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Woody Allen - Ganz nebenbei.

Was als Besprechung von Woody Allens Autobiographie beginnt, mündet in einer Kritik an der Kritik an derselben.
Woody Allen
Foto: Woody Allen

Gleich vorweg: Dies wird eine kontroverse Besprechung zu einem kontroversen Buch. Woody Allen veröffentlicht im Alter von 84 Jahren eine Autobiographie, und ihm schlägt sich ein Protestwelle sondergleichen entgegen. Der amerikanische Verlag Hachette sagte kurz vor knapp die Veröffentlichung ab, nachdem sich einige Autoren sowie die Belegschaft des Hauses quer gestellt hatten. Die Biographie eines Pädophilen veröffentlichen? Wo kommen wir denn da hin? Auch unter dem Druck von Ronan Farrow, seines Zeichens Adoptivkind Allens und seit Neuestem erfolgreicher Investigativ-Journalist im Fall Harvey Weinstein, knickte der Verlag schließlich ein. Woody Allen fand dennoch einen amerikanischen Verlag, nämlich Arcade Publishing. Im deutschsprachigen Raum kümmert sich der Hamburger Rowohlt Verlag um die Verbreitung des Buchs. Doch auch hier gab es weitreichenden Protest, vor allem von Seiten einiger Rowohlt-Autoren. Man möchte es einen Kindergartenaufstand nennen, doch dazu gleich mehr. Zunächst sollten wir uns mit dem Status Quo beschäftigen. Das Buch ist erschienen, jeder kann es kaufen, oder eben nicht, und sich eine Meinung bilden. Worum geht es denn konkret? Nun, es ist eine Autobiographie, und es liest sich wie eine klassische Woody Allen-Geschichte mit all ihren Auf und Abs und einem Potpourri aus popkulturellen Referenzen, Romanzen und Neurosen. In der ersten Hälfte erzählt Allen, der 1935 als Allan Stewart Konigsberg in Brooklyn geboren wurde, von seinem Aufstieg als Comedian, als klassischer Gagschreiber, als der er von einer Show zur nächsten wanderte, sich einen Ruf aufbaute und so schließlich zunächst als Schauspieler zum Film fand. Man merkt Allen den Spaß an der Selbstironie an. Dabei lässt er immer etwas Raum für Spekulation, als Leser ist man sich nicht völlig sicher, wie ernst der Autor es meint. So wiederspricht er beispielsweise seinem Image als Intellektueller. Er habe sich diesen Ruf lediglich durch einige pseudointellektuelle Sprüche in seinen Drehbüchern angeignet, und die Hornbrille erledigte den Rest. Er war als junger Mann nicht an Literatur oder Philosophie interessiert, sondern in erster Linie an guten Gags und schönen Frauen, und um letztere zu erobern, musste er sich zwangsläufig in die Lektüre von Hemingway & Co. stürzen. So liest sich das Buch über weite Strecken sehr unterhaltsam. Es ist in der Sprache verfasst, die auch Allens Drehbüchern gemein ist, manchmal böse, manchmal nostalgisch, doch nie völlig ernst. Dann, ab etwa der Hälfte erzählt er von seiner Begegnung mit Mia Farrow, mit der er eine zwölf Jahre lange Beziehung führte. Am Ende dieser Zeit stand der weithin beachtete Sorgerechtsstreit. An dieser Stelle sollen die Einzelheiten nicht noch einmal vorgekaut werden, wer im Fall Allen-Farrow nicht im Bilde ist, soll sich anderweitig eines verschaffen. Jedenfalls erklärt Allen in seinem Buch in aller Detailfülle, wie er seine Adoptivtochter Soon-Yi lieben gelernt hat, woraus eine über zwanzig Jahre andauernde Ehe entstand, und wie Farrow nur kurz darauf mit den Missbrauchsvorwürfen im Fall Dylan Farrow an die Öffentlichkeit ging. Woody Allen, der nur wenige Monate zuvor mit seiner Adoptivtochter, die wohlgemerkt längst volljährig war, zusammenfand, wurde plötzlich als der Vergewaltiger seiner anderen sieben-jährigen Tochter Dylan bezeichnet. Es gab eine Riesenaufregung, das FBI wurde eingeschaltet, es gab Untersuchungen und jede Menge Presse.

