Gesellschaft | 25. April

Mut zum Widerstand

Hannes Obermair über die Schwierigkeiten der Südtiroler mit dem Tag der Befreiung, die Initiativen in Meran und Bozen und die Wichtigkeit einer Erinnerungskultur.
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Foto: upi
Niemand wird heute noch ernsthaft bestreiten, dass der 25. April eine Befreiung – die Befreiung war.
Niemand, abgesehen von Right-Wing-Gruppierungen, die die Legitimation dieses Gedenkens und der historischen Fakten aus ganz unterschiedlichen Gründen immer wieder mal zu untergraben suchen. Oder einfach ignorieren wollen, und sich durch ihr beredtes Schweigen auf unmissverständliche Weise äußern. 
Aber zum Glück wissen wir, dass die Geschichtsvergessenen bzw. die Geschichtsverdreher letztlich auf der Verliererseite stehen, denn die historische Wahrheit wird sich immer Bahn brechen. 
Denn die Genannten haben 1945 verloren – und zwar für immer – und wollen das nur nicht wahrhaben. 
An uns liegt es, sie ab und an daran zu erinnern. Die Stadtverwaltung Merans tut gut daran, dieses Gedenken hochzuhalten. Überhaupt hat sie mit dem offiziellen Gedenken an das ehemalige NS-Außenlager in Untermais, das vor 72 Jahren in diesen Tagen befreit wurde, einen wichtigen Beitrag zu einer gesamtregionalen Erinnerungskultur geleistet. 
Zum Glück wissen wir, dass die Geschichtsvergessenen bzw. die Geschichtsverdreher letztlich auf der Verliererseite stehen, denn die historische Wahrheit wird sich immer Bahn brechen. 
Ich kann hier neben meinen Glückwünschen hierzu nur noch einige wenige Anmerkungen beisteuern, um 1. besser zu verstehen, wie die Geschichte dieser Gedenkkultur aussieht, und 2. einen kurzen Ausblick auf Künftiges zu wagen. 
Hier kommt zunächst mein Wohnort – Bozen – ins Spiel, wo es bekanntlich ähnlich lange gedauert hat, ehe ein gemeinsames, sprachgruppenübergreifendes Gedenken entstanden ist. Darum geht es nämlich im Kern: um die Bedeutung dieses unheimlichen Gestern für Heute, darum, eine triste Vergangenheit zur lebendigen Ressource für unsere Gegenwart zu machen. 
 
Die Psychoanalyse lehrt uns, wie das Unaufgearbeitete immer wiederkehrt, in verschiedener Gestalt. In Meran ist es neben der noch weitgehend unaufgearbeiteten faschistischen Vergangenheit – ein zentrales Feld künftiger Stadtgeschichtsschreibung, zu deren Inangriffnahme man die dafür Verantwortlichen sanft ermahnen möchte –, neben ihr ist es in erster Linie die nationalsozialistische Verstrickung der kommunalen Geschichte. 
Gerade diese Administration hat sich noch stärker der Anerkennung des unermesslichen Leids geöffnet, das v. a. der jüdischen Gemeinde zugefügt wurde. Ich lasse hier einmal die „vermögenstechnische“ Seite außer Acht, auch wenn die weitgehend unterbliebene Restitution des Geraubten natürlich von enormer Wichtigkeit wäre, aber die moralische Pflicht zur Anerkennung der Entrechtung und der geraubten Würde wird heute glücklicherweise sehr engagiert geleistet. Meran war mit seinen Stolpersteinen – dem wichtigsten dezentralen Museum der Zeitgeschichte, der Erinnerung vor den Füßen – Pionier zumindest in Südtirol, und in Bozen konnten wir hier in diese Fußstapfen treten – in enger Zusammenarbeit der Widerstandsvereinigung Anpi, der Jüdischen Gemeinde und dem so engagierten und unentwegten Duo 
Sabine Mayr-Joachim Innerhofer, dem man nicht genug danken kann für seine jahrelangen Forschungsleistungen.
Aber zurück zur Genese einer achtsamen, reflexiven, zukunftsfähigen Erinnerungskultur, die wir heute dankbar zu besitzen beginnen. 
Zu ihrem unveräußerlichen Kern gehört die Befreiung vom Nazifaschismus. Ein schöner Begriff, alles andere als rhetorisch. Mit „nazifascismo“ sind nämlich beide Dimensionen des Totalitären bestens benannt. Es war in Südtirol übrigens der 3./4. Mai 1945, an denen dieses Land und diese Menschen vom Doppelgesicht des Faschismus befreit wurden. Die amerikanischen GI’s beseitigten mit einem Schlag den italienischen und den deutschen Faschismus, die NS-Herrschaft. 
 
