Kultur | salto-Gespräch

Eine Grenzgängerin wird 40

Die Vinschger Autorin Selma Mahlknecht ist in der Südtiroler Kulturszene schon lange kein Geheimtipp mehr. Am 21. März wurde sie vierzig- salto.bz hat mit ihr gesprochen.
Selma Mahlknecht
Foto: kultur-online.net

salto.bz: Der vierzigste Geburstag – vor allem für Frauen – gilt in unserer Gesellschaft als echte Zäsur im Leben. Wie geht es Ihnen einen Tag vor dem großen Tag?​

Selma Mahlknecht: Mein Geburtstag fällt immer in eine Zeit, in der ich extrem viel zu tun habe, weil an meiner Schule am 3. April die Premiere des Stücks stattfindet, dass ich für die Schultheatergruppe geschrieben habe die ich auch leite, und es da noch wahnsinnig viel zu tun gibt. Parallel dazu schreibe ich gerade ein Stück für meine Theatergruppe in Naturns, heute habe ich mit den Dialogen angefangen. Dann habe ich einen Auftritt im Obervinschgau. Ichhabe also gerade viel um die Ohren, und es ist eigentlich jedes Jahr im März so. Deswegen verschiebe ich meinen Geburtstag immer, und es fühlt sich nicht so an als wäre morgen ein besonderer oder anderer Tag. Aber es stimmt schon, es ist ein Moment, an dem man Bilanz zieht. Man merkt schon, dass man gewisse Dinge jetzt nicht mehr machen kann. Eiskunstläuferin oder Synchronschwimmerin kann ich jetzt eher nicht mehr werden. Aber ich versuche darüber nachzudenken, welche Türen noch offen sind, und welche sich gerade jetzt öffnen. Ich möchte zum Beispiel mehr Regie führen und mit anderen Theatergruppen zusammenarbeiten, meine Texte und Auftritte weiterentwickeln. 

Aber Feste muss man doch feiern wie sie fallen? 

Mein Mann und ich haben auf den Tag genau im Abstand von drei Monaten Geburtstag, deswegen werden wir etwas später eine kleine Feier machen, aber keine Geburtstagsfeier in dem Sinn. Wir stehen beide nicht so darauf, das wir gefeiert werden. Lieber feiern wir, dass wir mit lieben Menschen zusammensein können, das passiert ja auch selten genug. Es ist so ein seltsamer Moment wenn man auf einer Geburtstagsfeier im Mittelpunkt steht und alle um einen herum „Happy Birthday“ oder so singen. Ich denke, das erleben die meisten als Tortur, und es ist eher ein Ritus, durch den eben alle durch müsen. 

Verraten Sie uns, worum es in ihrem Stück für die Volksbühne Naturns geht?

Das Stück heißt „Ein See für St. Prokulus“, und da geht es um den modernen Tourismus. Das Dorf St. Prokulus in Südtirol ist sehr erfolgreich und touristisch sehr gut erschlossen. Dort gibt es alles, Skipisten, Minigolfanlagen, Wanderwege, Tennisplätze, Wellnesshotels usw., nur eben keinen See. Die Dorfbewohner beschließen deswegen, einen See zu bauen und fluten dazu einfach Teile des Nachbardorfes, weil sie der meinung sind, dass das im Interesse von allen sei. Es ist wieder eins von diesen surrealen Stücken, die ich schreibe, und es macht mir extrem viel Spaß.

Glauben sie, dass die Vierzig auch etwas daran ändert, wie sie als Künstlerin wahrgenommen werden? Etwa, dass sie ein Nachwuchs-Image oder eine Art Welpenschutz verlieren?

Also, wenn das, was ich bisher hatte Welpenschutz war, will ich nicht wissen was jetzt kommt! Ich glaube aber nicht, dass die Leute mich mit einem gewissen Alter verbinden, oder überhaupt, dass sie so viel über mich nachdenken.

Freuen Sie sich darauf, die Frage nach dem Kinderwunsch seltener zu hören?

