Politik | Gastbeitrag

Geheimdienste und Südtirol (1)

Der Historiker und Terrorismusforscher Thomas Riegler über die Rolle westlicher und östlicher Geheimdienste in Südtirol.

Der Südtirolkonflikt zählt bis heute zu den größten internationalen Auseinandersetzungen in Westeuropa seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Zwei Wellen von Attentaten (1961-1967 bzw. 1978-1988) forderten mindestens 35 Menschenleben und zahllose Verletzte. Der vorliegende Beitrag untersucht die substanzielle Rolle westlicher und östlicher Geheimdienste, vor allem des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), in Südtirol. Aufgrund der geopolitischen Bedeutung der Region zwischen den Machtblöcken des Kalten Krieges und des zeitlichen Zusammenhangs mit der Entkolonialisierungsphase der 1950er und 1960er Jahre war die Situation in Südtirol von strategischem Interesse für das MfS.

Einerseits hatte der jahrzehntelange Konfliktherd das Potential, einen Keil zwischen die NATO-Mitgliedsländer Italien/BRD zu treiben, andererseits ließen sich gesammelte Informationen über die Rolle von rechtsextremistischen Organisationen und Individuen zur „nazistischen“ Diffamierung der Bonner Republik instrumentalisieren. In diesem Zusammenhang ergeben sich Parallelen zur Vorgangsweise der italienischen Geheimdienste, insbesondere was deren „pangermanistische“ Charakterisierung der Südtiroler Sezessionsbestrebungen angeht. Für die Untersuchung stützt sich der vorliegende Beitrag neben Sekundärliteratur vor allem auf Primärquellen, die aus der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), dem Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖSTA/AdR) sowie aus der Wiener Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA) stammen.


Die erste Phase des Südtirolterrorismus (1961-1969)

Die Wurzel des Konflikts rund um nationale Selbstbestimmung und Minderheitenrechte in Südtirol bildete die Friedensordnung nach Ende des 1.Weltkriegs: Das deutschsprachige Gebiet zwischen Brenner und Salurner Klause war 1919 Italien zuerkannt worden. Unter dem faschistischen Regime wurde Südtirol dann einer strengen Politik der „Italienisierung“ unterworfen – durch Förderung italienischer Zuwanderung, „Entnationalisierung“ der deutschsprachigen Bevölkerung sowie „Umsiedlung“ von Südtirolern (Option) nach einem entsprechenden Abkommen mit Nazi-Deutschland (1939). Diese Erfahrung trug auch dazu bei, dass zahlreiche Südtirol-Aktivisten ihr späteres gewaltsames Vorgehen als antifaschistischen Widerstand rechtfertigten. Nach Ende des zweiten Weltkriegs einigten sich Österreich und Italien 1946 auf eine Autonomielösung für Südtirol, deren Umsetzung jedoch verschleppt wurde. Hatten dagegen schon Ende der 1940er Jahre vereinzelte Bombenanschläge stattgefunden, führte die weiter fortschreitende „Italienisierung“ Ende der 1950er Jahre zu einer allmählichen Radikalisierung des Protests.

Der 1958 gegründete „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) verschrieb sich der Forderung nach Selbstbestimmung und machte zunächst noch durch zivilen Ungehorsam auf sich aufmerksam. Das erste Attentat, zu dem sich der BAS bekannte, ereignete sich 1961. Die Anschläge in dieser Anfangsphase hatten „demonstrativen“ Charakter und richteten sich gegen Strommasten, Rohbauten und faschistische Denkmäler. Infolge der dadurch provozierten Repression, eskalierte der Südtirolterrorismus: Zwischen 1961 und 1967 wurden Sicherheitskräfte gezielt aus dem Hinterhalt erschossen oder mit Sprengfallen getötet, und es gab auch überregionale Anschläge auf italienische Fernzüge und Bahnhöfe. Insgesamt starben 15 Militärs, Polizisten und Zöllner. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier Aktivisten ums Leben. Hatten einige der BAS-Aktivisten anfangs noch davon geträumt, Südtirol nach Vorbild des erfolgreichen antikolonialen Aufstands von General Georgios Grivas in ein „zweites Zypern“ zu verwandeln, mussten sie jedoch bald erkennen, dass hinter ihrer Organisation keine Massenbewegung stand. Die Situation blieb für Italien beherrschbar. Der Gegenoffensive, die gerade im nachrichtendienstlichen Bereich sehr effektiv geführt wurde, hatte der nach 1961 personell stark ausgedünnte BAS immer weniger entgegenzusetzen, und schließlich wurden 1967 auch die Verbindungs- und Rückzugslinien ins „Hinterland“ Österreich gekappt.

