Politik | Südsudan

"Es bräuchte einen Nelson Mandela!"

Ein Südtiroler Mitarbeiter der humanitären Hilfe organisiert von Uganda aus Lebensmittel für die aus ihrer Heimat in Lager geflüchteten Südsudanesen.*
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Foto: Franz Krösslhuber
  • Über den Südsudan Der Konflikt zwischen den Volksstämmen Dinka und Nuer drehte sich früher um Vieh-und Frauendiebstahl, der mit einfachen Waffen ausgetragen wurde. Im Unabhängigkeitskrieg fanden die Ethnien im Norden einen gemeinsamen Feind – 2011 wurde der Südsudan ein eigener Staat. Erster Präsident ist Salva Kiir, ein Dinka, der Vizepräsident war Riek Machar, ein Nuer.
    Geplant war, sich auf dem Weg in die Demokratie in der Macht abzuwechseln. Bald aber flammte der ursprüngliche Konflikt zwischen den beiden Rebellenführern, nun die wichtigsten Politiker des Landes, wieder auf. Präsident Kiir setzte seinen Vizepräsidenten Machar einfach ab. Das war im Dezember 2013. Seitdem hat sich der Konflikt auf das ganze Land ausgebreitet, die Dinka greifen andere Gruppen an. Wer nicht für die Regierung ist, gilt als Rebell, auch Zivilisten und kleine Stämme, wie die Kuku, die sich immer aus dem Konflikt herausgehalten haben. 
    Auch sie sind vor den Angriffen der Dinka geflüchtet. Im Süden an der Grenze zu Uganda, wo die Kuku, im County Kajo-Keji leben, flüchteten inzwischen hunderttausende über die Grenze. Im westlichen Teil von Kajo-Keji haben sich drei Flüchtlingslager gebildet, in denen neben den Kuku auch andere Stämme Zuflucht gesucht haben, nach dem Motto: "Wenn wir sterben müssen, dann in unserer Heimat."

*Der Südtiroler, der seit vielen Jahren in der Humanitären Hilfe arbeitet, kann dieses Interview online nur anonym geben, da seine Sicherheit ansonsten gefährdet wird.

Sind Sie in Sicherheit?

Ja, ich bin beim Einkauf in Kampala, um Lebensmittel für die Flüchtlings-Camps im Südsudan zu besorgen. Dort herrscht bald absoluter Hunger. Im Moment gibt es Mangos, aber in wenigen Wochen sind die Bäume leer geräumt. Dann wird es eng.

Warum und wann sind Sie nach Uganda geflüchtet?

Im Februar. Zuvor kamen eigenartigerweise Dinkas zu mir, die mich um Lebensmittel baten. Das hat mich überrascht, weil sie ja die Volksgruppe der Regierung sind. Die Dinkas haben die Vormacht, ich unterstütze seit Jahren die kleine Volksgruppe Kuku. Ich gab den Dinkas etwas Essen. Aber sie kamen wieder. Unsere Hilfsmittel sind aber für die Kuku. Ich konnte also nicht sagen, dass ich nichts mehr habe. Sobald die Dinkas mitbekommen, dass ich die Kuku unterstütze, wäre ich in Gefahr. Man hat mir geraten zu fliehen und irgendwann fand ich es auch das Beste.

Demokratie in dem jungen Staat ist noch nicht gelungen?

Nein, das ist der Auftrag: Über die Schulen aber wird die Demokratie kommen. Im Moment können Sie sich das eher vorstellen wie Stämme, die aufeinanderprallen und jeder will Häuptling sein. Früher haben Dinka-Familien ihre Kinder in eine Kuku-Schule geschickt. Das wäre heute nicht mehr denkbar. Zwar ist nicht jeder Dinka einverstanden damit, was die Regierung mit den Familien der anderen Volksgruppen macht, aber helfen tut keiner. Mancherorts ist nun für die Dinkas zu wenig zu essen da. In den Gefängnissen gibt es z.B. kein Essen mehr.

Der bewaffnete ethnische Konflikt hat sich zur Hungersnot entwickelt?

