Gesellschaft | Sprachwissenschaft

Zwei Sprachen mit einer Buchklappe

Schon Cicero machte es den heutigen Südtiroler Krautwalsch-Sprechenden vor und sprang in seinen Briefen mitten im Satz vom Lateinischen ins Griechische.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Sprachwissenschaft
Foto: CC0

Einen Sprung durch die Jahrhunderte später, fand die etablierte Sprachwissenschaft einen Begriff für das antike vorsüdtirolerische Phänomen: Code-Switching. Diesem, sowie dem Forschungsschwerpunkt der Zweisprachigkeit und damit verbundener neurologischer Prozesse widmet sich die Sprachwissenschaftlerin Prof. Rita Franceschini. Als ehemalige Rektorin der Universität Bozen widmeten ihre Kollegen ihr zum sechzigsten Geburtstag einen Workshop zum Thema „Historische Aspekte der Mehrsprachigkeit“. Heute unterrichtet Prof. Franceschini an der Fakultät für Bildungswissenschaften Sprachwissenschaft, Spracherwerb und Deutsche Linguistik. Über das vorneuzeitliche Pendant des Erasmus Spracherwerbs, emotionale Sprachlernbarrieren und kognitive Vorteile der Mehrsprachigkeit spricht Frau Rita Franceschini im Interview.

 

 

Sie absolvierten ein Studium der Romanistik und Germanistik. Hat die Studienwahl persönliche Gründe, die vielleicht in Ihren Schweizer Wurzeln liegen, oder woher kommt Ihr Interesse für Sprachen?

Ich bin selbst zweisprachig aufgewachsen: In der Schweiz ist es fast unumgänglich mit mehreren Sprachen in Berührung zu kommen (lacht). Ich wollte zuerst Musik studieren, dann Architektur, am Ende habe ich mich doch auf Sprachen spezialisiert. Es fasziniert mich, wie Personen mit mehreren Sprachen umgehen können, wie mit Spielbällen. 

 

Sprache ist häufig gekoppelt mit Identität. Sind Sie jemals in identitäre Sinnkrisen geraten, oder würden Sie sagen, Zweisprachigkeit bringt keine solcher Nachteile?

Als Kind war es mir immer wahnsinnig peinlich, wenn man mich danach fragte, welche Sprache ich besser spräche. Das gab mir immer ein sehr komisches Gefühl. Das könnte vielleicht ein innerer Konflikt gewesen sein. Aber ich kann nicht sagen, dass ich meine Identität an eine Sprache binde. Ich sehe mich als Persönlichkeit, die mehrere Identitätsfacetten besitzt. Sprache ist damit verwoben, mit der eigenen Entwicklung, dem eigenen Leben. Ich könnte nicht sagen ich bin dies, oder jenes. Ich lasse mich durch solche Fragen nicht mehr in eine peinliche Situation hineinversetzten und gehe heute viel lockerer damit um.

 

Können Sie den Umgang mit der Zweisprachigkeit in der Schweiz, mit der Art in Südtirol vergleichen? Da Sprache hier politischer ist und auch mit negativen historischen Erfahrungen gekoppelt, wird die Entscheidung für eine Sprache oft gleichgesetzt mit der Entscheidung für eine nationale Identität.

Das ist in der Tat ein großer Gegensatz. Ich wusste aus meinem Studium über die  Situation der Minderheit in Südtirol bescheid. Aus wissenschaftlicher Betrachtung haben Minderheiten immer ein spezifisches Verhältnis zur übergeordneten Sprache, die oft als koloniale Überdachung angesehen wird. Aus diesem Grund muss man immer vorsichtig und sensibel damit umgehen. Wissenschaftlich ist man sozusagen schon darauf vorbereitet, dass man ein Minenfeld betritt. Bis man dann gemerkt hat, wo genau die Minen liegen, ist man oft schon mitten drin (lacht). Persönlich versuche ich, die Minen zu ignorieren. Im sozialen Kontext muss ich natürlich darauf eingehen. Auf jeden Fall, ist ein schwieriger Umgang mit zwei Sprachen niemals neurologisch bedingt. Das Gehirn hat kein Problem damit. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann werden diese von sozialen, politischen und historischen Umständen geprägt.

 

Diese Ansichtsweise impliziert aber auch, dass fehlende Zweisprachigkeit in Südtirol politischen Sozialisierungen oder dem Willen geschuldet ist und weniger kognitiven oder didaktischen Mancos?

Laut dem Sprachbarometer können weniger italienischsprachige Deutsch, wie umgekehrt. Das heißt, in gemischten Gruppen passen sich deutschsprachige dem Italienischen an, was natürlich das ganze zu Gunsten der italienischen Sprache verschiebt. Das ist schade, da es andernfalls kein so starkes Sprachgefälle gäbe. Das liegt allerdings nicht an kognitiven Fähigkeiten oder daran, dass Deutsch eine schwerere Sprache ist. Beim Spracherwerb sind Emotionen und eine positive Einstellung essentiell. Ein Kind, das nicht gern Geige spielt, wird das Instrument nie gut lernen. Ein Kind, das nicht gern Fußballspielt ebenso nicht super Fußballspielen. Ein Kind, das merkt, dass Eltern negative Gefühle gegen die italienische Sprache hegen, lernt die Sprache auch nicht gern. Die Einstellungen, die von der Familie mitgeprägt werden, sind extrem wichtig. Der Satz „Du hast bessere Berufschancen wenn du Erwachsen wist“ zeigen bei einem siebenjährigen Kind keine Wirkung. Das Sprachverhältnis entwickelt sich viel mehr über Emotionen und Einstellungen. Es ist somit die Aufgabe der Eltern, den Kindern eine offene Haltung gegenüber der anderen Sprache mitzugeben. Man kann den Spracherwerb nicht allein der Schule delegieren.