Ich freue mich wirklich darauf, nicht mehr ständig gefragt zu werden, im wie vielten Monat ich denn gerade schwanger bin. Weil das höre ich extrem oft, das hat natürlich mit meiner körperlichen Beschaffenheit zu tun, ich bin ja auch nicht gerade eine Elfe, und das wird immer wieder als Schwangerschaftsbäuchlein interpretiert. Einmal hat mich tatsächlich jemand gefragt, wie es meinem Baby gehe, denn bei unserer letzten Begegnung wäre ich doch hochschwanger gewesen. 

Vom professionellen Schreiben wurde Ihnen sicher oft abgeraten – was wäre denn ihr Handwerksberuf geworden?

Das ist, glaube ich, die Frage, die ich mir schon mein ganzes Leben lang stelle. Weil Schreiben und Theatermachen ist ja wirklich bescheuert, und wenn ich ein anderes Talent hätte, wäre ich sicher einen anderen Weg gegangen. Aber Texte schreiben, analysieren usw. kann ich mit Abstand besser als alles andere, und für andere Dinge bin ich komplett ungeeignet.  

Auf Ihrer Webseite steht dass Sie gerne Brot backen – wie wär’s mit Backgewerbe?

Das stimmt, aber wenn ich vom Brotbacken leben müsste, würde mich das schon wieder stressen, weil so ein Produkt ja reproduziert werden muss. Das Brot, das ich backe, ist aber immer anders, wie auch meine Texte immer anders sind. Die Semmel muss ja jeden Tag die gleiche sein. 

Sie sind bekennende Feministin – dem Wort haften durchaus auch negative Assoziationen an. Hatten Sie je Hemmungen, sich als solche zu bezeichnen?

Nein, ich hatte mit dem Wort nie ein Problem. Vielleicht weil ich zu einer anderen Generation gehöre. 

Sie unterrichten, schreiben Artikel für Zeitungen und Magazine, sowie Stücke, Prosa und Gedichte, Sie haben zwei YouTube-Kanäle auf denen Sie ihre eigenen Gedichte vortragen und die von anderen analysieren, und touren mit Ihren Texten und selbstgeschriebenen Liedern durch den Alpenraum – sind Sie eine Workaholic? 

Ich mache manchmal zu viel, das stimmt. Das kommt einfach daher, dass mich so viel interessiert und ich immer neue Ideen habe. Ich mag mich auch nicht gerne wiederholen und will einfach noch so viele Dinge ausprobieren, ich mag Neuanfänge sehr gerne. Auch das Bewusstsein dass das Leben und die Möglichkeiten, die man hat, endlich sind, triebt mich da an. Ich stelle mir auch schöne nostalgische Momente vor, wenn ich in dreißig Jahren meine alten Videos von Gedichtinterpretationen anschaue, und vielleicht sagen werde: „Ach, was war ich da jung und hatte keine Ahnung, aber frei groß geredet.“ Wer weiß. 

Wie viele Kunstschaffende sagen Sie, dass Inspiration von überall herkommen kann. Wie schaffen Sie es da noch, abzuschalten?  

Ich muss mich schützen. Mir gehen Sachen oft zu nahe. Als ich noch in Wien studiert habe, war das schlimm, weil du mit so vielen Leuten und Geschichten konfrontiert wirst, und so viel Schmerz spürst und ahnst. Das alles nicht mitzuerleben und mitzuertragen ist für mich schwer, aber ich bin eben neugierig auf Menschen und ihre Geschichten, und darauf, wie sie zu denen geworden sind, die sie sind. Das muss man auch manchmal künstlich von sich fernhalten. Deshalb bin ich ja froh, dass ich in Zernez wohne, da gibt es weniger von diesen Eindrücken und man kann einiges wegatmen. 

Sie beschäftigen sich als Workshop-Leiterin und Lehrerin sowie und in ihren Texten auch stark mit dem Einfluss der digitalen Welt auf unser Leben. In einem Artikel haben Sie den digitalen Detox empfohlen – entgiften Sie auch selbst? 