Auf politischer Ebene jedoch hatten die ersten BAS-Attentate, vor allem die „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961, nicht nur Dynamik in die bilateralen italienisch-österreichischen Verhandlungen gebracht, sondern auch dazu beigetragen, dass die Südtiroler Volkspartei (SVP) erstmals in inneritalienische Gespräche eingebunden wurde. Ob und in wieweit durch die Anschläge eine politische Lösung „herbeigebombt‘ wurde, ist aber bis heute umstritten. Der langjährige Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago etwa rückte die „Feuernacht“ in ursächlichen Zusammenhang mit der Entscheidung der römischen Zentralregierung, die Südtirolfrage zu prüfen. Der Zeithistoriker Rolf Steininger dagegen konstatiert eine „weggebombte Selbstbestimmung“: „Die Attentäter haben das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten. Im Bestreben nach Selbstbestimmung waren ihre Anschläge kontraproduktiv.“ Ein namhafter Vertreter der gegenteiligen Meinung ist der Journalist Hans Karl Peterlini: Für ihn ist die spätere Autonome Südtirols „kein Kind der Anschläge, aber die Anschläge gehören zu ihrer Geschichte, sind ein Kind des Ringens um Autonomie, das auch beigetragen hat zum Autonomieprozess. Die Attentäter mögen alles andere gewollt haben, aber sie haben sich in diese Geschichte eingetragen."


Die zweite Phase des Südtirolterrorismus (1978-1988)

Als die entscheidenden inneritalienischen Verhandlungen zwischen 1967 und 1969 über die Bühne gingen, war die erste Welle des Südtirolterrorismus bereits zu Ende gegangen. Es sollte aber bis 1992 dauern, ehe die Autonomie der Provinz vollständig umgesetzt war. Bis es soweit war, sollte sich die Gewalt noch ein weiteres Mal entzünden: Diese zweite Welle, die ab 1978 einsetzte, unterschied sich von der vorangegangenen in mehrfacher Weise. Hinsichtlich der Akteure traten mit dem Movimento Italiano Alto Adige (Mia – Bewegung der Italiener in Südtirol) und Associazione Protezione Italiani (Api – Vereinigung zum Schutz der Italiener) erstmals zwei italienische Gruppen auf den Plan. Sie unternahmen u. a. Anschläge gegen sechs Seilbahnen (1979), die Zugstrecke Meran-Bozen (1980) sowie auf den Landtag, die Villa des damaligen Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago, das Regierungskommissariat und den Sitz der Democrazia Cristiana in Bozen (1981). Die Terrorakte von Mia und Api richteten sich somit einerseits gegen die Südtiroler Autonomie und andererseits gegen jene Kräfte, die auf italienischer Seite als zu weitgehend empfundene Zugeständnisse gemacht hatten.

