Politik | Interview

“Kurz ist die Partei”

Wahlkampf in “Parallelwelten der Polarisierung”, skandalimmune Parteien, ein “relativ ideologiebefreiter” Altkanzler: Andreas Pfeifer über das Österreich vor den Wahlen.

Österreich wählt am Sonntag einen neuen Nationalrat. Wer sich nach der “Ibiza-Affäre”, die zu den Neuwahlen geführt haben, einen sauberen Wahlkampf erwartet hat, wurde in den letzten Wochen eines Besseren belehrt. Zwei Tage vor der Wahl fasst Andreas Pfeifer, außenpolitischer Ressortleiter im aktuellen Dienst des ORF, die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate zusammen.

salto.bz: Herr Pfeifer, welche Themen haben den Wahlkampf in Österreich beherrscht?

Andreas Pfeifer: Der abgrundtiefe Grund für diese Neuwahl war der Ibiza-Skandal der FPÖ, der Österreich einen verstörenden Blick in die demokratieverachtende Hinterzimmerpolitik des damaligen Vizekanzlers Heinz Christian Strache eröffnet hat. Im darauffolgenden Wahlkampf ist es nicht gelungen, sich von der täglichen Skandalchronik zu lösen und sich auf ein höheres Inhaltsniveau zu begeben.

Mit welchen Folgen?

Die Debatte von Sachthemen hat man weitgehend der schweigsamen Übergangsregierung überlassen, selbst das vormals alles überbordende Migrationsthema ist in diesem Wahlkampf um die Macht und ihre Schattenseiten merklich verblasst. Europa und die Welt blieben jenseits des Klimawandels völlig unbemerkt. Nicht nur die dunklen Machenschaften der FPÖ standen  im Vordergrund, sondern auch der Eindruck, dass die berühmt-berüchtigte “Message-Control” von Sebastian Kurz etwas außer Kontrolle geriet. Die Ibiza-Affäre des Koalitionspartners und aufgedeckte ÖVP-Intransparenzen im Umgang mit Daten und Parteispenden haben sein Image lädiert. Dass Kurz wieder Kanzler wird, steht allerdings außer Frage.

Innerhalb der Partei ist Sebastian Kurz völlig unumstritten, er selbst ist die Partei.

Wo hat sich der Wahlkampf vor allem abgespielt?

Die Bühnen aller Kandidaten waren einerseits  die Bundesländer, wo unablässig Österreichs Idylle und Identität beschworen wurden, andererseits eine Endlosschleife an Debatten und Duellen in Radio- und Fernsehsendern. Nun wird der Wahltag wie eine Katharsis herbeigesehnt.

Bis auf die ÖVP mit Sebastian Kurz setzen alle größeren Parteien im Vergleich zu 2017 auf neue Spitzenkandidaten bzw. -kandidatinnen. Ist mit den neuen Gesichtern auch neuer Schwung in die politische Arena gekommen?
 
Allen Gegenkandidatinnen- und -kandidaten fiel es schwer, aus dem Schatten von Sebastian Kurz herauszutreten. Einerseits wird er als kalter Machtmechaniker scharf befehdet, andererseits sollen nicht alle Türen mit Blick auf potentielle Partnerschaften nach der Wahl zugeschlagen werden. SPÖ-Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner hat nach einem holprigen Start und begleitet von mangelnder Loyalität eigener Parteigenossen etwas aufgeholt und setzt auf einen empathischen Wahlkampf im Zeichen der “Menschlichkeit” in der Sozialpolitik. Erstaunlich ist, dass die größte Oppositionspartei vom größten Regierungsskandal der zweiten Republik laut Umfragen kaum oder gar nicht profitieren wird. Die FPÖ setzt auf die demonstrative Sanftmut von Norbert Hofer, der Kurz um eine Wiederauflage der schwarzblauen Koalition öffentlich geradezu anfleht. Er hat aber sichtlich Mühe, den rechtslastigen Kern der Partei und deren angriffslustigen Frontmann Herbert Kickl auf Linie zu bringen. Den Grünen ist das Klimathema in den Schoß gefallen, sie werden unter der Führung des erfahrenen Pragmatikers Werner Kogler nach dem Rauswurf aus dem Parlament 2017 nun wieder einziehen. Als autarke politische Persönlichkeit und durchaus schwungvoll ist Neos-Spitzenkandidatenin Beate Meinl-Reisinger aufgetreten. Ihr Vorgänger und Parteigründer Matthias Strolz scheint beinahe vergessen. Auch Neos will regieren.

