Kultur | Rezension

"Ich möchte lieber nicht"

Worte wie diese sprechen Politiker aus, wenn sie zurücktreten, aber auch anderen Situationen darf man sich verweigern, wie das interaktive Theaterstück "Die große Verweigerung" zeigt.

In den leeren Hallen des ehemaligen Elektronikmarktes Electronia in der Bozner Schlachthofstraße tat sich am Mittwoch Abend Absonderliches: Menschen krabbelten am Boden und stießen Hundelaute aus, sie standen Arm in Arm wie eine Mauer und wehrten jene ab, die gegen sie anrennen wollten, andere wiederum liefen wie aufgescheucht durch den Saal und zählten laut vor sich hin. Ein Szenario der völlig normalen menschlichen Verrücktheiten, eine Versuchsanordnung von nicht einsehbaren Verhaltensweisen, wie sie einem Außenstehenden erscheinen müssten, der uns Menschen nicht kennt. Das Theater-Radio-Kollektiv Ligna experimentiert seit vielen Jahren mit solchen Versuchsanordnungen, die über das reine Konsumieren von Theaterstücken hinausgehen und das Publikum als Akteur mitten in den Raum stellen. Jeder Zuschauer wird zum Teilnehmer, man erhält ein Headset, über den Anweisungen erfolgen, und die Inszenierung als Hörspiel abläuft.

Die Geschichte die im Ex-Electronia inszeniert wurde, ist eine, die nie stattgefunden hat. Es geht um eine ziemlich große verpasste historische Chance, die wir Zuschauer in beinahe 2 Stunden nachstellen, re-enacten wie es treffender im Englischen heißt; so wie man Wikingerschlachten oder mittelalterliche Turnierkämpfe neu erlebbar machen kann. In „Die Große Verweigerung“ geht es um ein Ereignis das den 1. Weltkrieg hätte verhindern können. Im Sommer 1914, als die Kriegsmaschinerie bereits angelaufen war, war ein Kongress der Zweiten Sozialistischen Internationalen in Wien geplant. Man wollte den absehbaren Krieg mit einem europaweiten Generalstreik verhindern, die Waffenindustrie durch flächendeckende Arbeiterstreiks lahmlegen. Doch dazu kam es nicht, wie wir wissen, der Parteiführung der Internationale war die gemeinsame Sache mit der bürgerlich-nationalistischen Klasse, sprich, der Krieg, näher als ein revolutionistischer Friede. 

Foto: Gregor Khuen Belasi

 

Was wäre, wenn dieser Plan geglückt wäre? Wo befände sich Europa, wo wir selbst, mit welchen Menschen würden wir nun zu tun haben? Fragen wie diese werden von den Stimmen im Kopfhörer zwischendurch gestellt, nicht nur in reflexiven Pausen, sondern gerade während man arg damit beschäftigt ist, Haltungen einzunehmen, vorwärts oder rückwärts zu gehen, die anderen zu beobachten und sich den Befehlen aus dem Kopfhörer nicht zu verweigern, oder sollte man doch? „Natürlich taucht dieser Gedanke auf in einer Inszenierung die „Die Große Verweigerung“ heißt,“ meint Ligna-Mitbegründer Ole Frahm, „soll man gehorchen oder soll man nicht, wie konform reagieren wir, trauen wir uns nichts zu tun, uns den Anweisungen zu verweigern?“

Doch wer nicht mitmacht, steht außerhalb und das ist langweilig. Also macht jeder mit, gut 80 Personen die zum Ligna-Abend in die Bozner Schlachthofstraße gekommen sind, folgen den Stimmen im Ohr und auch wenn sich jemand den Befehlen entziehen sollte, merkt man es kaum. Denn vielleicht gehört auch das zum Spiel.

„Haltungen auszuprobieren ist ein weiterer wichtiger Bestandteil diese Inszenierung,“ erklärt Ole Frahm weiter. „Gerade darin besteht das Spannende am Re-enactment, es geht uns nicht in erster Linie um die realistische Darstellung der historischen Realität, sondern um das körperliche Begreifbarmachen von möglichen Szenarien.“ Wenn wir applaudieren und jubeln, ensteht ein kurzes Gefühl der Begeisterung, wenn wir die Faust in die Luft recken, fühlen wir uns kämpferisch und wenn wir einander unterhaken, ensteht so etwas wie Vertrauen, Solidarität. In diese Haltungen kann man ein- und austreten, gerade der zweite Teil der Inszenierung ist ein Übungsplatz, ein Pädagogium für individuelle und kollektive Strategien von Zustimmung oder Verweigerung. „Wir orientieren uns immer wieder gerne an Bertold Brecht und seinen Theorien zur Bühnenrealität, da geht es viel darum, wie distanziert und kritisch wir die Ereignisse um uns herum betrachten.“

All diesen theoretischen Überbau und auch die historischen Ereignisse, die man via Kopfhörer eingespielt bekommt, sind während der Inszenierung nicht wirklich relevant. Aus dem Tun, aus dem Agieren heraus soll Erfahrung entstehen, und nicht aus dem Verweigern, so sind wir es gewohnt, so haben wir es gelernt. Deshalb ist aus dem Generalstreik vor 100 Jahren nichts geworden und deshalb man muss auch eine Weile nachdenken, um einer eigenen kleinen oder größeren Verweigerung auf die Spur zu kommen.