Wirtschaft | Agiles Mind-Shaping

Bereit für die smarte Arbeit der Zukunft

Ein Mobiltelefon unter dem Namen Smartphone statt mit abstrakten Buchstaben- und Zahlenkombinationen zu lancieren, das war kluges Marketing. Labelling hat Potenzial.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die Kombination eines positiv besetzten Eigenschaftsworts, das als Synonym für kluge und dynamische Menschen gilt, mit einem neuen leistungsfähigen und attraktiven Lifestyleprodukt war ein Volltreffer. Das Label transportiert eine suggestive Werbebotschaft, die sofort einzieht, so wie eine Feuchtigkeitscreme unter die Haut geht. Welch vielseitig nutzbare Idee, mit jedem Label Identifikation und Identität mitzuliefern ohne diese entsprechend zu kennzeichnen! Solche subliminal angelegte Botschaften fallen nicht auf und entfalten eine große Wirkung. Doch die Glanztat bestand darin, dann die Brücke vom Smart Phone zum Smart Working zu konstruieren. Neue Beschäftigungsformen erhielten dadurch eine stylische Konnotation. Wie das Chassis einem Auto ein bestimmtes Image verleiht, wurde die Deregulierung des Arbeitsmarktes mit der positiven Aura einer zukunftsweisenden Innovation mit Zufriedenheitsgarantie korreliert.

Die Verpackung ist wichtig!

Damit prallt die Kritik an der neoliberalen Aushöhlung der erkämpften Garantien für die Arbeitsverträge und an der Aufweichung der sozialen Schutzmechanismen und paritätischen Mitbestimmungsverfahren zunächst einmal auf die charmante Glätte der werbetechnischen Verpackung. Um auf den Verlust an Verteilungsgerechtigkeit und die Beschneidung der Würde der ArbeitnehmerInnen näher eingehen zu können, müsste zunächst einmal die Botschaft des Labelling des Smart Working relativiert und entkräftet werden. Keine kleine Hürde. Schließlich handelt es sich um einen Begriff, dessen Bedeutung in der individuellen Vorstellungswelt der Menschen einen weit größeren Identifikations- und Interpretationsraum einnimmt als dessen juridische Durchdeklinierung – und diese ist, wenn überhaupt vorhanden, von Land zu Land verschieden. Mängelrügen am weitläufigen und wenig strukturierten System der digitalen Arbeitswelt sind schwierig, wenn erfolgreicheres, effizienteres und mit größeren Freiräumen ausgestattetes Arbeiten als großes Versprechen einer gesicherten und besseren Zukunft über der öffentlichen Debatte schwebt.

Wording nimmt Entwicklung vorweg

Remote Working und Teleworking sind blasse Vorgänger des neuen Wording in der Arbeitswelt. Neuerdings steigt die Quotierung des Agile Working. Immer aus dem Englischen übernommen, wird dieser Begriff vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitiken synonym zum Begriff Smart Working verwendet. Der "Lavoro agile“ ist gem. Gesetz Nr. 81 vom 22.05.2017 als eine Ausübungsform des unselbständigen Arbeitsvertrages ohne strikte Vorgaben zur Arbeitszeit und zum Arbeitsort charakterisiert, die auf einer individuellen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in und der Nutzung digitaler Technologien beruht. Ziel ist die Unterstützung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmer bei der Vereinbarung beruflicher und privater Zeiterfordernisse sowie, laut Ministerium, hinsichtlich der Steigerung seiner/ihrer Produktivität. Im Kern geht es um die Regelung der Telearbeit, deren Nutzung laut Bericht des Osservatorio Smart Working des Politecnico Mailand von 2019 noch zu wünschen übrig lässt, aber durch die eingeschränkte Mobilität während der Coronaviruspandemie in Schwung kommen könnte. Das ist der geeignete Zeitpunkt, um einen Durchbruch bei der kompletten Neuausrichtung der Arbeitsgesetzgebung durchzusetzen.