Eine Spaltung würde die Hoffnungen der FPÖ auf Regierungskontinuität zerschlagen.

“Schredder-Affäre”, intransparente Wahlkampfbudgets und angebliche Buchhaltungstricks, Ungereimtheiten in den Parteifinanzen und verschleierte Spenden – und doch scheint Sebastian Kurz in der ÖVP unantastbar zu sein. Täuscht der Eindruck?
 
Sein Wunderkind-Image mag in der journalistischen Öffentlichkeit gelitten haben – innerhalb der Partei ist Sebastian Kurz völlig unumstritten, er selbst ist die Partei. Kritik an seinem Führungsstil kommt aus alteingesessenen ÖVP-Riegen, bleibt aber hinter den Kulissen. Solange Kurz überschäumende Erfolge liefert, wie zuletzt bei den EU-Wahlen, wird er parteiintern nichts zu befürchten haben.  
 
Die FPÖ kommt nach der “Ibiza-Affäre” nicht zur Ruhe. Die Nähe einiger Parteiexponenten zu rechtsextremen Kreisen, Razzien bei Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, ein grenzwertiger rhetorischer Auftritt von Herbert Kickl beim FPÖ-Parteitag – und zuletzt die (vorübergehende) Festnahme eines ehemaligen Leibwächters von Strache wegen des Verdachts auf Veruntreuung. Nun wird über einen Parteiausschluss von Strache spekuliert, dem vorgeworfen wird, private Ausgaben als berufliche Spesen deklariert zu haben. Bricht die FPÖ auseinander?
 
Es besteht eine zweifache Gefahr der Spaltung. Mit der Ibiza-Affäre und dem neu aufgedeckten Spesenskandal ist Heinz Christian Strache für die FPÖ-Führung zu einer unangenehmen Altlast geworden. Vor einem Parteiausschluss schreckt sie allerdings noch zurück: Strache deckt mit seinen 800.000 Followern auf Facebook ein beträchtliches Segment der Wählerklientel ab, die ihm dank seiner Befähigung zur Täter-Opfer-Umkehr beinahe willenlos und von der Faktenlage unbeeindruckt die Treue hält. Ähnliches gilt für Ex-Innenminister Herbert Kickl. Mit seiner aggressiven Asyl- und Anti-Ausländer-Politik befehligt er den rechts- bis rechtsextremen Flügel der Partei. Dass er erneut ein Ministeramt erhält, haben Sebastian Kurz und sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen dezidiert ausgeschlossen. Wenn Parteichef Hofer sich der ÖVP zu sehr anbiedert, könnte auch Kickl ausbrechen. Derzeit prophezeien Umfragen der FPÖ nach wie vor 20 Prozent. Eine Spaltung würde ihre Hoffnungen auf Regierungskontinuität zerschlagen.

Die ohnehin sehr schweigsame Kanzlerin hat auch ihren Ministerinnen und Ministern einen Maulkorb gegenüber der Presse umgehängt.

Affären, Skandale, Enthüllungen scheinen keine Auswirkungen auf die Wahl zu haben. Laut Umfragen zeichnet sich ein ähnliches Ergebnis wie bei den Nationalratswahlen 2017 ab: die ÖVP (mit Zugewinnen) deutlich vorne, gefolgt von der FPÖ (mit Verlusten im Vergleich zu 2017), Kopf an Kopf mit der SPÖ. Warum wandern die Wählerinnen und Wähler nicht in Scharen zu anderen Parteien ab?
 
