Kultur | Salto Afternoon

Bitte zu Tisch

Zwanglos, günstig und unterhaltsam. Das Projekt "Sprachlounge - Caffè delle lingue" bringt viel(ver)sprechend Menschen zusammen. Ein Gespräch mit dem Projektkoordinator.
portugisisch
Foto: Salto.bz

salto.bz: Das Projekt „Sprachlounge - Caffè delle lingue“ gibt es seit nunmehr 18 Jahren. Nun wurde es zum ersten Mal in einem Seniorenheim veranstaltet. Zufall oder Zukunft?

Thomas Rainer: Weder noch – außer, dass vielleicht ein Seniorenheim für viele von uns ein Teil der Zukunft sein wird. Der Einladung der Koordinatorin für Freizeitgestaltung des Seniorenheims St. Vinzenz in Bozen, Giovanna Carnevale folgend, haben wir uns gerne auf diese einmalige Zusammenarbeit eingelassen, ganz im Sinne eines generationsübergreifenden Projektes. Zudem werden dabei auch verschiedene Realitäten der Stadt Bozen zusammengebracht, es wird Raum für neue Begegnungen geschaffen. Wenn es auch nur kurze Momente sind, aber sie sind für alle Beteiligten erhellend und befriedigend. Jedenfalls waren die Reaktionen durchaus positiv – sei es für unsere Sprachlounge-Teilnehmer als auch für die Gäste im Haus, als auch für die einzelnen Bewohner des Hauses, die bei den sogenannten Sprachtischen aktiv anwesend waren. Ebenso für das Personal des Hauses, welches miterlebte, was mit einfachen Mitteln möglich ist.


Ist das Erlernen neuer Sprachen eine Altersfrage?

Ich denke schon. Denn im hohen Alter wird es anstrengender, sich auf eine neue Sprache einzulassen bzw. sich neue Wörter zu merken. Kinder und Jugendliche haben allemal einen spielerischen Zugang zum Spracherwerb und erlernen Sprachen viel schneller. Wobei das Erlernen von Sprache auch abhängig ist von der Beziehung zur Person, die einem die Sprache beibringt.

Welche Vorteile bieten die Sprachlounge-Veranstaltungen im Unterschied zum Erlernen über Smartphone oder am Computer?

Lernen erfolgt zum Großteil über Beziehung. Der Aufbau von positiven, zwischenmenschlichen Kontakten, wirkt im Lernprozess als Transmitter. Das ist sozusagen das Öl im Getriebe. Der direkte Kontakt mit anderen Menschen, der Dialog, fordert zum Sprechen heraus. Wichtig ist dabei die Reaktion des Gegenübers bzw. der Gruppe. Es ist eine Grundregel, dass jeder auf seinem Niveau sprechen kann und, dass dies auch respektiert wird. Man hilft sich gegenseitig weiter mit neuen Wörtern, mit Korrekturen, mit Umschreibungen.

Wie steht es um die Fehlerfreiheit in den Gesprächen?

Wenn Fehler gemacht werden, gibt es auch viel gemeinsam zu lachen und im gemeinsamen Sprechen merken die Besucher, dass jeder Fehler macht. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, mit der Ängste und Unsicherheiten abgebaut und Energien für den Lernprozess freigemacht werden.


Wie läuft eine Sprachlounge im Normalfall ab?

Man nehme einen Tisch, markiere diesen mit einer bestimmten Fremdsprache, setze einen Muttersprachler dazu, der die Gesprächsleitung übernimmt – die/der sog. Moderator/in. An dieser Fremdsprache interessierte Menschen setzen sich dazu und es wird in der jeweiligen Fremdsprache über Gott und die Welt gesprochen – et voilà!

Welche Themen werden besprochen?

Themen finden sich immer. Meist beginnt das Gespräch mit einer Vorstellungsrunde, daraus ergeben sich dann schnell weitere Gespräche. Besucher, die mehrere Sprachen üben wollen, können den Sprachtisch auch während des Abends wechseln.


Was kostet der Sprachspaß?

Eine Anmeldung ist nicht notwendig, das Angebot ist kostenlos. Wir bitten lediglich um eine Spende von 1 € pro Teilnahme – überlassen das also der Verantwortung des Besuchers, ob sie oder er das Projekt unterstützen möchten. Außerdem besteht die Möglichkeit während der Veranstaltung Getränke zu kaufen – aber ganz ohne Konsumzwang.

Gibt es Trends beim Erlernen von Sprachen? Welche Sprache ist in Bozen gerade besonders in Mode?

In den vergangenen Jahren haben wir viele Sprachen angeboten. Aber letztendlich haben sich die für uns klassischen Fremdsprachen gehalten und da ist die Teilnahme konstant – etwa bei Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch. Für die Sprachen Deutsch und Italienisch hat die Begeisterung in letzten zwei bis drei Jahren nachgelassen.  

Wer interessiert sich für Deutsch und Italienisch?

