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Oscar-Verleihung 2019

„Green Book“ gewinnt den Preis für Hauptpreis bei den diesjährigen Oscars. Ein analytischer Blick auf den Sieger und seine Konkurrenz.
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Foto: Academy of Motion Pictures Arts and Sciences

Alle Jahre wieder lädt die "Traumfabrik" Hollywood zur Vergabe der Academy Awards. Der selbsternannte wichtigste Filmpreis der Welt polarisiert seit Jahren, doch in diesem Jahr war der Druck von außen besonders groß. Im Vorfeld gab es ein Dilemma nach dem anderen. Erst wollte man eine „Popular Movie“-Kategorie einführen, die finanziellen Erfolg auszeichnet. Dass das nicht nur unglaublich absurd wäre und letztendlich nur Disney in die Hände spielen würde, wurde glücklicherweise auch den Verantwortlichen klar und man sah davon ab. Dann wurde der Comedian Kevin Hart als Moderator verkündet, nur wenige Tage später trat er aufgrund ausgegrabener homophober Aussagen aus der Vergangenheit zurück. Lange wusste niemand, wer die Moderation nun übernehmen sollte, und schließlich entschied man sich zu dem riskanten Schritt, die Show, ebenso wie vor exakt dreißig Jahren, im Jahr 1989, ohne Host über die Bühne zu bringen. Die damalige Verleihung gilt als eine der schlimmsten aller Zeiten. Die Angst war also groß. Ein weiterer Punkt war der Wille der Academy, die Show von knappen fünf auf drei Stunden zu kürzen. Als man ankündigte, ganze vier Preiskategorien in die Werbepause zu verfrachten, war der Protest der Branche deutlich hörbar, nicht zuletzt weil unter anderem die Oscars für die Beste Kamera und den Besten Schnitt nicht ausgestrahlt werden sollten, zwei der zentralsten Elemente des Filmeschaffens. Auch dieser Gedanke wurde verworfen. Nun fand die Verleihung in der Nacht von Sonntag auf Montag statt. 

Es hätte so schön sein können. „Roma“, „The Favourite“ oder „Vice“ als Bester Film. Doch nein, es wurde der Feel-Good-Film "Green Book", der zwar wichtige Themen wie Rassismus anspricht, doch auf eine Art und Weise, wie sie niemanden weh tut und keine neue Sichtweise zeigt. 