Auf Südtiroler Seite waren noch in den Jahren 1978 bis 1982 Täter aus dem Personenkreis des BAS der 1960er Jahre aktiv. Danach – von 1986 bis 1988 – war die obskure Organisation Ein Tirol für zahlreiche Attentate verantwortlich. Insgesamt wurden 46 Anschläge, darunter gegen den Bahnhof Burgstall (1986), den Sitz des Rundfunks RAI, eine italienische Schule und die Banco di Roma in Bozen sowie gegen ein Kraftwerk in Waidbruck, die Dominikanerkirche in Eppan und die Wasserleitung in Lana (1988) verübt. Der Terror von Ein Tirol hatte eine ähnliche, wenn gleich gegensätzliche Leseart wie die Aktionen von Mia und Api: Hier richtete sich die Unzufriedenheit gegen die Kompromissbereitschaft der Südtiroler Volkspartei – statt weiter eine Autonomie auszuverhandeln, wollte Ein Tirol gleich eine Volksabstimmung über ein generelles „Los von Rom“ herbeibomben. Es war, schreibt der Südtiroler Journalist Hans Karl Peterlini, ein „Dialog mit Detonationen“: „Anschläge auf ‚italienische Ziele’ wechselten sich mit Anschlägen auf ‚deutsche Ziele’ ab.“ Im Unterschied zur ersten Phase des Südtirolterrorismus verursachten die Attentate zwar erhebliche Sachschäden, kosteten aber glücklicherweise keine Menschenleben. 1984 wurden aber zwei Südtiroler Schützen bei einer Explosion getötet, als sie vermutlich einen Sprengkörper vorbereiteten. Ein weiterer Schützenfähnrich starb 1982 nach Misshandlungen in Polizeigewahrsam. Abgesehen von diesen Opfern führte die terroristische Offensive zu beträchtlicher Unruhe – vor allem gegen Ende der 1980er Jahre war die Lage in Südtirol angespannt, wie der Spiegel berichtete: „Tausende Polizisten mussten aus anderen Regionen angefordert werden, um gefährdete Politiker und Gebäude zu bewachen. Italiens Staatspräsident Cossiga sagte einen geplanten Meran-Urlaub aus Sicherheitsgründen ab. Nachts erinnert Südtirol heute an Spanien während der letzten Jahre der Franco-Diktatur: Militärjeeps patrouillieren durch die engen Gassen, Hubschrauber kreisen über den Städten, Geheimpolizisten kontrollieren die Gästelisten der Hotels."


Südtirol zwischen den Blöcken

Abgesehen von der beträchtlichen Rolle italienischer Geheimdienste in Südtirol, waren auch östliche Dienste involviert. Südtirol wurde insofern zu einem Nebenschauplatz des Kalten Krieges. Für das strategische Interesse des Ostblocks gab es mehrere Gründe: Zunächst einmal fiel die virulenteste Phase des Südtirolkonflikts in den 1960er Jahren in den Kontext der Entkolonialisierung und der Auflösung der europäischen Kolonialreiche. Einige dieser Konflikte zogen sich bis an die europäische Peripherie hin. So hatten zionistische Gruppen bereits in den 1940er Jahren einen erfolgreichen Kampf gegen die britische Mandatsverwaltung in Palästina geführt. 1954 entzündete sich der Algerienkrieg, der sich bis 1962 hinziehen sollte und in einem Sieg der Nationalen Befreiungsfront (FLN) endete. 1960 war zudem Zypern nach mehrjährigem Guerillakrieg gegen die britische Besetzung unabhängig geworden – ein Beispiel, dem einige Südtiroler Aktivisten besonders nacheiferten. Die Sowjetunion hatte die Sache der „nationalen Befreiungsbewegungen“ generell substanziell unterstützt, um die westliche Position in der „Dritten Welt“ zu schwächen bzw. die neu entstandenen linksnationalistischen Regime in den eigenen Machtbereich hineinzuziehen. Im Falle Südtirols, eines ähnlich gelagerten ethnisch-nationalen Konflikts, wurde die Aufstandsbewegung nicht direkt unterstützt, auch wenn es angeblich Hilfsangebote gegeben hat.

