Gesellschaft | Gastbeitrag

Kein antifaschistischer Akt

Guido Margheri will den Leichnam des Kriegsverbrechers Mischa Seifert aus dem Grab nehmen oder zumindest den Namen von Grabmal löschen. Warum er damit unrecht hat.
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Foto: upi
Mit dem Tod hört die Feindschaft auf
Den Leichnam des Nazi- und Kriegsverbrechers Mischa Seifert aus seinem Grab nehmen, in das er nach seine Tod im Jahr 2010 gelegt wurde oder zumindest den Namen von seinem Grabmal löschen? Und dies im Namen eines tätigen Antifaschismus? Der Vorschlag kommt zum Feiertag der Befreiung vom Nazifaschismus von Guido Margheri, dem Vorsitzenden der Bozner Partisanenvereinigung ANPI und seinem Kollegen von Caserta, wo Seifert begraben liegt.
Ich schätze Margheris überdurchschnittlich engagierte Präsidentschaft des ANPI, deren Mitglied ich selber bin. Das Gedächtnis an die Gräuel aller Art Faschismen muss gepflegt werden. Es ist Voraussetzung dafür, dass Geschehenes geschehen bleibt. Der 25. April als Nationalfeiertag der Befreiung ist die institutionelle Aufforderung dazu. Er verdiente es, auch von uns Südtirolern ernster genommen zu werden.
Doch nicht teilen kann ich Margheris Vorschlag, das Grab Mischa Seifert, des „Schlächters von Bozen“, entweder an einen unbekannten Ort zu verlegen oder den Namen vom Grabstein zu löschen. Dies grundsätzlich nicht und auch nicht zum Zwecke, dass faschistische Nostalgiker aus Verehrung oder zur Provokation das Grab dann nicht mehr besuchen und schmücken können. Kein Zweck kann solche Vorgangsweisen heiligen. Ich kann die Forderung meines Präsidenten nur als Unbedachtheit entschuldigen und den Grund dafür in seinem Aktivismus suchen. Bei so vielen Schüssen, die er abfeuert, geht halt einmal einer daneben.
Bei so vielen Schüssen, die Guido Margheri abfeuert, geht halt einmal einer daneben.
Ich darf zur Erklärung meiner Kritik eine Polemik aus meiner Parlamentarierzeit bemühen. Es war im Winter 2013. In der Kammer traf die Nachricht ein, Erich Priebke, der SS-Führer und Mitverantwortliche für das Massaker in den Fosse Ardeatine, werde am Friedhof eines Städtchens nahe Rom begraben. Das Parlament erlebte eine der fragwürdigsten Vorführungen antifaschistischer Rhetorik. Aufs Korn genommen wurde insbesondere der Bürgermeister der Kleingemeinde, deren Namen mir nicht mehr einfällt. Alles übertroffen an Pathos hat der Mailänder PD-Exponent Emanuele Fiano, Jude und Sohn eines Auschwitz-Überlebenden. Es fehlte nur, dass er zum Marsch auf den Friedhof und zur Abführung des dafür verantwortlichen Bürgermeisters aufrief.
Fianos Entrüstung war glaubwürdig und vor dem Hintergrund seiner Biografie auch unangreifbar. Trotzdem hatte ich mich spontan zu einer Replik darauf vorgemerkt, kam wegen der zahlreichen Erregungswortmeldungen jedoch nicht mehr zum Zug. So ging ich nach Debattenende zu Fiano hin und sagte ihm, umringt von einem Pulk Gleichgesinnter, sinngemäß Folgendes: Wenn im Fall Begräbnis Priebke jemand Schuld auf sich geladen hat, so ist es der italienische Staat und sicher nicht der kleine Bürgermeister von weiß nicht wo. Priebke war 100 Jahr alt, als er am 11. Oktober 2013 starb. Niemand könne sich also entschuldigen, der Unmensch sei „plötzlich und unerwartet“ gestorben. Auf einen politisch solch heiklen Tod und wie mit ihm umzugehen ist, hat ein Staat mit all seinem Apparat vorbereitet zu sein und entsprechend zu verfahren. Es sei unverantwortliches Staatsversagen, die Leiche dem echten oder vorgeschützten Volkszorn auszuliefern.
Mit dem Tod hört die Feindschaft auf.
Und dann nannte ich ein aktuelles Beispiel für würdigen Umgang mit dem Feindestod. Wenige Tage vorher war in Deutschland Manfred Rommel gestorben, der Sohn des im Weltkrieg berüchtigten Generalfeldmarschalls „Wüstenfuchs“. Dieser sah sich als junger CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart im Herbst 1977 einer nicht weniger brenzligen Entscheidung ausgesetzt als sein povero collega anonimo von der römischen Peripherie. Rommel setzte gegen den Widerstand seiner Partei und den geballten deutschen Volkszorn durch, dass die RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe, die im Hochsicherheitsgefängnis Selbstmord begangen hatten (oder ermordet wurden, wer weiß) ein ordentliches Begräbnis am Stadtfriedhof von Stuttgart bekamen. „Mit dem Tod muss die Feindschaft aufhören“, hat er die Entscheidung begründet.
Eine fürwahr liberale Großtat. 
Das Grab Mischa Seiferts, des Boia di Bolzano, zu verstecken, ist kein antifaschistischer Akt, und Entnamung verletzt die Menschenwürde.
Die Toten zu begraben und ihnen zumindest ihre Namen zu belassen, ist nicht erst ein christliches, es ist ein humanistisches Prinzip. Schon Sophokles gebietet im Ödipus, den Feind nicht tot am Feld liegen zu lassen.
Lieber Guido Margheri, das wollte ich dir sagen: Das Grab Mischa Seiferts, des Boia di Bolzano, zu verstecken, ist kein antifaschistischer Akt, und Entnamung verletzt die Menschenwürde.