Das Phänomen der Selbstimmunisierung populistischer Politik – zu beobachten in Italien, England oder den USA – hat mittlerweile auch Österreich erreicht. Dass sich Heinz Christian Strache nach dem Videobeweis seiner multiplen Tabubrüche realistische Chancen auf eine politische Zukunft ausrechnen kann, ist ein ernüchternder Beleg dafür. Aber auch die Parteien koppeln sich vom argumentativen Diskurs und von den rationalen Kontrollmechanismen kritischer Medien zunehmend ab.

Inwiefern?

Mit ihren hauseigenen Informationsportalen hegen sie ihre Wählerschaft in einen propagandistischen Raum ein, der für Gegenargumente und Gegenbeweise nicht mehr zugänglich ist. In solchen Parallelwelten der Polarisierung  bleiben große Wählerwanderungen aus. Einzig die ÖVP von Sebastian Kurz könnte von enttäuschten und abtrünnigen FPÖ-Anhängern profitieren.

Den Grünen ist es gelungen, ihr Image einer saturierten und visionslosen Klientelpartei wieder aufzupolieren.

Verrohte Sprache, massive Selbstinszenierung, Attacken auf die Gegner bis unter die Gürtellinie, Skandale und Skandälchen – man möchte meinen, in Österreich herrschen inzwischen italienische Verhältnisse. Was war für Sie der Tiefpunkt des Wahlkampfs?
 
Den Tiefpunkt erkenne ich in der allgemeinen Verweigerung, aus dem Tiefpunkt der Ibiza-Affäre eine konstruktive Konsequenz zu ziehen. Die erste Erschütterung ließ die Hoffnung auf eine Versachlichung des nachfolgenden Wahlkampfes aufkeimen. Mittlerweile wird darüber gestritten, ob Sebastian Kurz im Waldviertel oder in Wien aufgewachsen ist, ob eine SPÖ-Politikerin Urlaub an der Cote d’Azur machen darf und wie Norbert Hofer mit einem Fieberschub während des TV-Duells zurechtkam.
 
Warum dürften auch die Neos, die sich Transparenz groß auf die Fahne geschrieben haben, nicht von den innerparteilichen Turbulenzen ihrer Konkurrenten zu profitieren?
 
Es ist bereits sehr beachtlich, dass sich die Neos als eine wirtschaftsliberale und zugleich gesellschaftspolitisch progressive Partei einen festen Platz neben den etablierten Parteien erobert haben und ihn wohl auch verteidigen werden. Allerdings scheint ihr Wählerpotential mit 5,3 Prozent (Nationalratswahl 2017) weitgehend ausgeschöpft. Der Lagerwahlkampf zwischen ÖVP und SPÖ kommt Neos nicht zugute, außerdem wird sie die zu erwartende Rückkehr der Grünen in den Nationalrat einige Stimmen kosten.
 
Umfragen sehen die Grünen mit kräftigen Zugewinnen von bis zu knapp 10 Prozentpunkten wieder im Parlament. Ist das einzig mit dem “heißen” Thema Klimawandel zu erklären?
 
Natürlich segeln die Grünen vor allem auf der globalisierten Klimawelle zurück ins Parlament. Aber es ist ihnen unter der Führung von Werner Kogler, der einen pragmatischen Kurs fährt und der durchaus auch Regierungsoptionen anstrebt, gelungen, das Image der Grünen, die unter seiner Vorgängerin Ewa Glawischnig in den Ruf einer saturierten und visionslosen Klientelpartei geraten war, wieder aufzupolieren. Der Slogan “saubere Umwelt – saubere Politik” soll den Neuanfang befördern.

Das Phänomen der Selbstimmunisierung populistischer Politik hat mittlerweile auch Österreich erreicht.

Ist schon absehbar, mit wem der wahrscheinliche Wahlsieger Kurz nach den Wahlen regieren wird? Kommt die FPÖ für die ÖVP weiterhin als Partner infrage?
 