 
Ohne Mussolini bekanntlich kein Hitler, und ohne Hitler kein Salò. Diese Geschichte geht uns eben alle an, egal welche Sprache wir sprechen und welchen Namen wir tragen. 
Diese doppelte Diktaturerfahrung ist zentral für das Verständnis der jüngeren Geschichte des Landes und der Stadt Meran. 
Vergessen wir niemals, dass die Salò-Faschisten die eifrigsten Helfer der SS- Schergen waren. Ohne Mussolini bekanntlich kein Hitler, und ohne Hitler kein Salò. 
Diese Geschichte geht uns eben alle an, egal welche Sprache wir sprechen und welchen Namen wir tragen.
Ich habe eingangs gesagt, niemand bestreitet dies heute mehr ernsthaft. Aber es ist klar, dass sich solcher Konsens mühsam entwickeln musste, auch generationell überaus belastet war. Um hier einmal kurz die Perspektive unmittelbar nach Kriegsende einzunehmen, so wurde das Ende der Diktaturen etwa von der gewiss überwältigenden Mehrheit der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler bestenfalls als „Erleichterung“ über das Kriegsende empfunden. 
Zu sehr wirkte die deprimierende Katastrophe der Option und der Kriegsfolgen nach, zu sehr schwebten die zunächst ungelösten Fragen der staatlichen Zugehörigkeit, der von vielen geäußerte Wunsch einer Rückkehr zu Österreich, aber vor allem die ungeklärte Staatsbürgerschaftsfrage der zahllosen Rückoptanten über jenen Jahren. Und das zog sich lange hin. 
Es gibt also eine Bedeutungsentwicklung des 25. April, der hier – wie gesagt – eigentlich der 3./4. Mai wäre. Wir können uns glücklich schätzen, heute 
wirklich befreit über die Jahre des Zivilisationsbruchs und der Barbarei sprechen und arbeiten zu können. Aber das legt uns auch eine besondere Verantwortung auf.
 

Vergangenheitsbewältigung - Ein Wortmonstrum.

 
Und mein zweiter und letzter Punkt – was weiter tun? Kann das vergangene Unrecht zu etwas gut sein? Wiedergutgemacht werden kann es ja nicht. Ich halte auch nichts von den Phrasen, Menschen seien nicht umsonst gestorben. Menschen sterben doch immer umsonst. Aber ihre Erinnerung können wir wachhalten. Wir können auch versuchen zu verstehen, was war, und warum es war. 
Ein zentraler Begriff der deutschsprachigen Debatten- und Diskursgeschichte nach 1945 war stets die „Vergangenheitsbewältigung“. Ein Wortmonstrum. Aber es bedeutet zentral, beide Perspektiven zu Wort kommen zu lassen: die Perspektive der Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus, und die Perspektive der Täter, freilich in kritischer Absicht. 
Es ist also gut, wenn wir etwa an Franz Innerhofer, den 1921 in Bozen von den Faschisten ermordeten Marlinger Lehrer erinnern. Freilich nicht so, wie es sich die Süd-Tiroler Freiheit auf dem Tummelplatz in Innsbruck vorstellt, vor wenigen Tagen. Er war kein Kämpfer für das „Deutschtum“, wie der soeben errichtete Gedenkstein suggeriert. Das ist ein Rückfall in ethnozentrisches Erinnern, welches wir nicht benötigen. Und wir benötigen auch nicht die neofaschistischen Gruppierungen, die sich im Dunstkreis von Casapound und Blocco Studentesco ebenfalls, und mit besonderer Vorliebe in den Schulbereichen, „tummeln“. Ausländische MitbürgerInnen als „feccia“ bezeichnen, und selbst dieser Kategorie entsprechen. Wie gut, das Meran eine Antifa hat und einen Ost-West-Club. Antikörper, zivilgesellschaftlichen Widerstand – das gute alte „resistere, resistere, resistere“. 
 
Und nun, wirklich zum Schluss: Künftige Aufgabe wird es sein, unsere städtische und regionale Erinnerungs- und Geschichtskultur noch weiter zu öffnen. Die doppelte Diktaturerfahrung Merans, Bozens, Südtirols hat eine europäische Dimension, und die daran geknüpften Gedächtnisleistungen sind daher von Natur aus transnational. Eine Europaregion des kritischen Gedächtnisses, das die Erfahrungen des Trentino, Südtirols und des Bundeslandes Tirols endlich verknüpft und diese zusammen in europäische Zusammenhänge einbindet, dies ist dringend geboten und künftige Aufgabe. 
Eine Europaregion des kritischen Gedächtnisses, das die Erfahrungen des Trentino, Südtirols und des Bundeslandes Tirols endlich verknüpft und diese zusammen in europäische Zusammenhänge einbindet, dies ist dringend geboten und künftige Aufgabe. 
Über allem könnte als Leitspruch thronen, was ab heurigem Herbst unübersehbar am Bozner Gerichtsplatz zu lesen sein wird. Ein Zitat der größten Philosophin und Politikwissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts, selbst nur knapp den Nazi-Schergen entkommen – Hannah Arendt: Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen – Nessuno ha il diritto di obbedire. Unrechten Befehlen darf niemals gehorcht werden, dies ist der Mut zum Widerstand und zum Gewissensentscheid, den sie einfordert und der auch kommende Generationen hoffentlich ebenso anleiten wird wie uns.