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Wie geht's bei der Arbeit?

Auftakt für ein großangelegtes Projekt des AFI zu den Arbeitsbedingungen in Südtirol. Diese können nun erstmals im europäischen Kontext verglichen werden.
Handwerk Maurer
Foto: Wirtschaft Tirol

Es ist ein wenig so, als wäre Südtirols Sozialforschung in die A-Liga aufgestiegen. Denn die Daten zu den Arbeitsbedingungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt, die das Arbeitsförderungsinstitut AFI am diesem Freitag Vormittag seit 9 Uhr im Innenhof des Bozner Palais Widmann vorstellt, könnten - was die Erhebungsstandards betrifft - genauso gut in Berlin, Wien oder Paris präsentiert werden. Schließlich basieren sie auf dem European Working Conditions Survey, einer bereits seit 1990 auf nationalstaatlicher Ebene durchgeführten europaweiten Erhebung. Nachdem die italienischen Ergebnisse für Südtirol seit jeher wenig Aussagekraft hatten, ist man beim AFI nun in einer fast zweijährigen Vor- und Feldarbeit exakt nach dem Fragenkatalog und den Methoden vorgegangen, die den Umfragen von Eurofound, der EU-Stiftung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, in 35 europäischen Ländern zugrunde liegen. Damit leiste das AFI Pionierarbeit, betonte Direktor Stefano Perini am Vormittag mit sichtbarem Stolz. „Südtirol ist die erste Region in Europa, die sich rühmen kann, eine Untersuchung über die Arbeitsbedingungen nach anerkannten wissenschaftlichen Standards auf regionaler Ebene erstellt zu haben.“

"Erstmals kann die Qualität der Arbeitsbedingungen in Südtirol direkt mit jener in Italien, Österreich, Deutschland oder anderen europäischen Ländern verglichen werden."

Dafür wurden im vergangenen Sommer 750 persönliche Interviews zu Themen wie Arbeitsqualität und Arbeitsorganisation, Einkommen, Arbeitszeiten, Vereinbarkeit oder Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz durchgeführt. Bei der heutigen Auftaktveranstaltung werden nur erste Ergebnisse vorgestellt. Weitere sollen im Laufe des Jahres in Form von spezifischen Schwerpunktpublikationen folgen. Wesentlich ist laut dem AFI-Direktor nicht nur, dass man nun repräsentative Daten für die gesamte Südtiroler Erwerbsbevölkerung habe. „Diese können vor allem direkt in einen europäischen Kontext eingebettet werden“, so Stefan Perini. Sprich: Erstmals kann die Qualität der Arbeitsbedingungen in Südtirol direkt mit jener in Italien, Österreich, Deutschland oder anderen europäischen Ländern verglichen werden.

Die Noten, die sich dabei bei den in der Auftaktveranstaltung präsentierten Daten ergaben, können sich durchaus sehen lassen. Denn die Arbeitsbedingungen in Südtirol liegen im guten mitteleuropäischen Durchschnitt – und sind in den allermeisten Fällen besser als der italienische Schnitt, lautet die Kurzfassung. Konkreter lässt sich das zum Beispiel bei der Einschätzung der eigenen Entlohnung aufzeigen. 60% der Südtiroler Erwerbstätigen beurteilen die Bezahlung ihrer Arbeit als angemessen. Damit bleibt Südtirol etwas hinter den Werten der Schweiz (66%) oder  Österreich (62%) zurück, liegt aber überraschenderweise vor Deutschland (56%) und beträchtlich über dem italienweiten Schnitt (46%). Am zufriedensten mit ihrer Vergütung sind übrigens hierzulande Arbeitskräfte in der Finanzdienstleistungsbranche. Am unzufriedensten dagegen die Bauern, die ihre Entlohnung nur zu 41 % als angemessen einschätzen.

Übermäßig hohe Belastung durch Arbeitstempo und Termindruck

Kritisch ins Auge fallen im Vergleich der ersten Ergebnisse vor allem die Antworten der Südtiroler Beschäftigten zur körperlichen und psychischen Arbeitsbelastung.  So sticht Südtirol im Vergleich zu Österreich, Deutschland und der Schweiz, aber auch der EU-28 recht deutlich bei Belastungen wie hohem Arbeitstempo, hohem Termindruck oder überlangen Arbeitstagen hervor. „Auch körperlich belastende Arbeitsbedingungen wie ermüdende Körperhaltungen oder das Tragen von Lasten sind in Südtirol stark ausgeprägt“, erklärte der Arbeitspsychologe und AFI-Mitarbeiter Tobias Hölbling, der das Projekt gemeinsam mit Heidi Flarer und Werner Pramstrahler durchführt. Positiv gegenüberstehen würden solchen Belastungen die vergleichsmäßig hohe Zufriedenheit mit den Möglichkeiten, Beruf und Privatleben zu vereinbaren, oder auch eine gut funktionierende Zusammenarbeit in den Betrieben.

Zur Auftaktveranstaltung des AFI extra aus Dublin angereist ist Barbara Gerstenberger, die Leiterin der Working Life Research Unit von Eurofound. Jürgen Glaser, Professor für Arbeitspsychologie an  der Uni Innsbruck, erläuterte, wie Arbeitsbedingungen auf betrieblicher Ebene erfasst werden und wie sie sich auf Produktivität und Gesundheit auswirken. Aus der Praxis berichteten Evelyn Kirchmaier, Generaldirektorin der Markas Service, Barbara Jäger von Businesspool, Christine Pichler vom Gewerkschaftsbund AGB CGIL und Toni Serafini von der Gewerkschaft UIL-SGK.