 

Das Ergebnis: Zwei Gutachten, die einen Missbrauch ausschlossen, ein negativer Lügendetektortest mit Allen, zweifelhafte Aussagen des vermeintlichen kindlichen Opfers, die, so geht aus dem Bericht hervor, „wie auswendig“ gelernt klangen, Aussagen der Haushälterinnen bzw. Kindermädchen zugunsten Allen, ein Richter, der die offiziellen Untersuchungen weitgehend ignorierte. Woody Allen ist also, laut Recht, ein unschuldiger Mann. Der Missbrauch konnte nicht bewiesen werden, und bis heute streitet der Filmemacher alle Anschuldigen ab. Mia Farrow hält, gemeinsam mit ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Dylan, jedoch daran fest. Unterstützt werden sie von Ronan Farrow, der wie eingangs erwähnt, inzwischen erfolgreicher Journalist ist. Er war zum Zeitpunkt des vermeintlichen Missbrauchs vier Jahre alt. Auf seine Stimme wird nach den Weinstein-Aufdeckungen natürlich gehört, anders als auf jene von Moses Farrow, einem weiteren Kind, das damals vierzehn Jahre alt und somit das älteste Kind des Farrow-Clans war. Er beschreibt auf seinem Blog in aller Ausführlichkeit vom Alltag im Haushalt Farrow, zu dem Woody Allen selbst nie gehörte, da das Paar über den gesamten Zeitraum der Beziehung getrennt wohnte. Laut Moses Farrow wurden die Kinder regelmäßig geschlagen, manipuliert und indoktriniert. Das Ergebnis: Rund zehn Jahre nach den Missbrauchsvorwürfen begingen zwei von Farrows Kindern in der Wohnung ihrer Mutter bzw. in unmittelbarer Nähe Selbstmord.

Dass das Bild der warmherzigen Mutter Mia Farrow etwas ins Wanken gerät, ist nicht zu bestreiten. Es stellen sich also in erster Linie zwei Fragen:

Wäre eine solche Frau im Stande, einen Missbrauch zu erfinden und das kindliche Opfer, von dem sie nachweislich Nacktaufnahmen angefertigt hat, derart zu manipulieren, dass es an den Missbrauch bis heute glaubt?

 

Und: Warum wird der Aussage von Ronan Farrow derart viel Gewicht gegeben, die vom zehn Jahre älteren Moses Farrow aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert? Wie weit kann dem Bericht eines Vierjährigen im Vergleich zu dem eines Vierzehnjährigen vertraut werden?

Die Antwort muss jeder für sich finden. Allen greift Ronan Farrow scharf an: "Er hat kein Problem damit, wenn Frauen die Wahrheit sagen, solange es die Wahrheit seiner Mom ist", kommentiert er.

 

