Kultur | Salto Weekend

Ma Rainey´s Black Bottom

Frisch mit fünf Oscarnominierungen ausgestattet ist dieses kurze, aber knackige Kammerspiel über die Mutter des Blues durchaus einen Blick wert.
Ma Rainey
Foto: Netflix

Netflix gibt sich größte Mühe, seinen Filmkatalog stetig zu erweitern, und bei all dem mittelmäßigen bis schlechten „Content“, um ein Unwort der aktuellen Zeit zu bemühen, ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Welcher der zahlreichen von der Plattform produzierten Titel lohnt sich, und welche sind nur Zeitverschwendung? Im Falle von „Ma Rainey´s Black Bottom“, dem neuen Film des Regisseurs und Dramatikers George C. Wolfe, sieht man sich einen guten Film an, der noch dazu weiß, wann er enden sollte. Kurze 90 Minuten dauert die Geschichte rund um die so bezeichnete Mutter des Blues, Gertrude „Ma“ Rainey, und die Erzählung läuft beinahe in Echtzeit ab. Einen Nachmittag lang begleiten wir die Sängerin und ihre Band, rund zwei Stunden harrt das Publikum in einem stickigen Aufnahmestudio irgendwo in den staubigen Straßen von Chicago aus. Es ist der Sommer des Jahres 1927, es ist heiß, der Schweiß rinnt von der Stirn am Körper hinab und die Nerven sind angespannt. Ma Rainey, gespielt von Viola Davis, ist eine launische Person, sie ist kleinkariert und herrisch, kurz: Sie weiß um ihren Status. Zwar ist sie eine schwarze Künstlerin inmitten weißer Herrschaft, doch ihre Kunst bringt den Weißen Geld, und aus diesem Grund wird ihr Verhalten toleriert: „Sie werden mich so behandeln, wie ich behandelt werden möchte, egal wie sehr ihnen das weh tut.“

Mit Ma Rainey kommt auch ihre Band. Drei Musiker, geübt, erfahren, in die Jahre gekommen. Nur der Vierte, ein junger Trompeter namens Levee möchte sich nicht so recht in die Gruppe einfügen. Er hat eigene Ideen, möchte eigene Interpretationen von Ma´s Hits spielen, und langweilt sich mit den schon unzählige Male gespielten Standards herum. Sein rebellisches Verhalten und das ihm eigene Geltungsbedürfnis stößt auf wenig Begeisterung, vor allem bei Ma Rainey selbst, die Widerspruch in ihren Reihen nicht duldet. Und so kommt es wie es kommen muss, an einem heißen Tag im Hochsommer: Konflikt steht ins Haus. Über 90 Minuten hinweg wird diskutiert, debattiert, hinter dem Rücken der anderen geflüstert. Zwei Randfiguren sind der Manager der Sängerin sowie der Studioproduzent, beides Weiße, denen man meilenweit ansieht, wie sehr sie das divenhafte Verhalten ihres Stars verachten. Und dennoch brauchen sie ihre Stimme, die wertvolle Aufnahme, die im besten Fall Millionen bringt. Ma Rainey hingegen weiß, dass jede weitere Aufnahme, jede weitere Platte den Seltenheitswert ihrer Kunst verringert. Dass sie den Weißen damit genau das gibt, wonach sie gieren, aber auch, dass sie selbst auf das Gehalt angewiesen ist. Ma Rainey muss singen, ansonsten steht ihr ein Leben in Armut bevor. Diese wechselseitige Abhängigkeit macht den Reiz des Films aus. Dass aus den eigenen Reihen dann auch noch Protest in Form des Trompeters Levee kommt, macht die Sache nicht besser. Ma Rainey kann einem beinahe leidtun, wären da nicht die ständigen Allüren.

 

Ma Rainey's Black Bottom | Official Trailer | Netflix

 

Und die Geschichte wiederholt sich. Denn auch der Trompeter Levee, der eine eigene Karriere als großer Musiker anstrebt, mit eigener Band, mit eigener Identität – auch er muss an diesem Nachmittag lernen, dass man ihn ausnutzen will. Fünf Dollar pro geschriebenen Song, und aufnehmen sollen sie andere. Die Unterdrückung seines Volkes äußert sich nicht durch Hassrede, nicht durch Gewalt, sondern nur durch kleine Gesten, durch das gelegentliche, kompromisslose Aufzeigen des Status quo. Verkörpert wird Levee von Chadwick Boseman, der im letzten Jahr recht überraschend verstorben ist. Dies ist seine letzte Rolle, und es ist eine würdige, die aller Voraussicht nach mit dem Oscar gewürdigt werden wird. Er, aber auch der gesamte Rest des Ensembles sprechen die ursprünglich vom amerikanischen Dramatiker August Wilson für die Bühne verfassten Dialoge und Monologe mit großer Inbrunst, zwar teils theatralisch, aber nicht unglaubwürdig. Levee ist dabei die wohl tragischste Figur, da er als Jüngster unter den Musikern ein Idealist ist, ein Träumer, der daran glaubt, den Rassismus jener Zeit durch gutes Trompetenspiel überwinden zu können. Ob er scheitern oder siegen wird, beantwortet dieser Text nicht – schauen Sie den Film, und hören Sie Ma Raineys flehenden Schrei nach Gerechtigkeit als gefühlvolle Blues-Stimme in den Straßen von Chicago, Illinois.