Politik | Terror

"Wir sind im Krieg"

Europa erklärt dem Terror den Krieg. Denselben Krieg, den der Westen seit 25 Jahren im Nahen und Mittleren Osten führt. Mit fatalen Folgen.

In der Hauptstadt der Europäischen Union trauen sich die Menschen nach den blutigen Anschlägen nur mehr zögerlich auf die Strassen, geschweige denn in die U-Bahn. Seitenweise bedienen die Zeitungen die gewohnten Gemeinplätze von Trauer, Erschütterung und Verunsicherung. Der französische Regierungschef Manuel Valls stellt fest: "Wir befinden uns im Krieg."  Das ist freilich nicht neu. Denn Europa führt seit einem Vierteljahrhundert Krieg im Nahen und Mittleren Osten. Und ohne diese folgenschweren Kriege gäbe es heute keine Isis.Darüber sind sich alle Experten einig.

Die fünf (offiziellen) Kriege, von denen jener in Afghanistan noch andauert, haben über 300.000 Opfer gefordert und die astronomische Summe von geschätzten 2300 Milliarden Dollar verschlungen.

Zur Erinnerung ein Überblick:

25 Jahre sind seit dem ersten militärischen Großeinsatz der USA im Nahen Osten vergangen: im Jänner 1991 begann George Bush den schwersten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg . Er galt der Befreiung des vom Irak annektierten Ölstaats Kuweit. Die Zahl der irakischen Opfer wird auf rund 30.000 geschätzt. Die Kosten des Krieges bezifferte der US-Kongress auf 61 Milliarden Dollar. Die Löschung der 950 brennenden Ölquellen dauerte Monate. Die Umweltschäden waren enorm.

2001 kamen die Amerikaner auf die verquere Idee, die Freiheit des Westens am fernen Hindukusch zu verteidigen und begannen den folgenschweren Krieg in Afghanistan, der seit nunmehr 15 Jahren anhält. Bereits vorher hatten die Regierungen Reagan und Bush fünf Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, mit denen die CIA die Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützte und mit modernen Waffen ausstattete. Einer ihrer Führer war der spätere Erzfeind der USA, Osama Bin Laden.

Der Krieg in Afghanistan kostet rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr. 3500 Soldaten der westlichen Allianz sind gefallen, die Zahl der zivilen Opfer wird bisher auf 70.000 geschätzt. Letzthin kündigte US-Päsident Obama eine Verlängerung des US-Einsatzes um ein Jahr an. Matteo Renzi folgte ihm auf dem Fuß. Nach fast 15 Kriegsjahren kontrolliert die Allianz heute ein kleineres Gebiet als bei dessen Beginn. Jeder weiss, dass nach Abzug der ausländischen Truppen weite Teile des armen und korruptionsverseuchten Landes wieder an die Taliban zurückfallen. Der Krieg destabilisierte auch das benachbarte Pakistan, das heute als Hochburg radikaler Islamisten gilt.

2003 begann mit der Bombardierung Bagdads ein neues Kriegsabenteuer: die von den USA geführte "Koalition der Willigen" marschierte unter dem Vorwand angeblicher  Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins im Irak ein. Die Zahl der Kriegsopfer wird auf über 100.000 geschätzt. Die Kosten wurden offiziell mit 700 Milliarden Dollar angegeben, dürften aber mindestens doppelt so hoch sein. Nach dem Krieg war der Irak Schauplatz blutiger Unruhen und Attentate. Die USA haben mit diesem Krieg  die fragile Balance am Persischen Golf zerstört. Das entstandene Machtvakuum wurde von radikalen Kräften wie der Isis genutzt. Vor Beginn des Krieges gab es nachweislich keine Dschihadisten im Irak.

Doch der nächste bewaffnete Einsatz ließ nicht lange auf sich warten: 2011 entschloss sich eine neue westliche Koalition auf Druck des französischen Präsidenten Sarkozy, das Regime des libyschen Staatschef Muammar Al Gaddafi mit einem Luftkrieg auszuschalten. Der High-Tech-Krieg wurde mit tausenden Lufteinsätzen geführt, bei denen  zahlreiche Menschen starben. Das Ergebnis war fatal: nach der Implosion des libyschen Staates kontrollieren 120 schwerbewaffnete, meist tribale Milizen  das ehemalige Staatsgebiet. Der Krieg öffnete erneut das Schlupftor am Mittelmeer, durch das mit Hilfe skrupelloser Schlepper Hundertausende Migranten nach Europa gelangten. Obwohl Obama letzthin den Krieg in Libyen als Fehler bezeichnet hat, liebäugeln Frankreich und England erneut mit einem bewaffneten Einsatz.

