Kultur | Salto Weekend

Vice - Der zweite Mann

Adam McKays nächster Streich: Ein Film über die Skrupellosigkeit der Politik, einen Mann im Schatten und die Bedeutungslosigkeit des US-Präsidenten.
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Foto: Universum Film

„The Big Short“ war eine Überraschung. Regisseur und Drehbuchautor Adam McKay war für seichte Komödien wie „Anchorman“ bekannt. Ein Rundumschlag im spärlich besetzten Genre der Wirtschaftsfilme war nun nicht die erste Assoziation, die man angesichts dieser Filmographie erwartet hätte. McKay erläutert die komplexe und oft undurchsichtige Welt der Finanzmärkte mit spielerischen Mitteln. Die Grenzen des Films werden häufig überschritten und die narrative Schlucht zwischen Figuren und Zuschauer mit Brücken überspannt. Ein schwieriges Thema wurde locker aufbereitet, wenngleich der Film dennoch kaum als abendliche Entspannung durchgehen wird. Mit „Vice“ verfolgt der Regisseur seinen etablierten Ansatz nun weiter. Doch er steigt tiefer in die erzählerischen Ebenen ein und liefert mit seinem neuen Werk einen Film, der weniger aus den narrativen Konventionen ausbricht und dadurch stringenter wird. Konkret geht es um eine wahre Geschichte. Es ist die Biographie des US-amerikanischen Politikers Dick Cheney, der vor allem durch seinen Posten als Vize von Präsident George W. Bush internationale Bekanntheit erhielt. Dennoch ist er verhältnismäßig unbekannt, besonders wenn man weiß, welchen Einfluss er auf Bush hatte, und wie viele der von den USA getroffenen politischen Entscheidungen von Cheney ausgingen. McKay zeigt anfangs einen gebrochenen Mann, der von Alkohol gezeichnet ist. Doch er schafft es, nicht zuletzt dank seiner Frau Lynne, eine beeindruckende Karriere aufzubauen. Jüngster Stabchef des Weißen Hauses, Verteidigungsminister, Vize-Präsident, um nur die Höhepunkte zu nennen. Dass sich Cheney nicht selten abseits von Legalem bewegt, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Man will in manchen Momenten die Arme über dem Kopf zusammenschlagen, so absurd und unglaublich scheinen die Interventionen des Vize, der seine eigentlich repräsentative Funktion aushebelt und um wichtige Entscheidungsfelder (Militär, Außenpolitik...) erweitert.

VICE | Official Trailer, von Annapurna Pictures

McKay erinnert uns dabei immer wieder, dass es sich nicht um eine fiktive Geschichte handelt, sondern um die tragische und unverblümte Wahrheit. Um all das zum Leben zu erwecken, greift der Regisseur auf ein Schauspielerensemble zurück, welches zu großen Teilen bereits im Vorgängerfilm vertreten war. Die Galionsfigur ist natürlich Christian Bale, der Cheney verkörpert und zum wiederholten Mal eine körperliche Transformation hinter sich hat. Der Begriff „Method Acting“ bekommt mit Bale eine neue Bedeutung. Für die Rolle hat sich der Schauspieler wie schon in „American Hustle“ einen beeindruckenden Bauch angefressen. Dank ausgeklügelter Maske kommt auch sein Gesicht dem wahren Cheney recht nahe. Man vergisst den Schauspieler Bale und sieht schon nach wenigen Minuten nur noch die Figur vor sich. Kaum ein anderer aktuell arbeitender Darsteller versinkt derart tief in seinen Charakteren. Aber auch Bales Co-Stars, allen voran Amy Adams als Ehefrau Lynne, Steve Carell als Donals Rumsfeld und Sam Rockwell als George W. Bush überzeugen auf ganzer Linie. Apropos Linie: Die scheint McKay nun endgültig gefunden zu haben. Während „The Big Short“ in manchen Momenten nicht so recht wusste, an wen er sich richten sollte, verfolgt „Vice“ einen klareren Weg. Der Stil ist hingegen ähnlich geblieben. Häufig durchbricht McKay die sogenannte Vierte Wand, der Protagonist wendet sich an das Publikum und öffnet sich ihm. Die Grenzen und die Eigenschaften des Mediums Film werden an verschiedenen Stellen strapaziert und ausgelotet. Ohne zu viel zu verraten kann man an diesem Punkt durchaus von Spielereien sprechen, die auch in einem frühen Jean-Luc Godard-Film gut aufgehoben gewesen wären. Die Art und Weise, wie McKay inszeniert, ist aber dennoch erfrischend und unterhält bestens, auch angesichts des abermals komplexen Themas. Dick Cheney ist eine Figur, die es zu ergründen gilt. Der Anspruch des Films, dies zu tun, ist ein hoher, und der Blickwinkel ist einer, der von außen auf einen gut gehüteten Komplex aus Geheimnissen blickt. Inwiefern das Gezeigte wirklich den Tatsachen entspricht, ist Spekulation. Dass McKay einiges an Recherchearbeit auf sich genommen haben dürfte, sollte klar sein. Bei den Oscars ist „Vice“ beinahe leer ausgegangen. Nur den Preis für das Beste Make Up/Frisuren durfte der Film nach Hause nehmen. Dabei hätte besonders die Auszeichnung für den Besten Schnitt an die bemerkenswerte Arbeit des Cutters Hank Corwin gehen müssen. So dynamisch, so atemlos, so ohne Durchhänger sind nur wenige Filme geschnitten.

Wer sich nur ansatzweise für Politik interessiert, an guten Schauspielern und einem straffen, satirisch geprägten Drehbuch Gefallen findet, der sollte sich „Vice“ anschauen. Tun Sie sich den Gefallen. Dick Cheney wird Ihnen dafür einen Orden umhängen. Natürlich nur, wenn er zwischen den Kriegserklärungen mal Zeit findet.