Zeitgenössische Eislöcher
Die Frage No-one knows what a body can do? geht ursprünglich auf Spinozas Hauptwerk Ethik zurück. Sie ist für ihn zentral, weil sie ihren Blick auf die körperliche Fundierung geistiger Tätigkeiten richtet.
Der Körper unterliegt einer permanenten Verneinung durch das Subjekt. Dieses wird erst durch wiederholte, performative Sprechakte der Anrufung hervorgebracht. Indem sich der Prozess der Konstituierung jedoch nie vollständig, sondern immer in der Wiederholung vollzieht, besteht die Möglichkeit einer Bedeutungsverschiebung oder -verfehlung. Sein Versuch, den Platz des Körpers einzunehmen, lässt das Subjekt als Ursprung jeglichen Handelns erscheinen. Aber die Vorstellung des Körpers als eine leere Hülle, als tabula rasa, in der sich ein Diskurs einschreibt, vergisst, dass die Materialität des Körpers nicht nur Form, sondern Voraussetzung dafür ist und sich auch außerhalb einer vordiskursiven Realität bewegt, die sich begrifflicher Fassung entzieht. Affekte lassen sich somit nicht alleine durch Sprache realisieren, sondern erst mit Hilfe einer Grammatik des Körpers.
In der Ausstellung soll der Begriff der Interpolation, was soviel wie „auffrischen“, „umgestalten“ oder „verfälschen“ heißt, in seinen unterschiedlichen Anwendungen untersucht werden. Folgende Künstler und Autoren sind vertreten: Susan Kooi & Lukas Hoffmann, Collective Samet Yilmaz, Arnaud Lajeunie, Eugenia Lapteva & Erik Gustafsson, Jonathan Lahey Dronsfield, Christian Fogarolli, Michell VVolta, Hanne Lippard & Maurits de Bruijn, Stefano Bernardi, Masatoshi Noguchi und Inga Lace.
Samet Yilamz (formerly known as k.i.Beyonce) besteht aus den Mitgliedern Susan Kooi, Lukas Hoffmann, Lot Meijers, Elke Baggen und Nikki Oosterveen. Gestartet haben sie als Artspace in einem überfluteten Keller in Amsterdam. Sie verstehen sich als „eine Gruppe, welche einen Weg entwickelt hat, in der Kunstwelt zu existieren." In ihrer Arbeit „The Crusade" (Der Kreuzzug) sind alle Mitglieder, einschließlich der Residency-KünstlerInnen Lukas und Susan, auf jeweils einem Teppich in der bevorzugten Liebespose mit ihren jeweiligen Partnern zu einem Teppich verwoben.
Der visuelle Essay The New Infinity: A State of Being or Becoming von Eugenia Lapteva und Erik Gustafsson erkundet die psychoanalytischen und philosophischen Untersuchungen menschlicher Beziehungen einer Zeit, in der sich unsere Existenz weit über die körperliche Erlebniswelt hinaus in sozialen Netzwerken und Online-Portalen erstreckt. Bei jeder kleinsten digitalen Reproduktion unserer selbst entsteht eine Interferenz von Realem und Fiktivem. Wir spalten uns auf in fragmentarische Multiplen und verfallen dem Irrglauben, auf omnipotente Art und Weise jedes Geschehnis hervorrufen oder beeinflussen zu können.
Arnaud Lajeunie arbeitet meist im Rahmen der Modefotografie, zusätzlich ist er Mitbegründer und Foto-Redakteur des alternativen Erotik-Magazins Uimparafaite. Der Kontext, in dem er sich bewegt, sieht sich in ständiger Konfrontation mit herkömmlichen Erwartungen der Idealisierung und Erotisierung des Körpers, auf die er auf vielfältige Weise antwortet und den Blick auf das unerwartet Schöne und Bizarre lenkt. Durch seine über das Normative hinausgehende Darstellungsmethode wird den abgelichteten Körpern ein Bewegungs- und Ausdrucksraum zurückgegeben. Lichtspiele sowie der oft anzutreffende exzentrische Einsatz von Pigmenten lassen die Körper mit ihrer Umwelt verschmelzen.
„Not the word after practice but the word as practice, not theory before practice but theory as practice.“ Jonathan Lahey Dronsfield versteht Theorie als künstlerische Praxis. Seine Forschung gilt dem, was Kunst sagt und was über Kunst gesagt werden kann. „Reading out loud Spinoza" ist ein laufendes, performatives Projekt. Über einen Zeitraum von 24 Stunden wird Spinozas Ethik laut vorgelesen. Als Grundlage der Lesung dient die transkribierte Fassung der letzten Performance, mitsamt ihrer Wiederholungen, Versprecher und Kommentare. Jeder der Teilnehmer ist dazu eingeladen, selbst vorzulesen und damit Teil der körperlichen Einwirkung auf den Text zu werden. Im Zuge dieser kräftezehrenden Performance soll sich der Text in Praxis verwandeln, um dem Zitat no-one knows what a body can do von Spinoza Rechnung leisten zu können.
Am Mittwoch den 31. Mai gibt es dann in Zusammenarbeit mit Salto Talk / Salto Walk einen geführten Spaziergang durch das Gleifwäldchen, in dem der Südtiroler Künstler Stefano Bernardi seine neue Klanginstallation zum Erklingen bringt.