(Lacht) Ja, also ich bin zwar auf Facebook, nutze aber nicht so viele social media. Ich sitze viel vorm Computer, kann aber auch gut ohne leben und bekomme keine Entzugserscheinungen. Und ich habe das Glück, an der Filmakademie studiert zu haben, und deswegen Bildsprachen und sowas durschauen kann. Das wurde ja alles von Menschen aus einem bestimmten Grund so gemacht. Aber man hat ja auch gewisse Freiheiten durch digitale Medien und ich will das gar nicht verteufeln. Man muss einfach abwägen, welche Vorteile deren Nutzung einem bringt. 

 

Ist es für Sie möglich, einen Lieblingstext oder eine Lieblingsfigur unter den Eigenkreationen zu haben? 

Es ist ganz komisch, weil ich nicht mehr an einen Text denke, wenn ich ihn fertig geschrieben habe. Ich denke immer über das nach, was ich als nächstes schreiben will. Das sagen viele Schriftsteller, ich bilde mir gerade ein, ich zitiere gerade irgendwen. Es passiert aber schon, dass mir vergangene Texte wieder in die Hand fallen, und unmittelbar nach der Erscheinen eines Textes bin ich immer ungnädig und und unzufrieden, und sehe, was ich alles hätte anders machen können. Mit ein bisschen zeitlicher Distanz bin ich interessanterweise wieder zufriedener. Aber es ist nicht so, dass mir einer meiner Texte besonders lieb ist. Obwohl, mein letzter Roman, „Luba“, ist mir vielleicht deswegen lieb, weil ich das Gefühl habe, dass das Buch etwas untergegangen ist und ich fand, dass es das nicht verdient hat. 

Welcher Ihrer Figuren sind Sie am ähnlichsten? 

Ich glaube, ich bin wirklich Luba am ähnlichsten. Die ist nämlich auch so ungeschickt wie ich und denkt so viel wie ich, auch so verwegene und obstruse Sachen. Und sie ist ein faustischer Charakter so wie ich. Sie kann nicht aufhören, Fragen zu stellen und zu zweifeln, was ja etwas Urfaustisches ist. 

Wie wählen Sie Namen für Ihre Figuren aus?  

Mir ist es wichtig, Namen nicht zu wiederholen. Auch mag ich bestimmte Klänge lieber als andere. Und ich möchte auch nicht Namen von Leuten nehmen, die ich kenne. Beispielsweise würde ich nie einen Simon in einem meiner Bücher haben, weil ich mehrere Simons im Freundeskreis habe, und ich nicht wollen würde, dass sich da ein Simon angesprochen fühlt. Auch wenn die echten Simons das sicher abstrahieren könnten. Aber ich möchte auch nicht an einen echten Simon denken, wenn ich mich mit der Figur beschäftige. Und weil dann nicht mehr ganz so viele Namen zur Auswahl bleiben, werden die in meinen Texten auch etwas exotisch.  

Warum schreiben Sie Ihre Stücke für die Volksbühne Naturns auf Dialekt?

Das hat ganz bodenständige Gründe. Das Publikum verspürt eine gröẞere Nähe zu den Akteuren, wenn diese die gleiche Sprache sprechen. Die Naturnser Schauspieler sind exzellente Schauspieler, aber sie sind noch besser, wenn sie auf Dialekt spielen, weil es weniger geküstelt wirkt als Bühnendeutsch. Gerade weil ich schon ziemlich obstruse Siuationen schaffe, ist die Handlung einfach leichter zu verstehen, wenn die Sprache nicht eine extra Barriere darstellt. Und es macht mir einfach auch Spaß. Eins meiner Stücke auf Dialekt, „Korea“, in dem es um die Krankheit Chorea Huntington geht, wurde allerdings auch in einer Klinik in Taufkirchen in Deutschland aufgeführt, vor betroffenen Patienten, Angehörigen, Ärzten und Pflegern, und die Resonanz war extrem positiv. Daraufhin wurde das Stück ins Hochdeutsche übersetzt und wird jetzt als Büchlein von der Deutschen Huntington-Hilfe vertrieben, als Einblick in die Realität des Lebens mit dieser Krankheit. Das ist natürlich eine super Sache, und ein kleiner Adelstitel für das Stück.