Klassische soziale Konfliktlinien

Die Arbeitsgesetzgebung und die Diskussion dazu auf wissenschaftlicher und Sozialpartnerebene ist, wie ein Working Paper des Arbeitsrechtlers Michele Tiraboschi bereits kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes veranschaulicht hat, seit den 90er Jahren von einem klassischen sozialen Konflikt geprägt. Denen, die an den normativen Konzepten des traditionellen abhängigen Arbeitsvertrags und den daran festgemachten sozialen Schutzmaßnahmen festhalten, stehen jene gegenüber, die aufgrund des umfassenden Wandels der Arbeitsorganisation und der neuen digitalen Strukturierungsmechanismen den Weg für eine neue Regelung der Arbeitsverträge und des Verhältnisses zwischen AuftraggeberInnen und AuftragnehmerInnen freimachen wollen. Es ist klar, dass es bei einer Neuregelung keine automatische Übernahme der Garantien für die Beibehaltung der Lohnniveaus und -verhandlungsverfahren, der Schutz- und der Mitbestimmungsmechanismen des alten Modells der Konfliktregelung gibt. Was erreicht werden kann ist einfach eine Frage der Kräfteverhältnisse. Zwischen gewerkschaftlichen Justamentstandpunkten, gesetzgeberischen Bremsmanövern, wissenschaftlichen Reformermutigungen und kollektivvertraglichen Erkundungen des neuen Terrains wird eine Neuschreibung der Arbeitsmarktregeln unausweichlich sein.

Begriffe vermitteln Regulierungsmuster

Der internationale Austausch und die dadurch geförderte umfassende Anglisierung der wissenschaftlichen Tätigkeiten haben einen großen Anteil daran, dass sich Begrifflichkeiten wie Smart Working und Agile Working als Schlüsselbegriffe generell auch in der Gesetzgebung in anderen Sprachen durchsetzen. Sie werden allerdings aus Gesellschaften und Rechtsordnungen entlehnt, die markant auf ein neoliberales Verständnis des Arbeitsmarktes und des Verhältnisses zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen als deren – traditionell - zentrale Akteure ausgerichtet sind. Der Reformdruck ist groß und wird auf verschiedenen Ebenen in den Vordergrund gerückt. Dazu trägt auf wissenschaftlicher Ebene das akribische Auseinandernehmen unzulänglicher und widersprüchlicher gesetzlicher Regelungen ebenso bei wie massive Meinungsoffensiven gegen anachronistische Rechtsgebäude und in die Defensive gedrängte Interessenvertretungen. Vorstöße zur Aushebelung traditioneller Regulierungskanons werden vielfach mit deren Beteiligung in Kollektivverträgen und Betriebsabkommen unternommen. Werden fremdsprachliche Begriffe übernommen ohne eigene sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten und klare definitorische Abgrenzungen auszuloten, suggeriert das die Vorwegnahme der entsprechenden gesellschaftlichen Interpretations- und Regulierungsmuster.

Gesetzgeberische Bremsmanöver und kreative Betriebsabkommen

Tiraboschi teilt die Überzeugung, dass in der Arbeitswelt eine „große Umwälzung“ stattfindet, die ausgehend von der Neuregulierung bzw. der Flurbereinigung bei den Arbeitsverträgen zum Remote Working auch andere bislang als unverrückbar geltende arbeitsrechtliche Aspekte wie die Arbeitszeitmodelle erfassen wird, die strikte Unterscheidung von abhängiger und selbständiger Arbeit und die Zuordnung des unternehmerischen Risikos. Tiraboschi belegt, dass die ständige Einführung neuer Begrifflichkeiten die Abgrenzung zwischen Telearbeit und agiler Arbeit erschwert und die Betonung von für die selbständige Tätigkeit charakteristischen Elementen wie Ergebnisbezogenheit, Eigenständigkeit in der Leistungserbringung und Verantwortung für die Arbeitssicherheit in der Regulierung des „lavoro agile“ als abhängigem Arbeitsvertrag dessen konzeptionelle Linearität auf die Probe stellen. Die Abschaffung der Projektverträge, heißt es weiter in dem Beitrag, hat eine Lücke in der Regulierung gefragter Beschäftigungsarrangements hinterlassen.

