Gesellschaft | GestaltAkademie

ADHS im Erwachsenenalter

ADHS hört nicht einfach auf, nur weil man erwachsen wird! Vom 27. bis 28. September organisiert die Genossenschaft GestaltAkademie Südtirol wieder die Bozner Gestalttage.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Gestaltakademie Südtirol

Vom 27. bis 28. September organisiert die Genossenschaft GestaltAkademie Südtirol wieder die Bozner Gestalttage. Diesmal mit einem Paar aus der Schweiz, Heiner Lachenmeier und Gabriela Frischknecht, beide langjährige Experten auf dem Gebiet von ADHS.

Mit den Bozner Gestalttagen lädt die Genossenschaft GestaltAkademie Südtirol ein, sich theoretisch und praktisch mit dem Gestalt-Ansatz auseinanderzusetzen sowie sich auszutauschen und zu diskutieren. Gestalttherapie ist eine weltweit anerkannte psychotherapeutische Methode, die Bewusstheit mit Körperlichkeit vereint.

Das Anliegen der GestaltAkademie Südtirol ist es, den Menschen mit seinem Potential und seinen Ressourcen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen und Begleitung anzubieten bei der Entwicklung und Entfaltung der Humanressourcen im beruflichen wie auch im privaten Alltag.

Im Interview erzählen die beiden Fachleute über ADHS bei Erwachsenen, was diese Diagnose bedeutet und was in der Therapie zu berücksichtigen und im Alltag hilfreich ist.

Sie kommen nun mit ihrer Partnerin nach Bozen, wo es ja auch eine Fachambulanz unter der Leitung von Dr. Sonia Holzer gibt mit einem Fachteam von Psychologinnen, Ärzten (Prof. Dr. Conca und Prof. Dr. Giuppioni) und einem Pfleger, wo diagnostische Abklärung und psychoedukative Gruppen angeboten werden. Was werden die Inhalte des Vortrages sowie des Seminars sein?

Wir kommen auf Einladung der GestaltAkademie, die sich nie in Konkurrenz zu den öffentlichen Einrichtungen versteht. Die GestaltAkademie greift wichtige Themen im Bereich psychosozialer Gesundheit auf und hat uns als Mitglieder des internationalen IGW-Netzwerkes nach Bozen eingeladen. Der Vortrag soll erste Antworten zu lebensnahen Fragen von Betroffenen geben sowie einen Überblick, was ADHS überhaupt ist und - noch wichtiger - wie „Aufmerksamkeitsdefizit“ und „Hyperaktivitätsstörung“ überhaupt funktioniert. Denn gerade das Verstehen der Funktionsweise von ADHS bildet die Grundlage dafür, sich bei ADHS nicht ausgeliefert zu fühlen. So können mögliche Nachteile vermindert und die Vorteile von ADHS besser genutzt werden. AD(H)S soll als Normvariante von Menschsein thematisiert werden, mit ihren spezifischen Schwierigkeiten oder konflikthaften psychischen Entwicklungen als Folge davon.
Im Seminar wird auf dieser Basis erlebnisorientiert weitergearbeitet in Gruppenarbeiten, mit Experimenten und Übungen zur Funktionsweise von ADHS.  Weiters werden wir Fragen behandeln zum konkreten therapeutischen, insbesondere gestalttherapeutischen Vorgehen, zu den verschiedenen möglichen Therapieelementen. Bei Bedarf geht es natürlich auch um supervisorische Fragen und allgemein um das Erfassen der ADHS von neurobiologischer wie auch von der psychologischen Seite her.

Was ist ADHS und wie entsteht es überhaupt?