Florian Müller sprach in seiner Rezension Ihres Romans „Helena“ von der mahlknecht’schen Sprache – wie beschreiben Sie selbst diese?

Der Meraner Theatermacher Franco Marini hat mal zu mir gesagt, „Weißt du, du triffst immer genau das Wort, das es auf den Punkt bringt.“ Ich denke, dass ich die Fähigkeit habe, etwas mit weniger Worten auszudrücken, wie viele andere. Aber ich kann das natürlich nicht exklusiv, ich denke, dass alle, die mit dem Schreiben etwas erreichen wollen, das können müssen. Und ich schreibe auch gerne musikalisch und rhythmisch, das ist mir wahnsinnig wichtig. Deswegen wirken meine Texte auch manchmal besser, wenn man sie hört als wenn man sie liest. Es gibt aber auch Autoren, die darüber überhaupt nicht nachdenken. 

Schreiben oder lesen Sie mehr?

Ich lese sehr viel, aber nicht so viel Literatur, weil ich die nicht so schnell lesen kann wie einen Zeitungsartikel. Im Sommer habe ich manchmal ein Buch, das ich dann langsam und genüsslich lese. Aus Zeitgründen lese ich literarische Texte auch nur einmal, deswegen muss ich sie einmal richtig sorgfältig gelesen haben. Allerdings lese ich extrem viel Lyrik, das ist etwas sehr besonderes für mich. Das ist auch das Terrain, das ich selbst am wenigsten betrete, weil die Lyrik für mich fast schon das Heiligste ist. 

Warum? 

Weil Lyrik so voller Fallen und Stolpersteine ist. Jeder Reim, jede Strophenform, jede Assoziation ist eine Falle. Ich kenne tatsächlich kaum Menschen, die noch nie ein Gedicht geschrieben haben, weil sie uns in ihrer gebotenen Kürze und Knappheit einfach ansprechen, und ein Gedicht wie ein Schmuckstücklein sein kann. Aber deshalb gibt es nunmal auch viel schlechte Lyrik. Es ist einfach, ein Gedicht über den Frühling zu schreiben, das dann aber klingt wie das hunderttausendste Frühlingsgedicht, das ist dann einfach eine Banalität, eine Peinlichkeit. Wenn es aber einem gelingt, das Gedicht über den Frühling zu schreiben, ist das ganz hohe Kunst. Ich will das gar nicht abwerten, aber mit Drama und Prosa ist immer jeder Text anders, weil einem die Figuren und Textlänge so viel Spielraum lassen. 

Was lesen Sie gerade? 

Ich habe gerade Lyrik von Maria Luise Weissmann, da war ich ganz glücklich und begeistert dabei. 

Welche wiederholten Deutschfehler schmerzen Sie als Lehrerin denn am meisten?

Solche Fehler, wo ich gar nicht verstehe, warum die überhaupt existieren. Zum Beispiel wenn Leute „vor allem“ zusammen schreiben. Aber eigentlich nerven mich nicht so sehr Deutschfehler, sondern die ständige Behauptung von Schülern, dass sie wurscht seien. Jeder verwandelt sich in null Komma nichts in einen sogenannten grammar nazi wenn er Fehler beim anderen sieht. Wenn es um die eigenen Fehler geht, sagen sie „Ist doch egal, Hauptsache der Inhalt ist toll“, oder „Seien Sie doch nicht so pingelig“. Dabei geht es ja gar nicht darum, ich bin nicht pingelig, und ich verurteile auch niemanden aufgrund von Deutschfehlern. Aber ich habe als Lehrerin natürlich die Aufgabe, auf Fehler hinzuweisen und unterstützend zu wirken, dass die Fehler nicht mehr passieren, und dafür zu sorgen, dass meine Schüler Texte schreiben, die formal so gut sind, dass der Inhalt strahlen kann. 

Wie stehen Sie zu den freitäglichen Kimastreiks von Schülerinnen und Schülern? 