Die Einschränkung der zahlreichen nicht an den Arbeitsplatz im Unternehmen gebundenen Formen der Arbeitsleistung auf abhängige Arbeitsverhältnisse, ist, wie Tiraboschi ausführt, sachlich gesehen unlogisch, da diese genauso im Rahmen von selbständigen Beschäftigungsverhältnissen erbracht werden (können), die folglich auch einer Regelung bedürfen. Betriebsabkommen haben die Quintessenz der agilen Arbeitsverträge an die gelegentliche Ausübung der Tätigkeit außerhalb des Sitzes des Unternehmens, die telematische Verbindung mit dessen Netz oder die fallweise Anwesenheitspflicht im Unternehmen geknüpft, um diesen eine von der Telearbeit unterscheidbare formale Konsistenz zu verleihen und die Nutzbarkeit der gesetzlichen Neuerung sicherzustellen. Jenseits der juridischen Spitzfindigkeiten und der kreativen Gestaltungspraxis bleiben jedenfalls offene Fragen, die in der digitalen Arbeitswelt die Orientierung erschweren.

Visionen zur guten Arbeit im digitalen Zeitalter neu ankurbeln

Bei der Anpreisung der schönen neuen Arbeitswelt, in die wir dank disruptiver technischer Entwicklungen eintauchen können, wird vor allem die Unausweichlichkeit des Wandels unterstrichen und das vielfältige Potenzial der digitalen Netze und Plattformen mit dem Enthusiasmus der Pioniere beschrieben. Die „Befreiung“ der Unternehmen von den Bremsklötzen und Hemmschuhen einer überholten Arbeitsmarktregulierung findet in der Business Agility und im Agile Working ihr wirkungsvolles positives Programmparadigma. Kein Thema scheinen hingegen Modelle zu sein,

  • wie in einer grundlegend neu strukturierten Arbeitswelt unter Nutzung digitaler Instrumente der Vernetzung faire und für das Auskommen der Beschäftigten und ihrer Familien ausreichende sowie für die eingebrachte Professionalität angemessene Löhne gewährleistet werden können,
  • wie berufliche Qualifikation in einem grenzübergreifenden globalen Kontext anerkannt und gegen Risiken der Ausspielung der vielfältigen individuellen und Standortdisparitäten geschützt werden kann,
  • wie künftig kollektive Modelle der Sicherung der Rechte der Beschäftigten und der Mitbestimmung umgesetzt werden können, die weit mehr Schutz bieten als individuelle Verhandlungen zwischen AkteurInnen mit unterschiedlicher Verhandlungsstärke, und
  • wie sozialer Schutz in solchen Zeiten der Entgrenzung traditioneller Sozialstaatskonzepte durchgesetzt, organisiert und finanziert werden kann.

Professionalität als Maßstab wichtiger als technische Hilfsmittel

Für die notwendige Regelung aller unterschiedlichen Formen der Beschäftigung in einem „Statut der Arbeiten“, zu dem 2001, also vor nahezu 20 Jahren bereits ein Weißbuch erschienen ist, kann nicht die Nutzung technischer Hilfsmittel ausschlaggebend sein. Diese haben instrumentellen Charakter. Zu schauen ist stattdessen auf die Inhalte der Arbeitsleistung und, zu dessen Einordnung in ein kohärentes System der Arbeitsverträge und der erforderlichen Mitbestimmungs- und Schutzmechanismen, auf die reale technische und individuelle Möglichkeit, diese mit unterschiedlichen Formen und Stufen der Koordination mit dem Auftraggeber zu erbringen. Entgegen der Meinung von Tiraboschi zu den seiner Ansicht nach obsoleten „Stereotypen“ der Klassifizierung von beruflicher Qualifikation in den Kollektivverträgen ist gerade die wertschätzende Erfassung der Professionalität und der Fähigkeit zur Umsetzung derselben im konkreten Arbeitskontext ein wichtiges Kriterium für die Bestimmung der Abhängigkeit oder der Eigenständigkeit künftiger ArbeitskraftunternehmerInnen und die Austarierung von Mechanismen für den Ausgleich des vorhandenen Machtgefälles zwischen Auftraggeber/in und Auftragsausführer/in.

Das Label „agile Arbeit“ ist inzwischen auch in Südtirol ein amtlicher Begriff und zwar im Maßnahmenpaket zur Handhabung der Coronaviruspandemie, das mit der Dringlichkeitsverfügung des Landeshauptmanns Nr. 10 vom 16.03.2020 erlassen worden ist. Mit Bezug auf die produktiven Tätigkeiten und Dienstleistungsberufe wird darin den Unternehmen die Umsetzung von agilen Arbeitsmodalitäten für Tätigkeiten empfohlen, die vom eigenen Domizil aus oder über die Distanz ausgeführt werden können.