Die Ursache der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung ist Vererbung. Zusätzlich können weitere Faktoren eine Rolle spielen. Früher sprach man vom Zappelphilippsyndrom oder von POS. Man dachte vor allem an unruhige, unkonzentrierte Knaben. Heute weiss man, dass beide Geschlechter betroffen sein können, und dass ADHS ins Erwachsenenalter weiter bestehen bleiben kann. Nicht alle Betroffenen weisen eine motorische Unruhe auf, ADHS kann sich auch in verstärktem Träumen zeigen.
Bei Menschen mit ADHS werden Informationen und eigene Gedanken nicht automatisch vorgefiltert. Man muss also mit einer grösseren Datenflut zurechtkommen. Und man hat eine größere, spontane Assoziationsbreite. Das hat im Alltag viele Nachteile (z.B. Mühe den Überblick zu gewinnen), kann sich aber in bestimmten Situationen durch erhöhte Kreativität und innovative Ideen als Vorteil erweisen.
Soweit bekannt, stehen bei ADHS in gewissen Hirnarealen weniger der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin zur Verfügung. Diese Botenstoffe haben erstens eine gewisse Filterfunktion in der Informationsverarbeitung. Zweitens sind sie für die Steuerung sogenannt exekutiver Funktionen zuständig.

ADHS oder ADS?

Die Unterscheidung in ADHS und ADS bezieht sich auf das Vorhandensein oder Fehlen von körperlicher Hyperaktivität. Körperliche Hyperaktivität ist schnell auffällig und störend (im Gegensatz z.B. zu geistiger Hyperaktivität), und wurde deshalb als Unterscheidungsmerkmal definiert. Möglicherweise ist die Unterscheidung in ADHS und ADS weniger bedeutsam als heute angenommen, denn viele Betroffene zeigen sowohl Phasen mit als auch solche ohne Hyperaktivität.

AD(H)S ist eine relativ junge Diagnose. Noch Ende der 1990er Jahre war auch in Fachkreisen die Meinung verbreitet, dass AD(H)S nur bei Kindern und Jugendlichen anzutreffen ist. Was ist denn nun eine adulte AD(H)S und an welchen Symptomen lässt sich feststellen, dass ein Erwachsener an AD(H)S betroffen ist junge Diagnose hat?

ADHS kann zu einem breiten Spektrum an Symptomen führen. Die auffälligsten und bekanntesten sind erhöhte Ablenkbarkeit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme, Mühe, Prioritäten zu setzen, Organisationsschwierigkeiten, körperliche Hyperaktivität, Impulsivität, schnelle Stimmungsumschwünge und Probleme mit dem Selbstwert. Oft zeigt sich auch eine gesteigerte Unfalltendenz; das Risiko einer Suchtentwicklung ist erhöht.
Zudem besteht bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS eine verzögerte Hirnentwicklung, vor allem punkto emotionalem Sozialverhalten. Als Faustregel gilt, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS rund drei Jahre «jünger» sind als ihr biologisches Alter. Das kann zu Schwierigkeiten unter Gleichaltrigen führen (z.B. Außenseiterrolle), und insbesondere in der Pubertät zusätzliche Schwierigkeiten verursachen.
Die verzögerte Hirnentwicklung wächst sich im frühen Erwachsenenalter aus. Die genetische Kondition «ADHS» bleibt aber bestehen. Im Idealfall entwickeln Menschen mit ADHS spezielle Bewältigungsmechanismen, wodurch sie ein normales Leben führen können, und in der Regel auch weniger auffällig wahrgenommen werden. Manchmal kann es im Erwachsenenalter zu einem sogenannten Symptomwechsel kommen. Dabei treten Folgeschwierigkeiten in den Vordergrund wie z.B. depressive- und Angststörungen, Beziehungsschwierigkeiten oder auch Burnout.
Nach heutigem Stand der Forschung haben rund 5% der Bevölkerung eine ADHS. Viele Erwachsene stellen erst durch die Diagnosestellung bei ihren Kindern fest, dass sie selbst ebenfalls betroffen sind.

Was sind die positiven Aspekte von ADHS? Wie sieht eine allfällige Behandlung aus?