Ich finde einen gewissen weltverbessererischen Ansatz immer gut, und ich würde niemals einem Achtzehn-, Neunzehn-, Zwanzigjährigem vorwerfen, dass er naiv ist, weil dass man noch „naiv“ sein kann ist schließlich ein Privileg dieses Alters. [Lacht] Ich weiẞ, dass ich meine Schüler da ganz gerne desillusioniere, und sage „Jaja, jetzt seid ihr noch idealistisch, das legt sich dann.“ Obwohl diese Ernüchterung, wenn man das Leben und Menschen von anderen Seiten kennenlernt, finde ich auch nicht immer so gut. Ich finde es in Ordnung, dass gestreikt wird, und die Diskussion über die Schulpflicht sehe ich als eine etwas verlogene Debatte. Es wird ja auch viel geschwänzt und darüber wird nicht so viel geredet. Nur finde ich es schade, dass so viel über den Streik und Greta Thunbergs Toastbrot geredet wird und weniger über den Grund des Streiks, das kann’s ja auch nicht sein. 

Würden Sie denn auch mit ihrer Klasse mitdemonstrieren?

Ich war schon auf verschiedenen Demos, unser Hund hat auch schon Demos mitgemacht. Unsere Schule ist vom Kilmastreik aber überhaupt nicht betroffen, und ich habe am Freitag auch keinen Unterricht, könnte also nicht wirklich streiken. Ich habe mit meiner Klasse im Unterricht über den Streik geredet, und ich glaube, dass meine Schüler über das Thema nachdenken. Aber für sie sind die Streiks und Demonstrationen nicht der richtige Weg, und das ist ja auch eine legitime Haltung. Wichtig ist ja, dass man Stellung bezieht und einem solche Themen nicht gleichgültig sind. Wenn sie aber streiken gingen, hätten sie meinen Segen, und wenn die ganze Klasse demonstrieren würde, würde ich wahrscheinlich hingehen. 

Sie haben insgesamt viele Jahre im Ausland gelebt, was lockt Sie immer wieder, auch beruflich, zurück nach Südtirol? 

Mein Mann und ich, wir sind Grenzgänger auf allen Ebenen – ganz konkret, metaphorisch und wie man es sonst nehmen will. Wir sind viel in Grenzgebieten im Alpenraum unterwegs, und ich finde, das ist eine interessante Gegend. Auch wenn es ein abgedroschener Spruch ist, Südtirol ist auch so ein Grenzgebiet, und man merkt wirklich mehr als an anderen Orten, wie viele reale und metaphorische Grenzen dort verlaufen. Das ist spannungsreich, im Positiven wie im Negativen, und ich mag das. Es ist anregend, und Schreiben ist ja auch immer ein an die Grenze gehen. Es ist auch mühsam. Südtiroler können extrem mühsam sein, ich weiß das, weil ich ja selber eine bin. Ansonsten komme ich natürlich wegen der Menschen wieder, und wegen meiner Theatergruppe, die mit mir zusammen über die Jahre so viele wahnsinnige Sachen gemacht haben, das musst du erst mal finden. Leute, denen du sagen kannst, ich möchte ein krasses, bestürzendes Stück über Krieg schreiben, und die dann sagen, das ziehen wir durch. Das entspricht nicht dem Klischee einer Volksbühne. Ich würde allerdings überhaupt davor warnen, Volksbühnen zu schnell abzutun, weil ich immer wieder darüber staune, wie offen die Leute im Südtiroler Kulturbetrieb ist, gerade im Theaterbereich. 

Wo haben Sie bisher am liebsten gelebt?

Jetzt muss ich eine ganz kitschige Antwort geben. Ich dachte immer, dass ich gewisse Orte am liebsten mag, aber mittlerweile weiß ich, dass ich überall wohnen könnte, solange mein Mann, unser Hund und ich zusammen sind. 

In der Schweiz leben Sie mit Unterbrechung seit gut acht Jahren. Sprechen Sie fließend Schweizerdeutsch?                    

Ich verstehe es fließend, das ist schon mal ein Fortschritt. Aber da wo wir wohnen, im Engadin,  reden die Leute auch eher Rumantsch. Das verstehe ich leidlich, aber ich kann es nicht gut sprechen. Ich habe auch den Eindruck, dass man sich nicht gerade beliebt macht, wenn man den Schweizern mit schlechtem Schweizerdeutsch kommt. Viele im Engadin sagen auch, dass sie den Tiroler Dialekt ganz gerne hören, und insofern rede ich lieber das als unauthentisches Schweizerdeutsch, nicht dass ich die Schweizer noch brüskiere und sie es als schlechte Nachahmung verstehen.

