Wirtschaft | Overtourism

Intelligenter Reiseführer

Wie können Informatiker dazu beitragen, die Effekte des Overtourism abzufedern? Ein Forschungsprojekt an der Fakultät für Informatik der unibz weist neue Wege.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Intelligenter Reiseführer
Foto: unibz

Wie können Informatiker dazu beitragen, die Effekte des Overtourism abzufedern und Touristen auch an beliebten Reisezielen zu erfüllenden individuellen Erlebnissen zu verhelfen? Ein Forschungsprojekt an der Fakultät für Informatik der unibz weist neue Wege.

Nicht nur in Städten wie Venedig, Barcelona oder Dubrovnik, sondern auch auf Südtirols Almen und Naturschauplätzen wird das Phänomen längst als Problem erkannt: Horden von Touristen, die allesamt auf denselben Pfaden trampeln und so auch den faszinierendsten touristischen Highlights ihren Zauber nehmen. Um Urlaubern solch enttäuschende Erlebnisse zu ersparen und für Einheimische die Effekte des Overtourism abzufedern, können nicht nur drastische Maßnahmen wie eine Begrenzung der Besucher Abhilfe schaffen. Wie ein Forschungsprojekt der Fakultät für Informatik der unibz zeigt, können auch moderne Technologien einen Beitrag dazu leisten. Gemeinsam mit Professor Francesco Ricci, einem international anerkannten Experten im Bereich Empfehlungssysteme, entwickelt dort der Doktorand David Massimo ein Modell, das herkömmliche Empfehlungssysteme im touristischen Bereich zu revolutionieren verspricht.

Das Ziel, das sich der Doktorand und sein Professor setzten? Touristen eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Tour an der jeweiligen Destination vorzuschlagen. Gleichzeitig sollten Touristenströme auch dank der Empfehlung weniger bekannter Highlights so gelenkt werden, dass zum Beispiel Verkehrsstaus oder lange Besucherschlangen vermieden werden können und das touristische Aufkommen gleichmäßiger verteilt wird. Ein ehrgeiziges Vorhaben, für das die beiden Wissenschaftler auf eine Technologie zurückgreifen, die bisher im Bereich der touristischen Empfehlungssysteme noch nicht verwendet wurde, das sogenannte Inverse Reinforcement Learning. Ein maschinelles Lernen, das bisher vor allem im Bereich der Robotik angewandt wurde, und auf Beobachtung beruht. „Es ist als würde man eine Person durch ständige Beobachtung immer besser verstehen lernen, also auch ihre künftigen Entscheidungen immer besser einschätzen, ohne ihr direkte Fragen zu stellen“, sagt David Massimo. Um dorthin zu gelangen, wird auf Basis der beobachteten Handlungen eine Funktion errechnet, um die jeweiligen Interessen bzw. den Nutzen für diese Person zu berechnen.

Als idealer Verbündeter oder besser Datenlieferant für eine solche Beobachtung bietet sich das Smartphone an. Im Gegensatz zum Computer ist das Handy so gut wie immer mit dabei und hinterlässt somit nicht nur digitale Spuren über unsere Vorlieben oder Aktivitäten im Netz, sondern auch über unsere begangenen Wege. Wer also Zugang zu diesen Daten erhält, kann damit vieles anfangen – wie beispielsweise die Stiftung Dolomiten Unesco, die dank eines Abkommens mit Vodafone Analytics die Bewegungsdaten der Mobiltelefone im Dolomiten-Gebiet nutzt, um mehr über die zahlenmäßige Präsenz von Menschen und ihre Herkunft zu erfahren.

Bei der Konzeption ihres Modells verwendeten Francesco Ricci und David Massimo anfangs öffentlich zugängliche Daten aus Florenz der Fotoplattform Flickr, die über Zeitpunkt und Ort der Veröffentlichung Spuren zu den Bewegungen der jeweiligen Touristen zogen. Im Auftrag des Trentiner Unternehmens Ectrl Solutions entwickelten die Wissenschaftler das Modell dann anhand einer touristischen App für das Fleimstal weiter und integrieren nun das entwickelte System in die nächste Version der touristischen App von IDM “Südtirol Guide”. Sprich: Der “mobile Alleskönner für den Urlaub in Südtirol“, wie die kostenlose App von Südtirols wichtigstem touristischem Vermarkter beworben wird, wird seinen Usern noch im Laufe dieses Jahres Vorschläge zu Sehenswürdigkeiten unterbreiten, die auf ihre bisherigen Aktivitäten abgestimmt sind.

Das ist auch möglich, weil Nutzer dieser App beim Herunterladen dem Geo-Tracking ihrer Daten zustimmen. Die Vorschläge, die dann durch Empfehlungssysteme gemacht werden, speisen sich allerdings nicht nur aus den individuellen Daten der einzelnen Touristen. „Auf dieser Ebene haben wir nicht genügend Daten, um daraus aussagekräftige Rückschlüsse zu ziehen“, sagt David Massimo. Möglich wird dies nur, indem das System homogene User-Gruppen von Menschen mit ähnlichem Verhalten in bestimmten Reisesituationen identifiziert, also Touristen, die beispielsweise je nach Saison, Wetter, Uhrzeit oder Besucherandrang ein ähnliches Verhalten zeigen. Für diese Gruppen kann dann jeweils ein Verhaltensmodell erstellt werden, auf dessen Basis der Nutzen von verschiedenen Sehenswürdigkeiten für sie eingeschätzt wird.

So kann eine App Usern auf Basis ihrer bisherigen Aktivitäten weitere Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten vorschlagen, die den Interessen und Präferenzen ihrer Gruppe am besten entsprechen. Doch nicht nur das: Die Daten, allem voran jene, mit denen die Bewegungen des Users aufgezeichnet werden, können dann mit beliebigen anderen Datenbanken gekreuzt werden, wie beispielsweise Verkehrs- oder Wetterinformationen. Damit kann der Nutzen weiter optimiert und Touristen alternative Vorschläge unterbreitet werden, wenn eine Sehenswürdigkeit beispielsweise gerade überlaufen oder nicht für die aktuelle Wetterlage geeignet ist. „Ein Smartphone liefert uns die entscheidenden Informationen, um jeweils im aktuellen Kontext die Präferenzen einzuschätzen”, sagt Francesco Ricci.

Das Potenzial hinter dieser Technologie hat nicht nur Südtirols Tourismusstrategen in der IDM, sondern auch die Teilnehmer der ENTER 2019 Conference in Zypern begeistert. Bei der international bekannten Konferenz zu IT-Lösungen für den Tourismus wurde die Arbeit von Massimo und Ricci im Februar dieses Jahres als bestes wissenschaftliches Paper prämiert. Wie erfolgreich sie nun in der konkreten Anwendung ist, wird sich noch zeigen. Sicher ist jetzt schon: Reich werden der Doktorand und sein Professor damit sicher nicht. „Wir haben die Entwicklungskosten durch die Zusammenarbeit mit Ectrl Solutions gedeckt und möchten die Technologie künftig in Open Source allen Interessierten zur Verfügung stellen“, sagt Professor Francesco Ricci. Denn, wie er meint: „Auch das ist schließlich Aufgabe einer Universität.“

 

Dieser Artikel ist in der SWZ Nr. 16/19  vom 5. April 2019 erschienen.