Eröffnet wurden die 91. Oscars mit einem furiosen Auftritt von Queen, die durch das Biopic „Bohemian Rhapsody“ schon einmal einen wichtigen Akzent und Ausblick auf die kommende Preisvergabe setzten. Der erste Goldmann ging die Afroamerikanerin Regina King für ihre Nebenrolle in Barry Jenkins „If Beale Street Could Talk“. Soweit so gut. Der Sieger bei den Dokumentarfilmen „Free Solo“ war eine kleine Überraschung, „Vice“ als Bestes Makeup/Hairstyling überraschte wiederum niemanden. Dann triumphierte der Marvel-Blockbuster „Black Panther“ zum ersten Mal, nämlich in der Kategorie Beste Kostüme. Nur wenige Minuten später jubelten die Macher des Films zum zweiten Mal an diesem Abend, nun über den Preis für das beste Szenenbild, welcher zum ersten Mal von einer Schwarzen gewonnen wurde. Der mit zehn Nominierungen ausgestattete Netflix-Film „Roma“ des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón, der als großer Favorit des Abends galt, räumte dann in der Kategorie „Beste Kamera“ den Oscar ab. Der Regisseur, der seinen wahrscheinlich persönlichsten Film selbst gefilmt hat, sollte die Bühne an diesem Abend noch zwei Mal betreten. Die Ton-Oscars gingen beide an „Bohemian Rhapsody“, was dann doch etwas überraschend war, gerade in Anbetracht der starken Konkurrenz in Form von „Roma“ und „First Man“. Der Auslandsoscar ging wiederum an Cuarón und „Roma“, was dann auch ausschlaggebend für den Hauptpreis der Verleihung war. Dass der Film sowohl „Best Foreign Film“ und „Best Picture“ gewinnt, war auszuschließen. Dann ein erster Aufschrei. Abermals gewinnt der Queen-Film, beim Besten Schnitt, einer Kategorie, in der der einzig valide Sieger „Vice“ heißen müsste. Adam McKays Polit-Satire über den ehemaligen US-Vize Dick Cheney ist ein Paradebeispiel guten Filmschnitts. Für „Green Book“ gewann Mahershala Ali seinen zweiten Oscar als Nebendarsteller. Verständlich. Bei den Animationsfilmen atmete jeder im Saal erleichtert auf. Zum ersten Mal seit Jahren gewann kein Disney-Film, sondern der innovative und angenehm ungewönliche „Spiderman: Into the Spiderverse“. Aber Disney kam an diesem Abend ansonsten ausreichend zum Zug. Die Kurzfilme überraschten nicht weiter, bis auf den Dokumentarfilmsieger, der sich mit Menstruation beschäftigt und im von Männern geprägten Hollywood sicherlich für Unverständnis gesorgt hat. Dass „First Man“ den Preis für die Visuellen Effekte nach Hause nahm, muss man nicht verstehen. Die CGI-Orgie „Ready Player One“ hätte den Oscar allein für den enormen technischen Aufwand verdient. Dagegen wirkt die Verfilmung der Mond-Mission wie ein Fingerschnippen. Wie zu erwarten triumphierte Lady Gaga mit ihrem Song „Shallows“ zum Film „A Star Is Born“. Die Performance des Liedes war einer der wenigen Gänsehautmomente des Abends. Die Drehbücher waren schließlich ein Auf und Ab der Gefühle. Bestes Originaldrehbuch für „Green Book“ ist lächerlich, hier hätte „The Favourite“ gewinnen müssen. Dass Spike Lee für seine Rassismus-Satire „Blackkklansman“ endlich seinen verdienten Goldmann gewonnen hat, nämlich in der Kategorie „Bestes adaptiertes Drehbuch“, ist längst überfällig und ein Kompromiss dafür, dass er den Regie-Preis abgeben musste. Der ging abermals erwartungsgemäß an Alfonso Cuarón, der somit seinen dritten Oscar an diesem Abend einsammelte. Zwar verdientermaßen, doch hätte man den Griechen Yorgos Lanthimos, dessen exzellenter Historienfilm „The Favourite“ ebenfalls zehn Mal nominiert war, an dieser Stelle würdigen können. „Black Panther“ gewann noch für die Beste Musik, eine Kategorie, die in diesem Jahr nicht mit großen Leistungen glänzen konnte. Rami Malek als Bester Hauptdarsteller in seiner Verkörperung von Freddie Mercury war in Stein gemeißelt. Dass Olivia Colman für „The Favourite“ als Beste Hauptdarstellerin gewann, und ihre Konkurrentin Glenn Close ausstach, war dann doch überraschend. Close hatte bereits den Golden Globe in dieser Kategorie gewonnen, was meist ausschlaggebend für den Oscar ist.

Doch dann kam das Ende, und der wohl tragischste Preis des Abends. Es hätte so schön sein können. „Roma“, „The Favourite“ oder „Vice“ als Bester Film. Doch nein, es wurde der Feel-Good-Film "Green Book", der zwar wichtige Themen wie Rassismus anspricht, doch auf eine Art und Weise, wie sie niemanden weh tut und keine neue Sichtweise zeigt. Inhaltlich und ästhetisch sprechen wir hier von absoluten Mittelmaß. Doch „Roma“ gewann wie erwähnt bereits den Auslandsoscar, „The Favourite“ ist den Oscars zu schräg, und „Vice“ zu politisch-kritisch. Der Sieg des konservativen „Green Book“ war leider vorherzusehen. Ein letztes bisschen Hoffnung hatte jedoch jeder im Saal.

Bitte macht es beim nächsten Mal besser, liebe Academy. Oder lasst es ganz.

Alles in allem eine unaufgeregte, schnell über die Bühne gebrachte Verleihung, die zeigt, dass die Oscars zwar keinen Moderator, keine Spielereien oder Sketche braucht, jedoch mehr Mut, wirklich innovative Filme an die Spitze ihres Preisregens zu setzen. Der letztjährige Sieger "Shape of Water" war bereits ein Schritt in die richtige Richtung, der nun jedoch zunichte gemacht wurde. Dass ausgerechnet ein Film mit dem Titel „The Favourite“ mit nur einem Preis nach Hause geht, und das bei zehn Nominierungen, ist eine Schmach. Bitte macht es beim nächsten Mal besser, liebe Academy. Oder lasst es ganz.