Was die Situation in Südtirol aus Sicht des Ostblocks so speziell machte, war die neuralgische Lage in Westeuropa zwischen zwei Schlüssel-NATO-Staaten. Vor allem Italien war ein „Eckpfeiler“ im Mittelmeerraum. Darüber hinaus bildete der Südtiroler Grenzabschnitt zu Tirol und Kärnten im Norden eine Außengrenze der westlichen Allianz gegenüber dem neutralen Österreich, dem „weichen Bauch im NATO-Leib“. Mit dem angrenzenden Jugoslawien befand sich weiters der kommunistische Machtblock in unmittelbarer Nähe. Dieser strategischen Bedeutung Südtirols trug die NATO insofern Rechnung, indem sie zahlreiche Basen einrichtete. In der Nähe von Brixen, auf der Hochfläche von Natz-Schabs, befand sich seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein US-Stützpunkt. Ab 1979, nach dem Nachrüstungsbeschluss, wurden in den dortigen unterirdischen Bunkern atomare Lance-Raketen deponiert. Im weiteren Umkreis befanden sich zudem wichtige NATO-Stützpunkte wie die Aviano Air Base (Atomwaffenlager) und das alliierte Streitkräfte-Kommando für Südeuropa (LANDSOUTH in Verona). Das Südtirol-„Problem“ hatte somit das Potential, sowohl zwischen die wichtigen NATO-Länder Italien/BRD, als auch zwischen Italien und dem neutralen Österreich Keile zu treiben. Letzteres Land war seit dem Pariser Abkommen (1946) die völkerrechtliche „Schutzmacht“ und hatte die „Südtirolfrage“ 1960 vor die UNO gebracht. Aber auch im süddeutschen Raum gab es viel Sympathie für die Sache der Südtiroler: Unterstützung kam beispielsweise von der bayrischen CSU und dem rechten FDP-Flügel um Josef Ertl, der als Agrarminister der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt angehörte. Ein „Mitmischen“ im Südtirolkonflikt bot dem Osten daher die Möglichkeit, einen „dauerhaften Krisenherd inmitten des Westens zu schüren“, so Michaela Koller-Seizmaier: „In dem Alpenland hatte sich erstmals ein Konfliktpotential westlich des Eisernen Vorhangs aufgestaut, das gleich mehrfach politische Implikationen in sich barg: Ein ethnischer Konflikt, verbunden mit der Eigendynamik eines geteilten Landes, die eine separatistische Ausrichtung mit sich brachte und somit eine Territorialfrage im Bereich der NATO aufwarf.“

Unglücklicherweise ist die Aktenlage zur Frühphase des Konflikts spärlich. Angeblich soll der BAS-Führer Georg Klotz 1960 sogar überlegt haben, in der sowjetischen Botschaft in Wien direkt Hilfe einzuholen, wie sich seine Tochter Eva erinnerte: „Er habe dann gesagt, ‚Nein mit den Kommunisten mich verbünden, das kann ich nicht als Tiroler, als wertkonservativer Mensch nicht tun’. Und so ist er dann nicht hineingegangen.“ 1967/68 soll sich dann der tschechoslowakische Geheimdienst an Klotz „herangemacht“ haben: „Ich kann mich ganz genau an den Typen erinnern. Wir waren mit unserem Vater in Absam im Exil in Nordtirol. Da ist dieser Robert aus Tschechien gekommen, der meinen Vater überzeugen wollte, man müsse zuerst eine Bank ausrauben, in Südtirol, um zu Geld zu kommen, dann müsse man einige italienische Kasernen stürmen.“ Zu dieser frühen Involvierung von Ost-Geheimdiensten existiert auch ein Dokument in den Beständen der Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Der westdeutsche Journalist Herbert Lucht teilte dem damaligen Außenminister Kreisky 1963 brieflich mit: „Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der Sowjetischen Botschaft in Wien 1960 bereits, vor der ersten ‚Terrorwelle’ also, an die ‚Bumser’ herangetreten sein und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre ‚Aktionen’ auch auf die in Südtirol befindlichen NATO-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich, die im ‚Südtiroler Freiheitskampf’ als dem einzigen ‚nicht ihre schmutzigen Finger hätten’.“


