Kultur | Salto Weekend

Grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten

Ein Gastkommentar von Alice Engl zum 60-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Über die EU, Europaregionen und Minderheiten.
EU
Foto: Salto.bz

Das 60-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März gibt Anlass nachzudenken über Europa und die Herausforderungen in den Beziehungen zwischen den Staaten und den Regionen und in der Zusammenführung von Einheit und Vielfalt. Grenzregionen und Europaregionen sind ein Spiegelbild dieser Herausforderungen und gleichzeitig richtungsweisend für künftige politische Maßnahmen und Visionen.

Besondere Beachtung gilt dabei Grenzregionen mit Minderheiten, wie eine von Forschern der Europäischen Akademie Bozen und des Flensburger European Center for Minority Issues aktuell verfasste Studie aufzeigt, die im Auftrag der Hochkommissarin für Nationale Minderheiten der OSZE die Rolle nationaler Minderheiten als Brückenbauer beleuchtet. Das Projektteam fand über hundert Beispiele, wo Minderheitenvertreter durch konkrete Initiativen, wie gemeinsame Bildungs- und Kulturprojekte oder grenzüberschreitende Kooperation bei regionalen Medien, kulturelle, soziale, politische und staatliche Trennlinien überwinden. Beispiele sind das Kooperationsprojekt „Unter Nachbarn/Blandt Naboer“ zwischen den Zeitungen Der Nordschleswiger, Flensborg Avis, JydskeVestkysten und den sh:z-Zeitungen (Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag) im deutsch-dänischen Grenzraum oder das Bildungs- und Kulturprojekt „Together/United for the border region“ im polnisch-tschechischen Grenzraum.

Auch die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino reiht sich in diese Vielzahl von Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Minderheitengebieten ein. Ähnliche Beispiele sind die Euregio senza confini zwischen Kärnten und Friaul-Julisch Venetien und Euroregion Pyrénées-Méditerannée, wo Katalonien und die Balearischen Inseln mit französischen Regionen zusammenarbeiten. Kultur und Sprache spielen bei diesen Kooperationen eine zentrale Rolle.

Die Kooperationsbereiche der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino sind breit gefächert. Der Großteil der laufenden Projekte betrifft die Themen, Kultur, Bildung und Forschung, Europa, Jugend sowie Mobilität und Verkehr. Die Förderung der kulturellen Beziehungen und die Zusammenarbeit im Bereich Kultur zählen unter anderem zu den Kernaufgaben der Euregio. Im Zuge der Projektarbeit versucht die Euregio nun auch vermehrt verschiedene Akteure zu vernetzen. Forschungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit haben dargelegt, dass eine erfolgreiche Umsetzung von Projekten nicht nur eine intensive Kooperation auf politischer Ebene erfordert, sondern vor allem auch Verwaltungsbedienstete miteinschließen muss. Die regelmäßige Kooperation von Verwaltungsstellen bildet das Fundament einer funktionalen Zusammenarbeit. Die Euregio hat mit dem Einsetzen von Arbeitsgruppen (u.a. zu den Themen Kultur und Mobilität) ihre funktionale und partizipative Dimension ausgebaut.

Gleichzeitig gibt es noch Potential, die Euregio weiterzuentwickeln. Mögliche Anknüpfungspunkte für eine Weiterentwicklung sind beispielsweise eine grenzüberschreitende Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinen, eine verstärkte Kooperation zwischen der Europaregion und den Gemeinden und eine stärkere Verankerung der Europaregion in der Bevölkerung. Diese Möglichkeiten wurden im Rahmen des jüngsten Treffens des Forum der Hundert (einem beratenden Gremium des Südtiroler Autonomiekonvents) anhand von Beispielen aus anderen Grenzregionen erörtert, wie etwa die Partizipation von Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Rahmen des EVTZ Eurométropole Lille-Kortrijk-Tournai an der Grenze zwischen Frankreich und Belgien. Dort sind die Gemeinden als Partner am EVTZ beteiligt und die zivilgesellschaftlichen Vereine haben ein eigenes grenzüberschreitendes Forum errichtet, das mit dem EVTZ kooperiert.

Auch die EU fördert weiterhin die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, vor allem durch finanzielle und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der EU-Regionalpolitik. Die Kommission sieht in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein wichtiges Instrument, um den territorialen Zusammenhalt zu stärken. Dementsprechend wollen die EU Institutionen weitere Maßnahmen ergreifen, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiterhin zu erleichtern. So wird zurzeit wird an einem neuen Verordnungsvorschlag gearbeitet, der den Abschluss von bilateralen Abkommen erleichtern soll. Diese so genannten europäischen grenzüberschreitenden Übereinkommen sollen rechtliche Aspekte zu einem bestimmten Sachverhalt (z.B. Gesundheit, Mobilität usw.) regeln. Im Kern soll die Möglichkeit geschaffen werden, spezielle Ausnahmeregelungen vom geltenden Recht für einen spezifischen Sachverhalt in einer bestimmten Grenzregion festzulegen.

Diese Entwicklungen sind auch für Südtirol und andere Minderheitengebiete interessant, da rechtliche Hürden, die sich vor allem aus den Unterschieden zwischen den staatlichen Rechtsordnungen ergeben und die Regionen und Minderheiten nicht selber regeln können, weiter abgebaut werden sollen.

Allerdings ist die EU gefordert, Maßnahmen zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nicht nur auf institutionelle und rechtliche Aspekte beschränken. Auch Fragen des Zusammenhalts sollten nicht nur vorwiegend auf wirtschaftliche und soziale Belange begrenzt werden, wie bisher im Rahmen der Strukturfondsprogramme, sondern sollten auch stärker die sprachliche und kulturelle Vielfalt miteinbeziehen. Die sprachlich-kulturelle Heterogenität in Minderheitengebieten und symbolische Dimensionen, wie Zugehörigkeitsgefühl zu einem grenzüberschreitenden Raum, wurden von den EU-Förderprogrammen bisher wenig berücksichtigt, obwohl diese Aspekte in vielen Grenzregionen politisch und sozial relevant sind. Nur so kann der Brückenschlag gelingen zwischen Förderung des Zusammenhalts einerseits und Wahrung der Vielfalt andererseits, immerhin seit jeher einer der Grundgedanken im Europäischen Integrationsprozess. Europaregionen in Minderheitengebieten können hier beispielgebend sein.