Politik | Türkei

Ostern in Istanbul

Die Bombenwarnungen, die das türkische Innenministerium stündlich verbreitet, bewirken das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigen. Sie werden kaum noch ernst genommen.

Weil Ostern kein islamisches, sondern ein christliches Fest ist, habe ich erwartet, dass ich die Feiertage in Istanbul ruhiger verbringe als in Rom, wo Terrorangriffe befürchtet wurden.  Das hat sich als grosse Fehleinschätzung herausgestellt.

Seit meiner Ankunft am Karfreitag in der Bosporus-Metropole hagelt es Bombenwarnungen. Die letzten betreffen die katholischen Kirchen Istanbuls, die seit dem Nachmittag von je drei Polizeiautos bewacht werden. Dass die St. Antonius Kirche in der zentralen Istiklal-Caddesi ein ideales Anschlagsziel wäre, habe ich selbst des öfteren gedacht. Jetzt haben sich die Befürchtungen bewahrheitet. 

So wie ich davon ausgegangen bin, dass der  Istiklal  mit seinen flutenden Menschenmassen für ein Selbstmord-Attentat ein  idealer Schauplatz wäre. Das war er auch , vergangene Woche.   Der Terrorist, der sich in die Luft sprengte, hat gottlob einen Zeitpunkt für seine Mordtat gewählt, in dem die Strasse nicht so überfüllt ist, wie sonst: den frühen Vormittag, wenn noch nicht alle Geschäfte geöffnet sind.

Dass ich mich mittlerweile schon in die kranken Hirne von Terroristen hineinversetze, um zu überlegen, welche Strassen ich besser meide , ist erschreckend.   

Laut offizieller Statistik sind 99 Prozent der in Istanbul geborenen Türken Muslime.  Dagegen sind viele aus Europa zugewanderte Bewohner Christen.  Für sie werden heuer die Osterfeierlichkeiten zu einem Risiko.

Die meisten unserer europäischen Bekannten in Istanbul feiern Ostern in den eigenen vier Wänden.  Wer Kinder hat , meidet die Teilnahme an einer  Ostermesse .  

Die Bombenwarnungen betreffen auch die Arbeitsplätze vieler Europäer, nämlich die Konsulate. Auch sie werden seit Karsamstag rund um die Uhr von verstärkten Polizeiaufgeboten bewacht.

Die türkischen Istanbuler lassen sich von diesen Sicherheitsmassnahmen kaum noch beeindrucken.  In den Stadtvierteln Levent, Bebek , Sisli und Nisantasi verläuft der Alltag quirlig wie immer. Dagegen wirken die Touristenviertel rund um die Moscheen und um Dolmabace ausgestorben.  Der normalerweise florierende Oster-Tourismus ist eingebrochen,  schlimmer noch als in Rom.

Und so hat unser Bekannter T., der im Grossen Bazar einen winzigen Laden führt, beschlossen, nach Rom umzuziehen. Die Rechnung ist schnell gemacht : die Jahres -Miete für seinen Laden im Grossen Bazar beträgt 200.000 Dollar.  Wegen der drohenden Terroranschläge trauen sich nur noch ganz mutige, diese historische Handelsstätte aufzusuchen.  Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen deshalb um ein Vielfaches. 

In Rom hat unser Bazarfreund in der Nähe des Vatikans eine kleine Verkaufsfläche gefunden, für die er ein Viertel des Mietpreises von Istanbul bezahlt. Und was will unser geschäftstüchtiger türkische Bekannter in Rom wohl verkaufen ? Nein, keine Teppiche - sondern Devotionalien , also Gegenstände, die mit Vatikan und Papst zu tun haben!

Wie der Grosse Bazar gelten auch die  grossen Einkaufszentren Istanbuls als " weiche" Ziele . Trotzdem wagten wir uns heute in das Zorlu-Center, weil es dort einen gut ausgestatteten Eataly-Supermarkt gibt.  Jedes Auto, das einfährt, wird kontrolliert - doch völlig lasch, indem der Kofferraum geöffnet  und sofort wieder geschlossen wird. Keinem Terroristen würde es einfallen, seine Bomben gut ersichtlich im Kofferraum zu plazieren..

Ist das ganze Sicherheits- und Anti-Terrorgehabe also nur Schaumschlägerei und Panikmache?  Der türkische Staatspräsident Erdogan verneint das energisch und rügt die EU-Staaten zu Recht, weil sie die Warnungen türkischer Geheimdienste über zwei der belgischen Attentäter von Brüssel in den Wind geschlagen hätten. 

Doch  leider hat auch der türkische Sicherheitsdienst nicht verhindert , dass die ihm ebenfalls bekannten Kamikaze von Sulthanamet,  von Ankara und vom Istiklal ihre Bluttaten ausführen konnten.  

Und noch etwas ärgert Erdogan masslos: dass es europäische  Diplomaten gewagt haben , wegen der akut gefährdeten Pressefreiheit in der Türkei  am Prozessbeginn gegen zwei prominente Journalisten in Istanbul teilzunehmen.  Es handelt sich um Can Dündar und Erdem Gül von der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet. Sie wurden wegen Landesverrats ins Gefängnis gesteckt, weil sie Videoaufnahmen von türkischen Waffenlieferungen an islamistische Kämpfer in Syrien veröffentlicht hatten.

Erdogan persönlich und der türkische Gemeindienst MIT hatten Strafanzeige gegen die Journalisten erstattet.  Sie erwirkten , dass der Prozess ab jetzt unter verschlossenen Türen stattfindet. 

 

 

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ohne mit So., 27.03.2016 - 14:37

Wenn Sie nicht mehr auf die Straße gehen, weil sie Angst vorm Überfahren werden haben (gerade in Istanbul), dann ok. Ansonsten sollten Sie unbeängstigt weiter zu den Kirchen promenieren. Der Tod dort ist ihnen unwahrscheinlicher. Und gleichzeitig hätte der Terror nicht über Sie, uns, die Welt gesiegt.

So., 27.03.2016 - 14:37 Permalink