Norbert Burger bei Otto Skorzeny

Aus einem kürzlich freigegebenen Dokument (ÖSTA/AdR) ergibt sich ein neues Detail zur Rolle von Norbert Burger. Der 1992 verstorbene Burger war eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene in Österreich. Als begeisterter Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte Rechtswissenschaften und brachte es zum Universitätsassistenten in Innsbruck. In den 1960er Jahren war Burger tief in den Südtirolterrorismus verstrickt. Von ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten „Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Im Rahmen einer Vernehmung nach seiner Verhaftung in Klagenfurt (1961) gab er an, im Jahr davor die USA vor möglicher Sabotage gegen NATO-Stützpunkte in Südtirol gewarnt zu haben: Von der Sowjetunion gesteuerte Agenten hätten zu entsprechenden Aktionen aufgestachelt. Um diese Botschaft zu überbringen, kontaktierte Burger den in Spanien lebenden Otto Skorzeny: Dieser hatte im Zweiten Weltkrieg Spezialkräfte der SS befehligt und war bis zu seinem Tod 1975 in Waffenhandel und Geheimdienstaktivitäten verstrickt.

Im Verhör, das am 22. September 1961 stattfand, gab Burger an: „Es wurde mir von meinen Südtiroler Freunden bekannt, dass sich Russland für die Südtiroler Sache zu interessieren beginnt und zwei Südtiroler – es kann auch schon im Herbst 1959 gewesen sein – von aus der Sowjetunion stammenden Leuten angeworben wurden, sich in der UdSSR auf einer Agentenschule ausbilden zu lassen und diesem Angebot auch nachgekommen seien. Wie mir mitgeteilt wurde, sei ihnen dort auch das Angebot gemacht worden, jede Menge Sprengstoff zu bekommen, unter der Voraussetzung, dass ein Teil dieses Sprengstoffes zur Sprengung der im Bau befindlichen amerikanischen Raketenbasen (in Südtirol) verwendet werden. Ich selbst kenne die Leute nicht, die wie mir mitgeteilt wurde von diesem Angebot Gebrauch machten, doch stammte diese Nachricht aus für mich absolut zuverlässiger Quelle. Ich sah in diesem Tatbestand eine große Gefahr und habe die Südtiroler auf das Ausdrücklichste von der Annahme gewarnt. Auch sie selbst waren als überwiegend tief religiöse Menschen grundsätzlich nicht bereit, dieses östliche Angebot anzunehmen, ersuchten mich, ob ich ihnen nicht irgendwelche Quellen für Sprengstoff eruieren könnte, was ich auch tatsächlich versucht habe, jedoch ohne Erfolg. […] Bezüglich der amerikanischen Raketenbasen in Südtirol, […], habe ich den Versuch unternommen, der mir auch geglückt ist, mit entsprechenden amerikanischen Stellen Kontakt aufzunehmen. Ich beschritt dabei den Weg, dass ich die Bekanntschaft des in Madrid lebenden Oberst a. D. Skorzeny suchte und dieser mir schließlich auch gestattete, ihn in Madrid zu besuchen. Ich habe mich deswegen an ihn gewendet, weil mir aus verschiedenen Zeitungsmeldungen bekannt war, dass er zu den Amerikanern gute Beziehungen unterhalte. Ich las davon, dass er vor den in Spanien stationierten amerikanischen Offizieren am Unabhängigkeitstag die Festrede gehalten hat, was mich seine Person für mein Vorhaben besonders geeignet erscheinen ließ. Ich suchte Skorzeny im Juli v. J. auf, trug ihm mein Anliegen vor und machte mich dieser mit einem gew.[issen] David R. bekannt, der, so viel mir mitgeteilt wurde, ein führender Mann in der Abwehr sein soll. Ich selbst wurde ihm nicht unter meinem richtigen Namen vorgestellt, um nicht in Zukunft vom amerikanischen Nachrichtendienst behelligt zu werden. Das Gespräch mit Herrn R. dauerte über vier Stunden […].“ Burger zufolge erklärte der amerikanische Geheimdienstler, „dass er meinen Ausführungen durchaus Glauben schenke und einen entsprechenden Bericht an seinen Chef weiterleiten würde. Wie ich später erfuhr, wurden die in Bau befindlichen Raketenbasen angebl. nicht fertig gebaut, sollte mein Gespräch in Madrid mit beigetragen haben, so würde ich mich darüber freuen.“ Ein Memorandum der CIA vom 25. Jänner 1962 bestätigt, dass Skorzeny und Burger tatsächlich miteinander in Verbindung waren: “Skorzeny in 1960 was in contact with the Austrian terrorist groups operating in the Tyrol through Dr. Norbert Burger, an Austrian right-wing leader with alleged contact with the French ultras“ [damit sind Burgers angebliche Verbindungen zur französischen Rechten gemeint]. Auch wenn die Aussagen Burgers letztlich nur bedingt glaubwürdig sind, so sind diese zumindest ein weiterer Beleg für die Bedeutung von Südtirol im Spannungsfeld des Kalten Krieges.