In dem seit fünf Jahren dauernden Krieg in Syrien sahen die Nato-Staaten tatenlos zu, wie Diktator Assad Tausende seiner Landsleute aushungerte und durch Giftgas tötete. Die mehrfach  geforderte Bildung einer Flugverbotszone, die das Blutvergiessen verringern hätte können, lehnten sie ab. Mittlerweile sind rund 300.000 Syrer ums Leben gekommen, Zehntausende Flüchtlinge strömen in jenes Europa, das konsequent weggeschaut hatte.

Die Bilanz der westlichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten ist in jeder Hinsicht verheerend. Das Einsatzgebiet islamischer Terroristen reicht mittlerweile von Pakistan bis zur Elfenbeinküste und in die Peripherien europäischer Metropolen. Die Auflösungserscheinungen in zahlreichen Staaten Afrikas könnten zu einer weiteren verhängnisvollen  Flüchtlingswelle führen.

Es ist empörend, dass Staaten wie Deutschland und Italien in Afghanistan weiter Krieg führen. Und dass die USA und Deutschland den anachronistischen Monarchien am Golf und auf der arabischen Halbinsel hochmoderne Panzer und Kampfflugzeuge liefern. Wir exportieren den Krieg und wundern uns darüber, dass er uns zuhause einholt. Europa versichert, dem Terror gemeinsam zu begegnen, tut jedoch das Gegenteil. Staaten wie Belgien, in denen Terroristen mit ihren Bomben im Taxi anreisten, scheinen hoffnungslos überfordert. Jeder Geheimdienst behält weiterhin wichtige Informationen für sich. Von der angekündigten Bündelung der Kräfte kann keine Rede sein. Die Grenzen, deren Abschaffung wir mit Genugtuung begrüßt haben, werden wieder eingeführt. Die Länder Osteuropas konzentrieren sich darauf, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten. Sie sind vom Terror nicht betroffen, ihre Städte sind frei von Immigrantenghettos. Nationalististische und fremdenfeindliche Parteien befinden sich europaweit auf dem Vormarsch.

Die oft beschworene Wertegemeinschaft bröckelt, Großbritannien erwägt den Ausstieg aus der EU. Wir werden uns wohl von liebgewonnenen Lebensgewohnheiten verabschieden müssen. Vom Gefühl unbeschränkter Freiheit. Ein Flug nach Paris oder New York wird immer mehr  zum Risikofaktor. Die Welt wird kleinräumiger. Der Fremdenverkehr in der Türkei und in Ägypten geht drastisch zurück, die Hotels an den tunesischen Stränden stehen leer. Das gegenwärtige Desaster verdanken wir der Ignoranz selbstgefälliger Politiker wie Bush, Cheney und Rumsfeld, die den Mittleren Osten durch jahrelange Kriege destabilisiert haben - mit tatkräftiger Unterstützung der Europäer. Im verhängnisvollen Geist von Abu Ghraib und Guantanamo, dessen Nachwirkungen wir jetzt hautnah erleben.

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Harald Knoflach Di., 29.03.2016 - 09:31

bezüglich der ursachen und der fatalen fehler der vergangenheit liegt der autor richtig.
dem alarmismus kann ich aber wenig abgewinnen.
"Ein Flug nach Paris oder New York wird immer mehr zum Risikofaktor."
ich bin mir sicher, das risiko an einer fischgräte zu ersticken ist wesentlich höher, als einem terroranschlag zum opfer zu fallen.

Di., 29.03.2016 - 09:31 Permalink
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Lupo Cattivo Mi., 30.03.2016 - 14:18

Am 4. März hat der französische Präsident Francois Hollande die Légion d’honneur in einer geheimen Zeremonie Mohammed bin Nayef überreicht, den Innenminister und Kronprinz von Saudi Arabien,und zu gleich wird das kriminellste aller Regime vom Westen, speziell von den EU-Staaten wie England, Frankreich und Deutschland, hofiert, geehrt, und man küsst den Scheichs die Füsse und lässt sie weiterhin ihre Verbrechen begehen... von wegen europäische Werte. Im Gegenteil, hier werden die grössten Kriegshetzer belohnt.

Mi., 30.03.2016 - 14:18 Permalink