose in questo ambito ultimamente. L’otto marzo per esempio presenterò il mio libro qui a Bolzano, e la presentazione sarà bilingue! Lo trovo stupendo, è il contesto perfetto per un libro come questo.