Kultur | Salto Weekend

Die Schwere des Körpers

Eine Gratwanderung mit großem Spannungsgehalt und 90 Minuten zwischen körperhaftem und körperlosem war diese Woche im Stadttheater zu sehen. Tanz am Rand zum Barock.
La nona (dal corpo, il chaos)
Foto: Franziska Strauss
Das Centro Servizi Culturali Santa Chiara hat damit seine Tanzsaison in Bozen und Trient eröffnet. Das 2015 uraufgeführte Stück „La nona (dal corpo, il chaos)“ der Compagnia Zappalà Danza von Namensgeber Roberto Zapplà bewegt sich dabei zwischen Reduktion und barocker Überladung, auch bei seinem Tourneestop in Bozen.
Das beginnt bei der „nona“: Gemeint ist Beethovens Symphonie, die in Franz Liszts „unmöglicher“ Transkription, auf zwei Pianos aufgeteilt, welche glücklicherweise der Opulenz des Abends ein Konzentrat auf das Wesentliche entgegensetzt. Die übliche Aufführungsdauer von etwa 70 Minuten übersteigt das Stück allerdings um gute 20, auch durch eine Präambel in Stille.
Das überladene Bühnenbild der Aufführung wird zu Beginn in Halbdunkel gehüllt, steht schemenhaft im Hintergrund, während nach und nach die Tänzer unter der stummen Aufsicht von Luca Ballerini und Stefania Carfaro ans Werk gehen, bevor sich diese ans Klavier setzen. Man baut auf, aus einer Tänzerin werden zwei, drei, vier, fünf, sechs, schließlich acht und zehn, während der selbe Bewegungszyklus, der ein wenig auch an Yoga erinnert, mal rund, mal abgehackt durchdekliniert wird. Yoga existiert als eine Schnittmenge zwischen Religion oder Spiritualität und dem Körper, ein Grat auf welchem auch das Stück wandert: Atem der ein und aus fährt, in der Steigerung von Intensität und Rhythmus und der neben den Schritten das einzig von der Bühne hörbare ist. Auf den Aufbau folgt ein Abbau und die Tänzer verlassen, in einer Geste länger als der Rest des kollektiven Körpers verharrend die Bühne. Man macht Platz für die Musik.
 
 
Das Licht gibt religiöse Symbole an der Bühnenrückseite frei: Die im islamischen Volksglauben  des nahen Ostens und Nordafrikas verbreitete „Hand der Fatima“, ein von Scheinwerfern gespicktes Kreuz und mehrere, elektronisch flackernde siebenarmige Menora. Die abrahamischen Religionen sind damit alle vertreten. Zum Klang der beiden wohltemperierten Klaviere kehren die Tänzer auf die Bühne zurück, durchmessen steten Schrittes den Raum und blicken immer wieder, mit den Händen ein Fernglas mimend über den Bühnenraum, aufeinander und auch ins Publikum. Wiederkehrende Geste ist dabei auch ein ausgestreckter Arm, die andere Hand schlägt auf der Brust den Takt des Herzens mit der freien Faust mitklopfend. Der erste Satz ist somit, auch durch das Spiel der Tänzer, welche mit langen, intensiven Blicken die Räume durchmessen die sie nicht physisch durchschreiten, von Sehnsucht geprägt.
Mit dem bekannten Motiv des zweiten Satzes betritt der elfte Akteur im Spiel als Zirkusdirektor die Bühne und überlagert das Motiv mit seinen Worten. Die Tänzer, nunmehr ihren Kleidern entschlüpft und in einheitlich rot-orange Dressen gehüllt, welche Individualität gegen ein gemeinschaftliches Element tauschen. Nach der italienischen Ansprache Fernando Roldan Ferrers die von Wiederholungen, Grußformeln und einem starken spanischen Akzent bestimmt ist und von der vor allem das Postulat „Religion ist nicht notwendig, Spiritualität vielleicht schon“ hängen bleibt wird der Spanier seitlich links im Bühnenraum zum Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Tanzhandlung wird wieder zyklisch, der zweite Satz braust auf und ebbt ab, während die restlichen zehn Tänzer eine Schlange bilden und vor ihm Gesten der Ehrerbietung zeigen. Im Licht des erstrahlten Kreuzes brechen die Tänzer nach und nach paarweise aus, wir gehen zum dritten Satz über. Schließlich verlässt der Direktor die Bühne und der mehrmals in Stille zerfallende Satz gibt beim Schieben und Ziehen der Tänzer in scheinbar untrennbarer Verschmolzenheit das Motiv des Atems wieder frei.
 
 
In diese platzt eine weitere Ansprache des elften Tänzers, diesmal in mehreren Sprachen, arabisch, hebräisch und weiteren. Der Körper wird als Tempel gefeiert, welchen Bedarf gibt es für einen weiteren? Während man die perfekten, doch auch verschiedenartigen Körper auf der Bühne betrachtet richtet man die Frage ans Publikum. Während einige der Körper im Bühnenraum ruhen stechen besonders zwei Tänzer im Folgenden hervor: Er führt ihren bewegungslos zusammengesunkenen Körper, gibt ihrem antriebslosen Leib Form und Richtung, das Spiel wird in einer spielerischen Flucht der Tänzerin aufgelöst. Ein weiterer Aphorismus, diesmal ein Bibelvers, Hesekiel 25:17, der sich auf den Zorn und die Rache Gottes bezieht, wird proklamiert. Auf Augenhöhe des Publikums blendet direktes Gegenlicht vom rückseitigen Bühnenboden. Nach einem raschen Bühnen-Abgang und Kleiderwechsel sehen wir die Tänzer mit Papier-Masken religiöser Führer wieder und zur Ode an die Freude liegt man sich in den Armen. Als Ganzes hat  die Szene einen komischen, durch die starren Gesichter aber auch unheimlichen Effekt.
Marianna Capellanis Sopran überlädt die klangliche Dimension des Stückes mit einer etwas zu bombastischen Stimmgewalt, die auch den Ton des Stadttheaters an seine Grenzen bringt und eine störend zwitschernde Qualität hatte. Die Coda des Stückes zieht sich in die Länge. Der vierte Satz der Symphonie wird mit einem Ablegen der Masken, Krabbeln und kindlichem Spielverhalten der Tänzer zu lange zelebriert, gerade da der wirkungsvolle Moment der Verbrüderung durch diese Überlänge verwässert wird. Ein Abend, der einen hoffnungsvollen Bogen spannte, ihn im letzten Teil dann überspannte.