 

Gibt es ein Alter, ab dem man von Zweisprachigkeit sprechen kann?

Nein, da gibt es kein Alter. Die Definition „Zweisprachigkeit“ umschließt heute eine adäquate Anwendung der Sprache im Alltag. Die Korrektheit steht nicht mehr im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, zu kommunizieren. Das muss kein philosophisches Traktat sein. Man setzt sich immer dieses unrealistische Ziel, perfekt in beiden Sprachen, und genau gleich zu sein. Aber das gibt es sehr selten. Man wird keinen Zweisprachigen finden, der in beiden Sprachen, in exakt jedem thematischen Bereich genau dasselbe Vokabular besitzt. Egal ob es sich um Küche, Technik, Small-talk oder Grammatik handelt. Realistisch hingegen ist ein ungleicher Wortschatz, je nach Erfahrung, die der Betroffene in den beiden Sprachen gemacht hat.

 

Sie haben sich in Ihrer Forschung viel mit den Auswirkungen einer zweisprachigen Erziehung auf die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten des Kindes auseinandergesetzt. Können Sie uns einen kleinen Einblick in die Ergebnisse der Studien geben?

Es hat sowohl positive, wie auch negative Auswirkungen gegeben. Zum Einen sind zweisprachig aufgewachsene Kinder schneller darin Entscheidungen zu treffen, sprich in ihrer Reaktionsfähigkeit. Das hat damit zu tun, dass sie von früh auf lernen, mit wem sie in welcher Sprache sprechen können, in welcher Situation sie welche Worte benutzen müssen. Dadurch wird dieser „Entscheidungsmuskel“ gestärkt. Auf der anderen Seite, sind sie langsamer, wenn es um den Wortschatz geht. Das liegt wohl daran, dass sie, verbildlicht dargestellt, in ihrem Gehirn in zwei Lexika nachschlagen müssen, bevor sie das Wort finden.

Was wir auch untersuchen, sind die Vorteile der Mehrsprachigkeit im Alter. Wir untersuchen Südtiroler und vergleichen sie zu einsprachigen Mailändern und wiederum zweisprachigen Bewohnern Hongkongs. Es hat sich herausgestellt, dass durch Zweisprachigkeit im Gehirn lebenslang Netzwerke etabliert werden. Diese helfen im Alter Lücken besser zu schließen und so altersbedingte Verminderung bestimmter kognitiver Fähigkeiten zu kompensieren. Alzheimer wird zwar nicht vorgebeugt, allerdings besser kompensiert und mit den vorhandenen Reserven ersetzt. D.h. bei selbem Krankheitsstadium, ist das Verhalten eines zweisprachigen Alzheimerpatienten gesünder bzw. macht sich die Krankheit weniger bemerkbar. Das macht im Schnitt eine längere Lebensqualität von 4-5 Jahren aus.

 

Werfen wir einen historischen Blick auf die Sprachdidaktik. Wie ist die Methodik heute im Vergleich zu früher?

Früher war es üblich, mehrere Sprachen zu erwerben. Es gab Sprachlehrbücher, in denen mehrere Sprachen gleichzeitig abgedruckt waren. Selbst Wörterbücher konnten siebenspaltig sein, wo also jede Sprache nebeneinander stand. Das waren riesige Bücher! (lacht). Das ging mit der Zeit verloren. Heute konzentrieren wir uns nur auf eine Sprache. Das ist etwas Neues, eine Entwicklung, die sich erst nach der Renaissance eingestellt hat. Außerdem lernte man früher viel mehr über Dialoge, also im Sprachaustausch. Sogar in vielen Lehrbüchern standen statt Grammatikregeln und Übungen, einfach Alltags-Dialoge in zwei, drei Sprachen. So hat die Person dann, statt sich theoretische Regeln vom Lehrer beibringen zu lassen, eine Fremdsprache einfach selbst durch Dialoge gelernt. In den Büchern standen allerhand praktische Angaben, etwa, Ausdrücke um dem Anderen Gutes zu wünschen, um dem Anderen Böses zu wünschen, um Stoffe zu kaufen, ja sogar um zu fluchen.

 

Welches sind heutige methodologische Herausforderungen bzw. welche fehlenden Grundsätze sollte die heutige Sprachdidaktik besser umsetzen?

Eine wichtige Aufgabe übernehmen Vorbilder, also Menschen, die einen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Diese sollen klar ausdrücken, dass es ok ist, eine neue Sprache zu lernen und man dabei nicht seine Identität verliert. Es sollte allgemein lockerer mit Zweisprachigkeit umgegangen werden. Auch die starke Trennung der Sprachen ist nicht förderlich für eine erfolgreiche Sprachdidaktik. Außerdem gilt es, die erhöhte Fehlertoleranz zu üben. Das gelingt, in dem man sich nicht immer sofort der anderen Sprache anpasst, sondern dem Gegenüber die Möglichkeit lässt, in der jeweiligen Zweitsprache zu kommunizieren, Fehler zu machen und zu zeigen, dass es ok ist, dass es nicht perfekt sein muss. Aus alten Didaktikbüchern sollten wir auch lernen, nicht nur regelgeleitet Sprache zu vermitteln, sondern anhand von authentischen und anwendbaren Sprechsituationen. Man sollte z.B. nicht getrennt Vokabeln lernen: „die Schule“, „der Vater“ sondern: „in der Schule“, „mit dem Vater“, usw. sodass bereits Grammatikelemente mit einfließen. Das sind didaktische Tricks, die wir auch unseren Studenten weitergeben. Die große Herausforderung, bleiben aber weiterhin die Einstellungen.