Politik | Kindergärten

„Es braucht eine politische Grundausrichtung“

Ganzjahreskindergarten endlich auch in Südtirol? „Wir sind bereit“, sagt Kindergartendirektorin Beatrix Aigner. Wer auf sich warten lässt, ist die Politik.

Beatrix Aigner, Kindergartendirektorin aus Neumarkt, sagt es gleich zu Beginn des Gesprächs. „Natürlich wollen wir auf die Bedürfnisse der Familien eingehen und diese erfüllen. Das ist unser Auftrag.“ Ein Ganzjahreskindergarten soll endlich auch in Südtirol Realität werden, Andreas Schatzer, Präsident vom Gemeindeverband, bekräftigt: „Ein Monat Urlaub im August sind ausreichend. Und wir bräuchten im Sommer nicht alles mögliche zu erfinden.“

Auf zu neuen Ufern?
„Kindergarten an 365 Tagen“ diese Schlagzeile in der Tageszeitung Dolomiten am 24. Oktober überrascht Helena Saltuari. Sie ist Kindergartendirektorin in Mühlbach, etwa 300 KindergärtnerInnen führt sie in ihrem Sprengel: “Wir hatten gestern (23. Oktober, Anm.d.Red.) Führungskräftetagung aller Schulstufen, samt Kindergärten, und da ist das Thema Ganzjahreskindergarten mit keiner Silbe erwähnt worden.“ Wer zieht an welchem Ende des Seils und will mit wem wohin? Was andernorts längst zur gesellschaftlichen Realität gehört, war in Südtirol ein bislang unangetastetes Zugeständnis. Kinder brauchen drei Monate Sommerferien, Eltern arrangiert euch. Angebote von Freizeitvereinen, von Kitas, von den Kinderfreunden übertrumpfen sich um das Unausweichliche irgendwie unter einen Hut zu bringen: Kinderferien im Sommer bei gleichzeitiger Berufstätigkeit beider Eltern.

Politische Unterstützung für die KindergärtnerInnen?
Beatrix Aigner ist froh, dass zunehmend Eltern an sie herantreten und sagen: 'Bitte übernehmt ihr die Sommerbetreuung im Kindergarten.' „Endlich bricht das klassische Rollenbild auch in kleinen Ortschaften auf, Mütter stehen nicht mehr nur hinter dem Herd, Familien brauchen Unterstützung.“ In dieser Diskussion versteht die Kindergartendirektorin eines nicht: „Vorübergehend kann es eine Lösung sein, wenn unausgebildetes Personal im Sommer Kinder betreut, aber wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht endlich die Sachen auf den Tisch bringen. Es braucht in Südtirol eine zentrale Stelle wo Bildung und Betreuung zusammen gehen.“ Und das, so Aigner: „Ist unser Kompetenzbereich. Wir betreuen Kinder von 2 1/2 Jahren bis sechs Jahren. Warum nicht ganzjährig, warum nicht schon ab 0 Jahren?“

Es braucht in Südtirol eine zentrale Stelle wo Bildung und Betreuung zusammen gehen.“

Neustart für den Südtiroler Bildungsapparat?
Helena Saltuari ist seit September 2014 Kindergartendirektorin. Sie bleibt vage. Wie viel Personal sie zusätzlich bräuchte, um einen ganzjährigen Betrieb zu gewährleisten, bewertet sie folgendermaßen: „Das kann ich so überhaupt nicht beantworten. Da wäre der ganze Bildungsapparat zu überdenken.“ Aigner ist eine, die klare Worte mag, ihre Provokation ist ihr bewusst, „aber es muss einfach ausgesprochen werden.“ Betreuung sei das Grundanliegen der KindergärtnerInnen, „unser Personal ist professionell ausgebildet, mit Herz und Seele bei der Sache, aber ohne eine personelle Aufstockung können wir keine zusätzlichen Dienste übernehmen.“ Keine Rede also von überforderten KindergärtnerInnen, die dankend ablehnend wenn es um ein Angebot für Familien geht? Aigner sagt unumwunden und trifft sich hier mit Saltuari: „Ich kenne die Problematik zwischen dem Ressort für Familie und dem für Bildung. Hier muss endlich angesetzt werden. Nicht bei uns, wir wollen sehr wohl den Eltern entgegenkommen.“

"Wir sind keine Beamten"
Die Gemeinden wollen es, die KindergärtnerInnen sind bereit, wo aber ist der politische Wille? Welches Ressort darf worüber entscheiden? Geht es um Bildung, um Familie, um beides? Aigner unterstreicht: „Wir haben ganz klar einen Bildungsauftrag. Unser Kindergarten aber soll im Sommer für andere Vereine frei gemacht werden, anstatt uns finanziell zu unterstützen wo wir doch die beste Ausbildung für eine pädagogische Betreuung haben?“ Dass im Ressort Familie zu viele Gelder für die Sommerbetreuung ausgegeben wird, anstatt einen Ganzjahresbetrieb im Kindergarten zu unterstützen ist der unausgesprochene Vorwurf. Aigner formuliert so: „ Im Unterschied zu anderen, die eine Beamtenhaltung im Umgang mit den Kindern haben, ist unser Personal mit Leib und Passion dabei. Tief verbunden mit den Kindern eben.“

„Ich kenne die Problematik zwischen dem Ressort für Familie und dem für Bildung. Hier muss endlich angesetzt werden. Nicht bei uns, wir wollen sehr wohl den Eltern entgegenkommen.“

Schule contra Kindergarten? 35 Wochenstunden leisten Südtirols KindergärtnerInnen ab, bei nahezu gleicher Bezahlung der Volksschullehrkräfte (1.470,88 Euro beträgt das Anfangsgehalt eines Grundschullehrers, Quelle: 2011, provinz.bz.it; nach fünf Jahren Berufstätigkeit ohne Zweisprachigkeitszulage verdient eine Kindergärtnerin etwa 1.600 Euro) , die einen 18-Stündigen Stundenplan vorweisen. „Unser Stundenkontingent ist ausgereizt“, erklärt Aigner und sagt es noch einmal: „Was fehlt ist eine politische Grundausrichtung. Warum meinen Sie wohl, dass so viele KindergärtnerInnen in die Schule wechseln und dort für das gleich Geld unterrichten und nur 18 Stunden machen?“ Saltuari aus Mühlbach sagt dazu: „Ja, diese ungleiche Bezahlung wird als sehr ungerecht empfunden. Das ist ein Thema, das sicherlich in Bearbeitung gehen muss.“

Einen Überblick über die Gehälter des qualifizierten Personals in Kinderbetreuungseinrichtungen in einigen ausgewählten Ländern im Vergleich zu Gehältern von Grundschullehrern sehen Sie hier.  (Arbeitsstunden sind hier leider nicht nachvollziehbar)

Bei steigender Kinderzahl ist der Stand des Personals im Kindergarten seit 2009 unverändert. Landesrat Philipp Achammer kennt die Problematik und sagt: Ausweitung des Kindergartenjahres ja, aber nur wenn mehr KindergärtnerInnen eingesetzt werden. Sowohl Aigner, („unser Personal ist schon längst an seine Grenzen gestoßen, die Fortbildungen machen die KindergärtnerInnen in ihrer Freizeit") als auch Saltuari („an eine Aufstockung des Dienstes ist momentan nicht zu denken, das hat uns Landesrat Achammer zu verstehen gegeben“) sehen das so: Politisch muss gehandelt werden, zum Wohle der Kinder und der Eltern.