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Kein Kavaliersdelikt

Anzügliche Rufe im öffentlichen Raum gegenüber weiblichen Personen sind üblich. Dabei ist Catcalling eine Form verbaler sexueller Gewalt, betonen die Grünen.
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Foto: Brooke Cagle on Unsplash
Anlässlich des morgigen internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen, am 25. November, bringt die Grüne Fraktion das sogenannte Catcalling-Phänomen als Beschlussantrag diese Woche in den Südtiroler Landtag. Der Begriff „Catcalling“ definiert eine Form der sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum durch anzügliches Anreden, Nachrufen, Nachpfeifen oder sonstige Geräusche. Was oft als banales Kompliment auf der Straße abgetan wird, empfinden viele Mädchen und Frauen als unangenehm und einschüchternd.  
 
 
Eine davon ist die Südtiroler Musikerin Camilla Cristofoletti (Künstlernamen Waira), die bei der Vorstellung des Beschlussantrags der Grünen dabei ist. Sie hat das Thema vor kurzem in den sozialen Medien angesprochen und kennt das Phänomen aus eigener Erfahrung. „Ich ging mit einem neuen Kleid in die Stadt und nach 15 Minuten auf der Straße hatte ich schon zwölf Kommentare gehört. Als ich nach Hause kam, fühlte ich mich zerstört. Ich zog das Kleid nie wieder an“, erzählt Cristofoletti über ein Erlebnis in Venedig, wo sie studiert hat.
Das Phänomen sei leider auch in Südtirol üblich. Es passiert auf viel frequentierten Straßen und Plätzen genauso wie in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf dem Dorffest. Die junge Unterlandlerin stellt klar: „Es handelt sich um eine Form der Belästigung, die meiner Meinung nach noch nicht die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit erhält. Als ich einmal laut auf einem Angriff reagiert habe, zog nicht er, sondern ich die verärgerten Blicke der Passant:innen auf mich. Ich erinnere mich, dass ich mich sicherer gefühlt hätte, wenn all diese Menschen ihren verurteilenden Blick auf ihn gerichtet hätten, und er hätte vielleicht sein Verhalten geändert. Information ist meiner Meinung nach ein wichtiger erster Schritt, um das Bewusstsein der Gesellschaft zu schärfen.“
 

Information zu Catcalling

 
Darauf baut auch der Beschlussantrag der Grünen Fraktion auf, der den Landtag auffordert, Catcalling als Form verbaler sexueller Gewalt anzuerkennen, gegen das es gezielt vorzugehen gilt. „Es reicht nicht zu sagen, dass sich eine Frau ordentlich anziehen soll, denn damit toleriert eine Gesellschaft Gewalt“, erklärt die Erstunterzeichnerin und Landtagsabgeordnete der Grünen, Brigitte Foppa.
Des Weiteren wird der Landtag im Beschlussantrag aufgefordert, auf der Landeswebseite zu Formen von Gewalt auch Catcalling mitaufzunehmen. Außerdem sollen gemeinsam mit Kooperationspartner:innen, wie dem Gleichstellungsbüro, Frauenorganisationen, Polizei und Justiz, Schulungen, Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen ins Leben gerufen werden.
 
 
Auch die Schule als Ort des Lernens biete einen idealen Raum, um in allen Schulstufen Catcalling in themenspezifischen Workshops oder in den regulären Unterricht zu integrieren. „Die Sensibilisierung von jungen Buben und Männern ist wichtig und relativ einfach umsetzbar“, erklärt Grünen-Landtagsabgeordneter Riccardo Dello Sbarba. In den Unterrichtseinheiten dazu sollen die körperliche Autonomie und heteronormative Männlichkeitsbilder besonders im Fokus stehen.
Denn eine Sache sind sich Cristofoletti, Foppa und Dello Sbarba sicher: Männer merken es, wenn Frauen etwas unangenehm ist. „Ich bin mir sicher, dass den Männern, die sich so verhalten, bewusst ist, dass sie dabei Macht ausüben“, so Dello Sbarba. „Mit den Nachrufen beanspruchen Männer den öffentlichen Raum für sich“, führt Foppa aus. Dass von Catcalling vor allem jüngere Frauen betroffen seien, hänge nicht nur mit deren Aussehen zusammen, sondern auch mit ihrer Unsicherheit: „Jungen Frauen muss gesagt werden, dass sie sich Raum nehmen können.“
Die europäische Istanbul-Konvention ordnet verbale sexuelle Gewalt als geschlechtsspezifische Gewalt ein, da sich die Vorfälle überwiegend gegen Frauen richten. Catcalling ist eine Form der verbalen sexuellen Gewalt. Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten wie Frankreich, Portugal oder Belgien wurde diese Art der sexuellen Gewalt jedoch in Italien bisher noch nicht in das Strafgesetzbuch aufgenommen.