Politik | Autonomiegruppe-Show

„Viel mehr kann man nicht verlangen."

Das Großaufgebot der Autonomiegruppe im Parlament im Bozner Hotel Laurin am 21. November war für Karl Zeller eine gute Gelegenheit, seine Gegner gehörig herunterzuputzen.
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Persönliche Seitenhiebe auf Parteikollegen fehlten nicht, und schließlich erklärte Zeller die NEIN-Befürworter kurzerhand zu „Totengräbern der Autonomie“. Gravierend auch eine Reihe von Sachbehauptungen, die falsch oder unhaltbar sind. Hier einige Kostproben (Originalzitate aus Zellers Rede):

„2001, nach dem Volksentscheid haben gleich alle gesagt ‚Welchen Unsinn haben wir da gemacht‘. Alle folgenden Reformen hatten den Zweck, diese Reform rückgängig zu machen. In der Berlusconi-Reform war auch eine Rezentralisierung enthalten.“

Zeller verschweigt: die Reform von Berlusconi-Fini-Bossi zielte auf devolution zugunsten der Regionen ab gepaart mit der Stärkung des Premiers. Die SVP lehnte diese Reform ab, obwohl ein echtes Vetorecht der Landtage und des Regionalrats bei einseitigen Abänderungen des Statuts durch das Parlament vorgesehen war.

„Alle Parlamentarier der Autonomen Regionen haben der Reform zugestimmt und sind jetzt auch für das JA“.

Es gibt eine Reihe von Südtiroler, Trentiner, Friulaner und sizilianischer Parlamentarier, die dieser Reform überhaupt nicht zugestimmt haben.

„Außerhalb von Südtirol und dem Trentino wird diese Reform kritisiert, weil sie die Regionen mit Sonderstatut zu stark schützt (…) In Südtirol dagegen sind diejenigen, die bisher auf die Autonomie gespuckt und auf die italienische Verfassung gepfiffen haben, auf einmal jene, die die bestehende Verfassung und das Autonomiestatut verteidigen.“

Das ist die übliche Gleichsetzung von Selbstbestimmungsbefürwortern und Autonomiegegnern. Den tirolpatriotischen Kräften wird unterstellt, dass sie die Position Südtirols in Italien gerne verschlechtert sehen, damit die Forderung nach Selbstbestimmung mehr Anklang findet.

„Gesetze, die wirklich gemacht werden sollen, haben einen Ein-Kammer-Weg zu absolvieren (…) 80% der Gesetze, die das Parlament macht, sind Eilverordnungen, decreti legge.“

Hier räumt Zeller ein, dass die Regierung heute schon dem Parlament die Gesetzgebungsfunktion weitgehend abgenommen hat. Die Regierung kann weiterhin das Parlament mit den Gesetzesdekreten und dem neuen „voto a data certa“ unter Druck setzen. Durch die Renzi-Reform wird dieser Mangel an Gewaltenteilung im politischen System nicht bereinigt.

„Zaia, Maroni und die Lega haben kein Wort gesagt.“

Eine glatte Falschbehauptung. Die Lega Nord hat sich im Parlament und in den betroffenen Regionen gegen diese Reform gestellt, Zaia, Maroni und Toti haben ein eigenes Komitee fürs NEIN gegründet.

„Nach dem betroffenen Regionen einverstanden waren oder sich nicht gewehrt haben, haben wir wohl oder übel auf unsere Interessen geschaut und haben unsere Ziele zu 100%  erreicht: die Sonderautonomien sind bestätigt, die Nicht-Anwendung des zentralistischen Teils erreicht worden. Wir haben das Einvernehmen erhalten und als Kirsche auf der Torte die Möglichkeit, über ein erleichtertes Verfahren die Umweltkompetenz und primäre Kompetenz für die Schule zu erreichen.“

Wenn Zeller alles erreicht hat, war er offensichtlich in seinen Forderungen ziemlich bescheiden: kein echtes Vetorecht des Landtags, keine explizite Ausnahme vom Suprematieprinzip, keine explizite Möglichkeit, die Autonomie der Sonderstatutsregionen (Besserstellung) auszubauen, keine Vollautonomie. Der Umweltschutz wird mit dieser Reform ausschließlich zur Zuständigkeit des Staates, die Regionen haben nur mehr die „promozione dei beni ambientali, culturali e paesaggistici“. Bei der Schule diktiert der Staat weiterhin die allgemeinen Bestimmungen. Von der Übertragung einer primären Kompetenz für Schule und Umwelt an die Regionen ist in der neuen Verfassung keine Rede. Es macht schon einen Unterschied, ob eine Zuständigkeit per Verfassung übertragen wird oder mit einem Staatsgesetz Teile davon delegiert werden (was der neue Art. 116, Abs. 3 in engen Grenzen erlaubt).

„Mit dem Einvernehmen muss ein Text zwischen Landesregierung und Staatsregierung ausgehandelt werden, dann gehe ich ins Parlament, das nur mehr Ja oder Nein sagen kann. Das ist die einzige Form der Garantie, wie wir überhaupt unser Autonomiestatut noch reformieren können. Wenn wir dieses Verfahren nicht haben, geht das nicht.

Eine schwerwiegende Aussage Zellers, weil sie implizit die Ohnmacht des Parlament und Landtags aufzeigt. Warum legen dann Zeller, Berger und Palermo noch ihre diversen Verfassungsgesetz-entwürfe vor? Wozu arbeitet ein Autonomiekonvent dann anderthalb Jahre lang, dessen Ergebnisse über den Regionalrat im Parlament eingebracht werden sollen?

„Ich bin für ein Ja, weil ich glaube, dass es für Italien ein effiziente Staats- und Regierungsform gibt, es wird mehr direkte Demokratie geben, weil man leichter Referenden machen kann.“

Hier legt Zeller – wie Kompatscher mit seiner ‚Carta di Udine‘ – offen, dass die SVP-Spitze sehr wohl die ganze Renzi-Reform gutheißt, anders als in der Südtiroler Öffentlichkeit dargestellt. Bei der direkten Demokratie nimmt Zeller genauso wie Renzi die Bürger auf den Arm, denn die Reform erleichtert in dieser Hinsicht nichts.

„Was wollen die Südtiroler?...Wir haben die internationale Verankerung, so dass das Paket und Autonomiestatut nicht abgeändert werden kann. Jetzt kriegen wir noch in der Verfassung selber das Einvernehmen. Das ist einfach verrückt. Dann muss ich sagen, ist die einzige Garantie die Selbstbestimmung, viel mehr kann man von einem Staat nicht verlangen, als das es uns diese Möglichkeiten einräumt.“

Zunächst bestätigt Zeller, dass das Statut weder bei einem Ja noch bei einem Nein gefährdet ist, entgegen der Angstmache, die derzeit die SVP betreibt. Dann irrt er sich, denn das Erfordernis des Einvernehmens bei der Revision des Statuts ist nicht Teil der Verfassung und auch noch lange nicht Teil des Statuts. Schließlich gibt er sich erstaunlich bescheiden, geradezu staatstragend. Könnte ein Zeller von einem Staat nicht zumindest verlangen, dass er sich mit dem Vorschlag zur Verfassungsänderung zur Vollautonomie vom März 2013 befasst, den er selbst mit Hans Berger eingebracht hat?

Thomas Benedikter