Bei den Tischen unserer beiden Landesprachen finden sich oft Arbeitssuchende, Menschen mit Migrationshintergund oder Pflegepersonal, aber auch Leute, die sich auf die Zweisprachigkeitsprüfgung vorbereiten.
Wir hatten in den vergangenen Jahren auch Zimbrisch, Arabisch, Russisch und Ladinisch im Angebot. Den Ladinisch-Tisch werden wir bald wieder anbieten, da es zurzeit bei den Ladinisch-Kursen – angeboten von der Comunanza Ladina in Bozen – eine große Nachfrage gibt. Ob das aber eine Mode ist, lässt sich schwer abschätzen...
 


Euer Projekt ist gelebter europäischer Geist und setzt auf Mehrsprachigkeit. Politisch wie gesellschaftlich ist bei vielen Menschen allerdings nationale Einsprachigkeit erfolgreich. Warum sind Mehr-SprachenliebhaberInnen in der Minderheit?

Sicherlich sind dafür viele Gründe auszumachen, denn es handelt sich da um eine äußerst komplexe Thematik, die nicht mit einer einfachen Erklärung behandelt werden kann. Wir beobachten, dass hier in Südtirol ein immer noch relativ großes Kommunikationsvakuum zwischen den Zugehörigen der zwei Landeshauptsprachen Deutsch und Italienisch herrscht. Dem zugrunde liegt natürlich die immer noch präsente und von der Landespolitik in weiten Teilen geforderte und geförderte Frage der Zugehörigkeit zu einer Sprache. Dass es um das „Sein“ im universellen Sinne geht und Sprache auch Begegnung und damit Öffnung und Friedensstiftung bedeutet, bleibt da ziemlich im Hintergrund. Sicherlich spielen aber auch in der Entscheidung, ob man eine neue Fremdsprache lernt oder nicht, ganz banale Fakten eine Rolle: Zeit und Geld.
Glücklicherweise sehen wir in der Sprachlounge immer wieder, dass viele Menschen den Wert der Fremdsprachen erkannt haben: Sprachen machen Freude.

Sind mehrsprachige Menschen in der Minderheit? Gibt es Zahlen dazu?

Ich würde eher sagen: Nein. In den meisten europäischen Ländern wird an den Schulen jeweils eine zweite Sprache unterrichtet. Theoretisch besteht also die Möglichkeit und der Zugang zu mehreren Sprachen. Mit Sicherheit öffnet Mehrsprachigkeit den eigenen Horizont, auch wenn er auch nicht zwingend den Respekt anderen Menschen gegenüber fördert. Auch Diktatoren und Despoten können mehrsprachig sein.


Euer Projekt ist ja nun sozusagen volljährig. Wie ist das Projekt gewachsen?

Die Idee wurde von Viola Daubenspeck, der einstigen pädagogischen Leiterin im papperlapapp, ins Leben gerufen. Das war 2001 und erfolgte nach einem Modell aus Belgien. In Zusammenarbeit mit der Sprachschule Alphabeta Piccadilly aus Bozen wurde das Konzept des Sprachtreffs vom Bozner Jugendzentrum erstmals in Italien eingeführt. Der Start, mit damals vier Sprachen, war noch bescheiden und benötigte eine längere Aufbauphase. Doch der Lerngewinn und die positive und stimulierende Atmosphäre machten das Projekt letztendlich im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Ort der Begegnung. Heute zählt die Sprachlounge in Bozen rund 1.500 Präsenzen pro Jahr an drei verschiedenen Standorten mit insgesamt sieben Sprachen. Pro Sprachtisch sind im Schnitt 40 Besucher zu verzeichnen. Je nach Standort und Jahreszeit, gibt es auch Spitzenwerte von bis zu 70 Besuchern pro Abend.
Im Frühjahr 2017 kam das Zweigprojekt "Sprich mit" dazu: aufbauend auf die gleichen Prinzipien der Sprachlounge, konzentriert sich dieses Projekt auf den Erwerb der deutschen Sprache und findet zwei Mal wöchentlich statt.

Ob Papperlapapp oder Seniorenheim: die Sprachlounge funktioniert generationsübergreifend. Wäre der kommunikative Austausch zwischen Jugendlichen und Senioren ein mögliches Zukunftsprojekt, wie es andere Länder erfolgreich vormachen?

Dies ist ein hehrer Wunsch, der meiner Ansicht nach diesem Modell nicht funktioniert. Jugendliche setzen sich nicht an einen Tisch mit Erwachsenen, die ihre Eltern und Großeltern sein könnten und reden mit denen drauf los. Da haben wir nur Einzelfälle erlebt. Allerdings spricht das Projekt Menschen verschiedenster sozialer Schichten und Bereiche an, Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen.


Gibt es Sprachlounge-WiederholungstäterInnen?

Absolut. Wir haben gut 50% Stammpublikum, also Besucher die seit Jahren dabei sind. Es gibt auch solche Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die früher dabei waren und nach einer Pause nun wieder an die Sprachtische zurückgekehren. Diese Tatsache bestätigen, dass dieses einfache Modell bestens funktioniert, wohl wegen der starken sozialen Komponente.