So kann man das sagen. Aber die Regierung lenkt nicht ein. Humanitär droht die Katastrophe, wenn nicht etwas geschieht.

Die UNO wollte Soldaten in den Südsudan schicken?

Ja, und anfangs wurde das von der Regierung auch akzeptiert. Aber dann verhinderte der Präsident einen weiteren Einsatz. Das Land ist im Moment den Dinkas ausgeliefert. Keiner wagt eine Prognose, wie es weitergeht.

Sie selbst planten ursprünglich den Bau einer Schule in Kajo Keji im Südsudan?

Genau. Die Kuku sind ein fleißiges Volk, Arbeiter und Landwirte, sie halten Rinder. Es braucht eine Schule, für die das Land Südtirol zugesagt hat, mitzufinanzieren. Dann aber spitzte sich der Konflikt zu, es kamen erste Binnenflüchtlinge, Kukus, die ihre Häuser verlassen haben. So, dass ich beim Land anfragte, ein Flüchtlingshaus bauen zu dürfen, das später als Schule benutzt werden könne. Das ging in Ordnung. Dann kamen aber die Dinka-Soldaten, die Regierung wollte alles kontrollieren. Es wurde auf Zivilisten geschossen. Die Kuku sind da alle geflüchtet. Hinter die Grenze nach Uganda oder in eines der Camps in Kajo-Keji. Das begann vor einem halben Jahr.

Sie fahren mit den Lebensmitteln, die Sie gerade einkaufen, danach in die Camps?

Nicht ich. Das sind Leute, die einen Weg in die Camps gefunden haben. Fuhren von 12 bis 17 Tonnen Lebensmittel und Samen werden an diesem Wochenende geliefert, damit die Menschen etwas anbauen können. Ich könnte mitfahren, aber es ist besser so. Hier in Uganda wächst alles: Es gibt viele Früchte zu kaufen, es gibt genug Regen. Auch im Südsudan wäre das Wasser kein Problem. Eine Firma hat in den Camps Wasserbohrungen gespendet. Auch medizinisch sind sie gut organisiert: Krankenschwestern betreuen Patienten und schicken mir die Liste der Medikamente, die sie brauchen.

Wer hilft den Kuku sonst?

Zur Zeit nur ich, in allen drei Camps. Mir ist das möglich, weil das Land Südtirol eine Notstandfinanzierung gegeben hat und auch die Diözese Bozen, das Missionsamt, die Südütiroler Caritas und private Spender aus Südtirolin Folge eines Spendenaufrufs mich bei der Hilfe unterstützen. Es gilt die Hungersnot zu lindern.

Wieviele Kuku leben in Camps?

Es gibt kaum welche, die in ihren Dörfern geblieben sind. Von den rund 400.000 Kukus leben 4.000 in einem Camo, 10.000 im anderen und im größten Camp 28.000 Menschen. Alle anderen sind geflüchtet.

Nach Uganda?

Vorwiegend. Viele sichen in Kampala Arbeit. In den ugandischen Camps werden die Südsudanesen von ausländischen Helfern unterstützt. Uganda profitiert davon, weil Hilfe Arbeit und Umsatz erzeugt. Aber es stellt immerhin die Camps zur Verfügung. Früher war es umgekehrt: Da sind viele Ugander in den Südsudan geflüchtet, vor Idi Amin und Joseph Kony. Die beiden Völker kennen sich und können gut miteinander. Uganda ist heute stabil, die Leute sind fleißig.

Sie selbst leben in der Hauptstadt?

In Kampala bin ich nur zum Einkauf. Ich wohne an der Grenze zum Südsudan, nahe Gulu. Das Krankenhaus von Gulu wird auch vom Land Südtirol unterstützt. Heute, wenn Südsudanesen Hilfe brauchen, helfen ihnen die Ärzte und Krankenschwestern. Da fragt keiner, woher einer kommt.

Was braucht Südsudan, um einen Weg in die Zukunft zu finden?

Im Moment nur Essen, Essen, Essen. Politisch bräuchte es einen Nelson Mandela.