Kultur | Offener Brief

“Nichts außer Panik-PR“

“Wer Soldaten und Panzer am Brenner sehen möchte, beschwört den nationalistischen Ungeist früherer Zeiten herauf“, schreibt Gerhard Ruiss in einem offenen Brief.
Brenner
Foto: Mapio.net
Bereits im Februar 2016 hatte sich Gerhard Ruiss, Wiener Autor, Musiker und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren als Mitunterzeichner eines offenen Briefes von Kunstschaffenden dies- und jenseits des Brenners an die Öffentlichkeit gewandt. “Keine neue Brennergrenze!”, so die Forderung damals. Nun, da das Thema in den österreichischen Wahlkampf Einzug gehalten hat – und 72 Prozent der Österreicher laut einer Umfrage die Schließung des Brenners für “richtig” halten – hat Ruiss erneut den Stift gezückt – er prangert die “Panik-PR” aus Österreich an:
 
 
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Mag. Christian Kern!
Sehr geehrter Herr Außenminister Sebastian Kurz!
Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister Mag. Hans Peter Doskozil!
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Günther Platter!
 
Als häufig die Brenner-Grenze passierender Reisender zwischen Südtirol und Wien kann man sich nur wundern, was derzeit auf politischer Ebene in die Welt gesetzt wird. Real ist nichts von der heraufbeschworenen kritischen Situation auf der Brenner-Grenze anzutreffen. Kritisch ist die Situation für Italien, und es wäre mehr als angemessen, Italien bei der Lösung der Situation politisch zu unterstützen, statt Italien latente bis offene Versagensvorwürfe zu machen. Oder Italien zum Handlanger der eigenen martialischen Vorstellungen machen zu wollen. Das wahre Gesicht der Gefangenen-Inseln-Vorstellungen für „nicht zur Flucht Berechtigte“ (Wie weiß man das von Vornherein oder so schnell? Und sind das auch Schwangere, Mütter mit Kleinkindern? Alte und Kinder?) ist doch das der Gefangenenlager, der Gefängnisinseln wie Alcatraz, von Guantanamo und anderer noch schlimmerer Formen. Mit der politischen Verantwortung dafür kann man nicht andere beauftragen, die muss man selbst tragen.
 
Es spricht nichts gegen Vorbereitungen für einen Eventualfall, wenn sich eine Krisensituation an der Brenner-Grenze einstellen sollte, es spricht aber alles gegen das derzeitige Säbelrasseln gegenüber den bis jetzt Hauptbetroffenen der Fluchtbewegung über das Mittelmeer, die wie in Lampedusa, das Recht haben, an der Situation zu verzweifeln, sie sind schon sehr sehr lange jeden Tag mit den Problemen konfrontiert, von denen andere nur behaupten, dass sie sie haben.
 
Wer Soldaten am Brenner sehen möchte, wer Panzer am Brenner sehen möchte, beschwört den nationalistischen Ungeist früherer Zeiten herauf, der möchte auch eine Grenze, die als innerer westeuropäischer „Eiserner Vorhang“ fungiert, als innereuropäische „Berliner Mauer“. Hat sich schon einmal in den letzten Tagen jemand gefragt, was passiert, wenn Italien in einer Gegenreaktion auf eine österreichische Grenzschließung die Grenze schließt, was sich dann erst auf österreichischer Seite abspielt? Und zwar gerade jetzt, in den Sommermonaten?
 
Gegen einen solchen Rückfall in den Ungeist staatlicher Abschottungen kann man sich als Demokrat nur nach allen Kräften wehren. Die österreichische Brenner-Außen-Politik ist längst auf diesem Weg, und auf diesem Weg werden die europäische Integration und das Europa der Regionen zu Grabe getragen.
 
Es ist noch nicht allzu lange her, dass auch in Europa Diktaturen geherrscht haben, sie zu überwinden, war eine der großen Leistungen der Nachkriegszeit und der Europäischen Union. Heutige diktatorische Strömungen finden andere europäische Voraussetzungen vor als vor 70 Jahren. Und es gibt immerhin die Hoffnung, dass sie an diesen neuen Verhältnissen mit ihren diktatorischen Vorstellungen scheitern. Wer mit Berechtigung und Glaubwürdigkeit gegen die autoritären Entwicklungen in Staaten wie Ungarn, Polen oder der Türkei etwas sagen will, kann sich nicht zugleich der Methoden dieser Entwicklungen bedienen.
 
Eine solche Zwangsbeglückung aus Österreich mit nicht zutreffenden Fakten wie in den letzen Wochen haben sich Südtirol und Italien nicht verdient. Außer Panik-PR hat Österreich derzeit nichts zu bieten, seriöse, ernstzunehmende und ernst genommene Politik und Diplomatie wären gefragt. In den letzten Tagen waren zum ersten Mal Alpini, italienische Soldaten, am Zugs-Grenzübergang am Brenner zu sehen, ist es das, was österreichische Politiker, inklusive Grenzlandverödung auf beiden Seiten, zu sehen bekommen wollen?
 
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Ruiss
Wien und Marling, Südtirol
24.7.2017
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gorgias Mo., 24.07.2017 - 19:25

Wollte auch auf das erste Zitat antworten. Hier legt Russ seinen fehlenden Sachverstand bloß. Österreich könnte nie glaubwürdig mit einer Brennerschließung drohen, würden nicht die Nachteile für Italien hochaus überwiegen. Österreich hat auf dieses Mittel doch nur zurückgegriffen um auf Italiens Durchwinkepolitik etwas zu antworten.

Das Projekt Europa wird von jenen gefährdet die den politischen Willen einer konsequenten Kontrolle der Außengrenzen vereiteln wollen und einer Rückführungspolitik jener die nicht asylberechtigt sind.

Antieuropäisch war Merkels Manöver im nationalen Alleingang ihre Refugee Welcome Politik den anderen Ländern aufzudrücken zu wollen.

Zu Glauben dass mit Europa ohne Grenzen nicht nur Innengrenzen sondern auch Außengrenzen gemeint seien, ist naiv und gefährlich.

Mo., 24.07.2017 - 19:25 Permalink