Im Visier der Ostdienste

Josef Frolik, ein Überläufer des tschechoslowakischen Geheimdienstes Státní bezpečnost (StB), behauptete in seinen 1975 erschienen Memoiren sogar, dass die Terrorwelle in den 1960er Jahren von seinem Dienst unter erheblichen Aufwand direkt eingefädelt wurde: Eine große Zahl an Agenten sei mobilisiert worden, nicht nur in Österreich, sondern auch in der BRD und in Ober-Italien. Diese Kräfte verübten dann Bombenanschläge und Sabotageakte. Ziel der federführenden „Abteilung für schmutzige Tricks“ des StB sei es gewesen, zwischen Österreich und dem NATO-Land Italien Spannungen zu erzeugen. Zur Aufstachelung der deutschsprachigen Bevölkerung habe man eigens Flugblätter im Namen eines „Befreiungskomitees“ produziert: „Danach zogen wir uns aus dem Gebiet wieder zurück und überließen den Heißspornen beider Seiten die Arbeit, die sie genüsslich ausführten. […] Der von den Tschechen an der österreichisch-italienischen Grenze angezettelte Krieg war ein heißer geworden.“ 1976 gab Frolik dem ZDF ein Interview und behauptete, dass einer seiner Untergebenen 1956 in Südtirol erste Attentate verübte. Für Hans Stieler, damals noch vor dem BAS mit einer Gruppe aktiv, war diese Darstellung aus der Luft gegriffen. Es habe aber in dieser Zeit einige kleinere Anschläge gegeben, deren Hintergrund nie aufgeklärt wurde. Froliks Angaben sind bis heute unbestätigt geblieben, und es erscheint zweifelhaft, ob es eine solche aktive „Provokation“ überhaupt jemals gegeben hat. Dafür ist ein strategischer Ansatz des ostdeutschen MfS in Sachen Südtirol vergleichsweise gut dokumentiert: Anhand des Hinweises auf die Rolle von Rechtsextremisten im Südtirolkonflikt exemplarisch darzustellen, dass sich die BRD im Kern nicht geändert habe, sondern nach wie vor einen Hort faschistischer-revanchistischer Reaktion darstelle. Das „Unterfutter“ für diese „nazistische“ Diskreditierung der Bonner Republik zu liefern, war 1962 als eine der „Hauptaufgaben“ der zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS festgeschrieben worden: „Stärkere Mithilfe bei der Durchführung von politisch-operativen aktiven Maßnahmen zur Entlarvung des Charakters des Bonner Staates, seiner Kriegsvorbereitungen und antinationalen Politik.“ Dadurch sollte die internationale Position der Bonner Regierung geschwächt sowie der in der „Hallstein Doktrin“ formulierte Alleinvertretungsanspruch und die damit verbundene diplomatische Isolation der DDR aufgebrochen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, griff des MfS u. a. zu sogenannten „aktiven Maßnahmen“ um westdeutsche Strategien und Organisationen zu schwächen sowie einzelne Vertreter der BRD als ehemalige Nationalsozialisten zu kompromittieren.

