Nordio, Carlo
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Politik | Streit um Justiz

Rücktritt vom Rücktritt

Italiens Justizminister Carlo Nordio sorgt für Irritation und Polemiken. Er kündigt seinen Rücktritt an, um ihn einen Tag später zu widerrufen
Regierungschefin Giorgia Meloni hat nur 100 Tage nach ihrem Amtsantritt eine Regierungskrise vermieden. Die wäre beim angedrohten Rücktritt von Justizminister Carlo Nordio schwer vermeidbar gewesen. Der 75-jährige Ex-Staatsanwalt von Venedig profilierte sich seit seiner Ernennung als eingeschworener Gegner der intercettazioni telefoniche durch die Ermittler: "Bisogna intervenire radicalmente."
Keine sehr populäre These. Denn auch die jüngste Verhaftung des meistgesuchten Mafia-Bosses Matteo Messina Denaro war auf abgehörte Telefongespräche zurückzuführen. Das ficht Nordio nicht an. In seiner jüngsten relazione sullo stato della giustizia forderte er sogar die Abschaffung des Amtsmissbrauchs als strafbares Vergehen: "Vi assicuro che da me c´è stata una vera e propria processione di sindaci dei vostri partiti che sono venuti a chiedermi di eliminarlo".
Einer der ersten, der sich sofort schützend vor Nordio stellte, war Silvio Berlusconi, dem Italiens Staatsanwälte und Richter schon seit vielen Jahren suspekt sind: "E´una polemica tipica di giustizialisti illiberali. La giustizia va riformata, sosteniamo il ministro Nordio". Volle Unterstützung findet der Justizminister auch beim Italia Viva-Vorsitzenden Matteo Renzi: "Nordio è l' unico che può cambiare davvero lo stato delle cose, tanto è forte di suo. E' una persona libera, non credo che mollerà e lascerà l'incarico. Ha una visione bella del paese. Se deciderà di mollare il problema non sarà per lui, ma per Meloni."  Ein Minister, der vier Tage lang zwischen "potrei dimettermi" und "Mai pensato di dimettermi" schwankt, ist freilich schwer tragbar.
 
 
 
Wie so oft, wenn es in Italien um die Justiz geht, sind die Fronten verhärtet. Die Tageszeitung La Repubblica, die Nordio als ministro di astio e giustizia bezeichnet, fährt schwere Geschütze auf: "Nordio vuole fare tornare l´Italia ai tempi di tangentopoli".
Staatspräsident Sergio Mattarella warnt eindringlich davor, das Justizwesen für politische Auseinandersetzungen zu missbrauchen: "Bisogna evitare di riprodurre i veleni correntizi insieme all'eterno scontro politico - eine Anspielung an die teilweise gegnerischen Richterverbände wie Unicost, Magistratura indipendente, Area oder Magistratura democratica.
Ein Minister, der vier Tage lang zwischen potrei dimettermi und Mai pensato di dimettermi schwankt, ist freilich schwer tragbar.
Mattarellas unmissverständlicher Appell: "L'indipendenza della magistratura è un pilastro". Doch die in anderen EU-Staaten weitgehend unbekannte parteipolitische Ausrichtung der Richterverbände ist in Italien seit Jahrzehnten ein Übel, das in offenbar schwer zu beseitigen ist. Ob Melonis Appell für mehr buon senso genügt, darf freilich bezweifelt werden: "Bisogna sedare le fibrillazioni  che scuotono la maggioranza e mostrare che la linea del governo sulla giustizia non è in contrasto con quella del ministro."  
Auf genau diesen Punkt jedoch zielt die Kritik der Gegner. Der Staatsanwalt von Catanzaro und bekannte Mafia- und Camorra-Fahnder Nicola Gratteri bringt es auf den Punkt: "Vogliono impedirci di indagare sui rapporti tra Mafia e pubblica amministrazione." All diesen Polemiken setzte Meloni ein abruptes Ende: "La mia fiducia in Nordio è massima."


 

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maximilian kollmann Do., 26.01.2023 - 12:21

Es müssen nicht die Abhörungen – die meines Wissens vom Staatsanwalt beantragt und vom Voruntersuchungsrichter genehmigt werden müssen – sondern deren MISSBRÄUCHLICHE VERÖFFENTLICHUNG untersagt bzw. strengstens bestraft werden.

Do., 26.01.2023 - 12:21 Permalink