Woody Allens Biographie ist natürlich auch eine Selbstverteidigung, jedoch eine, die zu spät kommt. Denn der Ruf ist beschädigt, nicht zuletzt auch durch die #Metoo-Bewegung, durch die der Fall wieder an Brisanz erhielt. Ihm selbst bereitet das ganze „Schlamassel“ weniger Sorgen als man glauben würde. Schließlich weiß er, so schreibt Allen, von seiner Unschuld, und von der groß angelegten Schmutz-Kampagne gegen seine Person. Filme drehte der Künstler auch nach 1992, mit vielen namhaften Schauspielern, von denen sich nun einige auf seine Seite stellen, aber genauso viele gegen ihn. Allein dieser Fakt zeugt von der unersättlichen Heuchelei Hollywoods. Schauspieler, die erst noch in Allens letztem Werk „A Rainy Day In New York“ voller Stolz mitgespielt haben, distanzieren sich zwei Wochen später plötzlich von dem Film und seinem Autor, da es gerade en vogue ist, sich von zweifelhaften Dingen zu distanzieren. Man rennt dem Trend hinterher, Gerüchten Glauben zu schenken und die Unschuldsvermutung außer Acht zu lassen. Wer als Schauspieler Zweifel an der Unschuld Allens hat, kann dem Regisseur gern eine Absage erteilen, doch im Nachhinein plötzlich umzuschwenken, weil es die Öffentlichkeit von einem erwartet, ist an Peinlichkeit kaum zu übertreffen. Dasselbe gilt übrigens auch für all jene, die sich gegen die Veröffentlichung der Autobiographie gewehrt haben. Niemand muss dieses Buch kaufen, wenn er Allen nicht unterstützen möchte. Doch es ist in allen Maßen bedenklich, dass eine Handvoll Autoren die Macht hat, die Entscheidungen eines renomierten Verlags (Hachette) zu beeinflussen. Wer als Künstler andere Künstler in ihrer Meinungsäußerung behindern will, während kein Beweis der Schuld vorliegt, betreibt schlichtgesagt nur eines: Zensur. Außerdem wird dabei übersehen, dass die Überstilisierung des Falls Allen alles andere als hilfreich für die wirklichen Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung ist. Wer von vorn herein die Meinung einer Seite zensiert, und lediglich die des vermeintlichen Opfers anhört, ist unfähig, individuelle Fälle ernsthaft zu behandeln. Wozu dann noch Gerichte haben, wozu Untersuchungsausschüsse. All jene, die nun glauben, durch ihre Unterstützung für Mia Farrow und ihrer Tochter Dylan der #Metoo-Bewegung zu helfen, sind auf dem Holzweg. Sie tragen nur dazu bei, dass der Fall Allen weiter polemisiert wird – und spielen Mia Farrow in die Karten, nicht aber der neutralen Beurteilung des Falls. Die Kritiken, die dieses Buch aktuell bekommt, reihen sich in die allgemeine Stimmung gegen den Filmemacher ein. Man ist ihm gegenüber zutiefst negativ eingestellt und beschäftigt sich weniger mit dem tatsächlichem Inhalt des Buchs bzw. der Qualität seiner Filme, als mit dem anscheinend nicht wieder gut zu machenden Ruf des Mannes. Ich werfe diesen Journalisten vor, unter dem öffentlichen Druck und dem der Redaktionen dieser Welt klein bei zu geben und eine objektive Beurteilung des Buchs gar nicht erst zuzulassen.

 

Ist die zeitgenössische Kritik mittlerweile nicht mehr als die Marionette des Zeitgeists?

 

Was bleibt als Fazit zu sagen? Woody Allens Buch ist sicherlich kein großartiges, doch ein interessanter, subjektiver Einblick in sein dramatisches Leben. Es setzt voraus, dass man sein Werk kennt, da Allen sich um lange Erklärungen nicht schert. Des öfteren verläuft er sich in Anekdoten und Nebensächlichkeiten, die für ihn wichtig sein dürften, den ansonsten guten Lesefluss jedoch etwas stören.

Ob man ihm oder der Gegenseite glaubt, ist jedem Leser selbst überlassen. Ebenso ob man seine Filme weiterhin anschaut. Ebenso, ob man sich von Trends und Moden verführen lässt und über Dinge urteilt, über die man nicht zu urteilen fähig ist. Am Ende verabschiedet Allen seine Leser gewohnt lakonisch. Er ist nun alt, hat sein Leben gelebt, schert sich nicht um ein Vermächtnis oder gar den Tod. Natürlich würde er gern noch einige Jahre weiterleben, auf seine eigene Weise, oder wie er es ausdrückt: Statt in den Köpfen und Herzen der Menschen würde ich lieber in meiner Wohnung weiterleben.

 

 

 

 

 
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gorgias Mo., 27.04.2020 - 19:16

Ronan Farrow profitiert hauptsächlich von einer Sache, nämlich dass die #metoo-Bewegung nicht willig ist zu differenzieren.

Als Matt Damon zu Beginn der Metoo-Bewegung sagte:

"Es gibt einen Unterschied zwischen dem Klopfen auf den Hintern und Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch. Beide Verhaltensweisen müssen ohne Frage konfrontiert und ausgerottet werden, sollten aber nicht miteinander in Konflikt gebracht werden. "

ist er gerade noch entkommen zur Unperson erklärt zu werden.

So wird auch nicht unterschieden zwischen Harvey Weinstein und Bill Crosby auf der einen Seite und auf der anderen Aziz Ansari und Louis C.K. deren Verhalten zwar peinlich aber in keinster Weise straffällig war.

Die Ächtung Woody Allens, obwohl verschiedene Untersuchungen eingestellt wurden, und das nicht nur aus formalen Details, ist ein weiteres trauriges Kapitel der cancel culture.

Mo., 27.04.2020 - 19:16 Permalink