Gesellschaft | Geschichte

Der Steiner-Mord

Armin Mutschlechner hat eine andere Dorfchronik von Mühlbach geschrieben und in der edition raetia jetzt veröffentlicht. Ein Auszug aus dem gestern vorgestellten Buch.
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Foto: Armin Mutschlechner

Samstag, 3. März 1923, später Nachmittag. Der Meransner Steiner-Bauer Johann Peintner (64) wird auf den Heimweg erschossen. Die Hintergründe zur Mordtat eignen sich als Drehbuch für einen abendfüllenden Film.

 

Ein wohlhabender Bauer verkauft am Markttag einen Ochsen. Da er kein passendes Vieh für seinen Stall am Markt findet, tritt er mit einer dicken Brieftasche den Heimweg an. Begleitet wird der Bauer von einer älteren Frau und einem geistlichen Missionsbruder aus Milland, der zur Seelsorgsaushilfe nach Meransen geht. Auf halbem Weg zwischen Mühlbach und Meransen trennen sich die Wege der drei, und Augenblicke danach wird der Bauer rücklings erschossen. Bevor der Bauer die Seele aushaucht, leistet der Priester ihm Beistand. Der „üble Geselle lud seine Flinte nach, richtet sie auf den Aushilfspfarrer […] und wollte“ erneut abdrücken. Der Täter lässt aber von seinem Vorhaben ab, da die drei hl. Jungfrauen auf ihn einwirken. Er flüchtet und wird Monate später gefasst, ist dann in Brixen eingesperrt und wird zum Tode verurteilt. Drei Tage vor der Urteilsvollstreckung am Galgen stirbt der Mörder in der Zelle.

 

Ein Drama mit Schnäuztuchgarantie, das sich aber nicht so zugetragen hat, wie bis dato auf einer Schautafel des „Meransner Sagenweges“ am Lindenweg oder im „Meransner Sagenbuch“ nachzulesen ist. Die dort dargelegten Fakten widersprechen zahllosen Pressemeldungen und Gerichtsakten zum Mord am Steiner-Bauern. Im Zeitraum vor und nach dem Mord kommt es in Mühlbach gehäuft zu nächtlichen Einbrüchen in Gemischtwarenläden, Privatwohnungen und u. a beim „Stiefler“ in Meransen zu einem Überfall. In der Örtlichkeit der Bluttat wird Tage vor dem Mord ein Hund in Begleitung seiner Besitzer erschossen, auf den Meransner Gatscherbauern und dessen Familie werden mehrere Schüsse abgefeuert.

 

Die Einbrecher und die Täter der Schüsse aus dem Hinterhalt bleiben zunächst im Dunkeln. Die Verunsicherung in Mühlbach und Umgebung ist groß. Intensive Nachforschungen führen schließlich Ende Mai 1923 zur Aufklärung, wer für die Einbrüche und Bluttat verantwortlich ist.

 

Eingebuchtet werden für den Mord, den Überfall in Meransen und diverse Einbrüche in Mühlbach das in Mühlbach wohnhafte Ehepaar Johann Pais und Stefanie Mair sowie Ernst Santin (*1892 in Brixen). Gegen Anton Vigna (*1884, St. Lorenzen), „Niedergassler“ in Vintl – ein Bruder des späteren Podestà Angelo Vigna – wird auch wegen Verwicklungen in die Straftaten ermittelt. Der Witwer Anton Vigna (seit Juni 1919 in Mühlbach) heiratet im Mai 1920 die 19-jährige Meransner Luckner-Tochter Anna Lerchner (*1901). Allen vermeintlichen Tätern ist gemein, dass sie Ortskenntnisse in Mühlbach und Meransen haben. Es hat einen Beigeschmack, wenn im Herbst 1923 von einem Diebstahl am Meransner „Lucknerhof“ in der Tagespresse berichtet wird, wo 3.000 Lire (2.874 €) gestohlen werden, und „der Dieb muß jedenfalls ortskundig gewesen sein“. Anton Vigna wird zudem im April 1926 wegen eines Weindiebstahls aus dem Keller des Gasthauses „Hochrainer“ in Niedervintl festgenommen.

 

 

Für den Steiner-Mord wird Johann Pais alleinig verantwortlich gemacht; er stirbt im November 1923 in der Untersuchungshaft in Brixen. Für Hehlerei, unerlaubten Waffenbesitz und einen Diebstahl in Gries wird im Mai 1924 Stefanie Mair zu 30 Monaten und fünf Tagen Haft und 666 Lire (616 €) Strafe verurteilt. Ein Jahr und acht Monate Haft bekommt hingegen Ernst Santin wegen der Beteiligung an den Diebstählen aufgebrummt. Beide werden auch zum Schadensersatz für die gestohlenen Waren und zum Tragen der Verfahrenskosten verurteilt.

 

 

Der Autor: Armin Mutschlechner, geboren 1969, Jugendarbeiter, eigenwilliger Literat und Kunstschaffender. Mühlbacher mit Leib und Seele.