In Bereichen, in denen sich Menschen mit ADHS gut auskennen, können sie meist viel schneller Zusammenhänge erkennen und treffendere Entscheidungen fällen als gleich intelligente Menschen ohne ADHS (manch besonders gute Notfallarzt hat eine ADHS). Generell funktionieren „ADHS-ler“ in Ausnahmesituationen deutlich besser als der Durchschnitt. Zudem ist die Hilfsbereitschaft meist erhöht (z.B. auch bei Autounfällen). Zumindest zeitweise zeigen Menschen mit ADHS überdurchschnittlich großes Engagement (gerade auch in Vereinen, Sport und Politik). Insgesamt sind Kreativität, Erfindergeist und innovatives Verhalten bei Menschen mit ADHS im Vergleich zu gleich intelligenten Menschen ohne ADHS erheblich ausgeprägter.
Zu wissen, dass man eine ADHS hat, ist extrem wichtig. Es ist die Voraussetzung, dass man gezielt etwas gegen allfällige Probleme damit tun kann – falls man denn welche hat.
Dann gilt es für Betroffene zu verstehen, was ADHS genau ist, und wie es funktioniert. Dadurch kann man systematisch erarbeiten, mit welchen Strategien man damit umgehen kann. Natürlich unterscheidet sich dies je nach Alter, Intelligenz etc. Was das im Einzelfall bedeutet, hängt auch stark von der Persönlichkeit des Betroffenen ab.
Manchmal sind Hilfsmittel wie äußere Strukturen (von banalen, zeitlich regelmässigen Abläufen bis zu institutionellen Strukturen), organisatorischer Unterstützung (von einfacher, direkter Hilfe bis zu Coaching) oder elektronische Möglichkeiten (vernetzte Agenda, elektronische Erinnerungen, Datenzugriff in Cloud, u.a.) sinnvoll. Das muss individuell erarbeitet werden.
Kinder mit ADHS können sehr unterschiedlich sein. Im Sinne von Faustregeln kann man sagen, dass es meist eine gute Mischung von Freiraum und Freiheit, sowie Struktur und Regeln braucht. Wichtig ist eine wertschätzende Haltung, was nicht mit verwöhnender Schonhaltung verwechselt werden darf. Verlässliche Beziehungen sind für Kinder mit ADHS noch wichtiger als für andere Kinder.
Auch Erwachsene mit ADHS muss man keineswegs wie rohe Eier behandeln – aber mit normalem, wahrnehmbarem Respekt. Es macht Sinn möglichst klar zu kommunizieren, und etwas mehr als sonst auf allfällige Missverständnisse zu achten.
Je nach Ausmaß der ADHS-bedingten Schwierigkeiten können für die Behandlung zusätzlich Medikamente sinnvoll oder sogar entscheidend sein.

Informationen zu den Referenten

Dr. med. Heiner Lachenmeier ist Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie mit jahrelanger eigener Praxis in Affoltern am Albis. Seit 2000 beschäftigt er sich intensiv mit ADHS bei Erwachsenen, inklusive Praxisforschung, Vortrags- und Supervisionstätigkeit. Lachenmeier ist ärztlicher Fortbildungsleiter im IGW, dem Partnerinstitut der GestaltAkademie Südtirol.

Seine Partnerin Gabriela Frischknecht, ist Fachpsychologin für Psychotherapie und Gestalttherapeutin mit etlichen Zusatz-Ausbildungen. Neben Lehraufträgen kann sie eine langjährige psychotherapeutische Tätigkeit an der Universitäts-Kinderklinik Zürich aufweisen und ist seit 2005 in psychiatrisch-psychotherapeutischer Gemeinschaftspraxis tätig.  Frischknecht ist zudem Ausbilderin für das IGW und Geschäftsführerin des igw Schweiz (dem Tochterinstitut des IGW).

 

Info-Block Bozner Gestalttage

Dr. med. Heiner Lachenmeier und Gabriela Frischknecht  // ADHS hört nicht einfach auf, nur weil man erwachsen wird! // Bozner Gestalttage // Vortrag und Seminar 

Termine: 

_Vortrag: Freitag, 27. September, 20-22 Uhr

_Ort: Haus St. Benedikt, Grieser Platz 19, Bozen

_Seminar: Samstag,28. September, 9-19 Uhr (mit Mittagspause)

_Ort: GestaltAkademie Südtirol, Claudia-de’-Medici-Stra. 1a, Bozen

_Anmeldung: GestaltAkademie Südtirol

[email protected]  T 349 059 68 19