Sie sind ein großer Fan des Eurovision Song Contest. Was halten Sie davon, dass dieser nun 2019 in Israel stattfindet? 

Letztes Jahr habe ich zu meinem Mann gesagt, egal wo der ESC nächstes Jahr stattfindet, da fahren wir hin, ich will da einmal live dabei sein. Dann hat die Kandidatin aus Israel gewonnen, und obwohl das keine Riesenüberraschung war, kam der Plan damit gewaltig ins Wanken. Man kann sich auch prinzipiell fragen, ob ein Land das sich im permanenten Kriegszustand befindet überhaupt beim ESC mitmachen sollte. Ich fand es immer gut, dass Israel dabei ist und sich künsterlisch präsentieren kann und das Politische, sagen wir, untergeordnet ist. Ich habe aber für mich beschlossen, nicht nach Tel Aviv zu fahren, weil ich die kognitive Dissonanz nicht aushalten könnte, diese schöne völkerverbindende Stimmung auf der einen Seite, und die Mauer großen humanitären Probleme auf der anderen. 

Die Südtiroler Band Vino Rosso hat aus Ihrem Gedicht „Bleib stian“ ein Lied gemacht – wie kam es dazu, und wird es zukünftig mehr Zusammenarbeit dieser Art geben? 

Simon Staffler von Vino Rosso ist einer dieser erwähnten Simon-Freunde, wir kennen uns schon seit langen Jahren. Er hat mich schon vor einer Weile gefragt, ob ich einen Text hätte, den sie vertonen könnten, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, ob ich „Bleib stian“ oder einen anderen vorgeschlagen habe. Als die Single veröffentlicht wurde, war es schon fast wieder eine Überraschung, und zwar eine sehr schöne, das Lied gefällt mir sehr gut. Das ist wieder so eine tolle Sache wie das Büchlein zu meinem Stück Korea. Und ja, ich schließe nicht aus, dass es mehr davon geben wird. 

Ist ein neues Buch auch geplant für Ihr vierzigstes Lebensjahr? 

Nicht so ganz – aber im Herbst erscheint endlich ein Comic, den ich mit Armin Barducci und Stefano Zangrando zusammen geschrieben habe. „Time Zap“ heißt er, es geht um die Geschichte Tirols und die Zielgruppe sind junge Leute. Buch wird es erst mal keins geben, weil ich ja mit Bücherschreiben nicht mein Geld verdiene. Ich möchte sehr gerne wieder einen Roman schreiben, aber das braucht enorm viel Zeit, und man muss es sich erst mal leisten können. 

Ihr Roman „Es ist nichts geschehen“ wurde vor einigen Jahren ins Schwedische übersetzt, und von der hochdeutschen Version von „Korea“ haben Sie ja eben gesprochen – sind mehr Übersetzungen Ihrer Werke ein Ziel? 

Es ist schön, wenn so etwas passiert, aber ehrlich gesagt finde ich, dass das Potenzial des deutschen Sprachraums noch nicht völlig ausgeschöpft ist in Bezug auf Leserschaft. Es gibt noch ganz viele Leute im deutschsprachigen Raum, und auch in Südtirol, die meine Bücher noch entdecken könnten, und das wünsche ich mir momentan.

Erscheint in zehn Jahren zum Fünfzigsten die Autobiografie? 

Ich hoffe nicht! Das ist immer viel gesagt, aber ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt mal eine Autobiografie schreiben möchte, das sind ja immer extreme Fiktionen seiner selbst. Aber das heißt ja nicht, dass ich in zehn Jahren keine schreiben möchte. Ich will ja auch immer etwas neues machen. Aber ich glaube eine Autobiografie müsste auf jeden Fall zu einem Zeitpunkt kommen, an dem ich zurückblicken möchte, und im Moment blicke ich noch viel lieber nach vorne.