Sebastian Kurz ist ein relativ ideologiebefreiter Politiker, er denkt in den Kategorien des Machterhalts. Eine Koalition mit einer von Norbert Hofer angeführten FPÖ ohne Strache und mit einem domestizierten Herbert Kickl, der kein Ministeramt mehr bekleidet und allenfalls Fraktionssprecher im Parlament wird, würde die ÖVP als erfolgreichen Prozess der Läuterung darstellen. Sie ist die wahrscheinlichste Variante.
 
Was spricht gegen eine Neuauflage der Koalition zwischen ÖVP und SPÖ?
 
Der Erfolg von Sebastian Kurz beruht auf seinem Mut, die lange und zermürbende Tradition großer Koalitionen aufzusprengen. Eine Rückkehr in diese Tradition würde seine Glaubwürdigkeit als Erneuerer beschädigen. Außerdem zeigen Kurz und Rendi-Wagner auch persönliche Berührungsängste.

Wie groß ist die Chance auf Türkis-Grün-Pink?

Die Chance auf eine Dreierkoalition mit Grünen und Neos ist trotz manifester inhaltlicher Differenzen durchaus gegeben. Beide Parteien wollen der Oppositionsrolle entfliehen. Blauschwarze Kontinuität mit der FPÖ würde Kurz auch mit großer Skepsis im Ausland bezahlen müssen. Im Verbund mit Türkis-Grün-Pink könnte er noch einmal als strahlender Sunny-Boy und als Wellenreiter der Klimaerrettung aus dieser Wahl hervorgehen.

Im Wahlkampf ist es nicht gelungen, sich von der täglichen Skandalchronik zu lösen.

Es sind die letzten Wochen der Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein, die sich in der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen lobt die Arbeit des Kabinetts, das ausschließlich aus Technikern besteht. Wie bedenklich ist es, wenn eine ad hoc eingesetzte Regierung größere Akzeptanz erfährt als eine demokratisch gewählte?
 
Die Beamtenregierung unter Brigitte Bierlein schöpft ihre Popularität vor allem aus dem allgemeinen Verdruss über den etablierten Politikzirkus. Sie hat aber auch mit einigen Gesetzesinitiativen, etwa zum Raucherschutz, den Pensionen oder zum Gewaltschutz einige Initiativen mit wechselnden Mehrheiten im Parlament gesetzt. Allerdings hat die ohnehin sehr schweigsame Kanzlerin keinen großen Gestaltungs- sondern lediglich einen Verwaltungsanspruch erhoben und auch ihren Ministerinnen und Ministern einen Maulkorb gegenüber der Presse umgehängt. Diese Kommunikationsverweigerung hat ihr nicht nur Sympathien eingetragen. Bundespräsident Van der Bellen wollte mit einer Übergangsregierung die aufgeheizte Lage nach Ibiza kalmieren und außerdem die Gelegenheit nutzen, erstmals eine Frau ins Bundeskanzleramt zu hieven. Diese Zäsur des demokratiepolitischen Atemholens wird nun aber vom Gezeter des Wahlkampffinales und den sich abzeichnenden Pokerspielen um die künftige Koalition in den Hintergrund gedrängt.

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Elisabeth Garber So., 29.09.2019 - 20:30

PS: Kunze, mein Name ist Elisabeth... und ich freu' mich wahnsinnig für sie, dass ihr 'Basti' Bundeskanzler geworden ist. Noch mehr, dass S.K. nun beweisen, muss wie gut er als BK in der Zusammenarbeit mit Neos u. Grünen ist...

So., 29.09.2019 - 20:30 Permalink
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19 amet So., 29.09.2019 - 21:26

Träumen Sie ruhig weiter. Die FPÖ wurde von den eigenen Gaunern in die Luft gesprengt.
So wie die Lega durch Salvini. Dumm , dümmer,am dümmsten.

So., 29.09.2019 - 21:26 Permalink
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19 amet So., 29.09.2019 - 21:44

Kunze: Alle Südtiroler ? Haben Sie sie gezählt ? Die ganze rechte Reichshälfte wird sich bei Ihnen bedanken.

So., 29.09.2019 - 21:44 Permalink