Zu diesem Zweck suchte das MfS mit großem Aufwand nach Belastungsmaterial: Die beträchtliche Involvierung von österreichischen und westdeutschen Rechtsextremisten, die langjährige Förderung Südtiroler Angelegenheiten durch bundesdeutsche Ministerien, Organisationen und Stiftungen(„Stille Hilfe für Südtirol“, „Kulturwerk für Südtirol“) sowie die Tätigkeit von Vereinen wie dem Andreas-Hofer-Bund (München) waren Elemente, an denen man die Kontinuität des Nazismus nach 1945 propagandistisch festmachen und gleichzeitig den Charakter der DDR als antifaschistischen Staat herausstreichen konnte. So ließ das westdeutsche Ministerium für gesamtdeutsche Fragen ohne Wissen der italienischen Zentralregierung vor 1969 Gelder in unbekannter Höhe nach Südtirol fließen. Von 1969 bis 1976 überwies dann das Auswärtige Amt umgerechnet zehn Millionen Euro „in streng vertraulicher Weise und unter Abweichung von üblichem haushaltsrechtlichen Verfahren“. Als Empfänger fungierte die Südtiroler Landesregierung, die damit vor allem Bildungsmaßnahmen finanzierte. Das Auswärtige Amt sah in dieser Praxis auch eine moralische Wiedergutmachung für die Spätfolgen der NS-Südtirolpolitik. In einem Dokument des Auswärtigen Amts von 1975 heißt es beispielsweise zur Tätigkeit von „Stille Hilfe für Südtirol“ und „Kulturwerk für Südtirol“: „Die beiden letztgenannten Organisationen bringen Geld- und Sachspenden für die Einrichtung von Kindergärten und Schülerheimen, für Stipendien, Ausbildungshilfe und andere soziale und kulturelle Zwecke zugunsten der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol auf. Die beiden Organisationen zusammen haben ein durchschnittliches Jahresaufkommen von ca. DM 800.000,-.“ Mitte der 1990er Jahre  prüfte die Bozner Staatsanwaltschaft dann, ob Gelder der Düsseldorfer Niermann-Stiftung an die Terrorgruppe „Ein Tirol“ geflossen waren („Die Spur führt nach Deutschland“). Die 1977 gegründete Stiftung, die vom österreichischen Rechtsextremisten Norbert Burger beraten wurde, hatte eine Million D-Mark an bedürftige Südtiroler Bergbauern ausbezahlt – allerdings waren dort nur 500.000 D-Mark angekommen. Auch das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz hatte schon Ende der 1980er Jahre vermutet, Stiftungsgelder könnten „satzungswidrig zur Unterstützung terroristischer Aktivitäten in Südtirol veruntreut“ worden sein. Die Ermittlungen in Italien ergaben schließlich, dass Karl Außerer, Anführer von „Ein Tirol“, eine Zahlung der Niermann-Stiftung über 5.000 DM erhielt. Für eine Anklage reichten die Beweise aber nicht aus. (...)


Thomas Riegler ist Historiker und Publizist in Wien. Das Spezialgebiet des österreichischen Wissenschaftlers ist die Erforschung von Terrorismus. Teil 2 seines Beitrags über die Geheimdienste und den Südtirolkonflikt erscheint am Sonntag, 27. Dezember auf salto.bz.