Gesellschaft | 1. März

Wie ist die Flüchtlingslage in Nordtirol?

Anlässlich der grenzüberschreitenden Aktion am Brenner haben wir die Plattform für Bleiberecht Innsbruck gefragt, wie die Lage der Flüchtlinge in Nordtirol ist.

Am Brenner gibt es am Sonntag, 1. März zum erstenmal eine gemeinsame Demonstration von italienischen, österreichischen und deutschen Vertretern der Zivilgesellschaft für die Rechte von Migranten  - was macht eine solche konzertierte Aktion notwendig?

Plattform Bleiberecht Innsbruck: Durch die "trinationalen Polizeikontrollen" deutscher, österreichischer und italienischer Polizeibehörden auf internationalen Zügen auf italienischem Staatsgebiet zeigt sich, dass das System von Schengen, das Dublin-Regime und die Europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik gescheitert ist. Doch das politische Eingeständnis dazu fehlt noch von den Regierungen. Wir wollen den "trinationalen Polizeikontrollen" einen "transnationalen antirassistischen Widerstand" entgegensetzen: Für die Bewegungsfreiheit aller Menschen und eine freie Fahrt über den Brenner(o).

In eurem Programm ist die Rede von einem MigrantInnen-Streik, während die Südtiroler Veranstalter von einer Aktion sprechen: was passiert am 1. März am Brenner?

Wir waren schon letztes Jahr am 1. März, dem Tag des Transnationalen Migranten-Streiks am Brenner(o) und haben die Verhältnisse und das Grenzregime dort kritisiert. Der 1. März ist für uns seit 5 Jahren ein Bezugspunkt, um die herrschenden ungleichen Verhältnisse zu kritisieren. 

Werden euch auch Migranten bzw. Flüchtlinge auf den Brenner begleiten?

Im Fall des Brenner ist es doppelt schwierig, weil Flüchtlinge ja offiziell nicht das Aufenthaltsland verlassen dürfen. Das ist die Kehrseite der EU-Freiheiten: Sie gelten nicht für alle! Es werden aber migrantische Gruppen, die mit uns schon seit Jahren zusammen kooperieren, mitkommen.

Im letzten Jahr wurden 6.000 Flüchtlinge über den Brenner nach Italien zurückgeschickt, mit welchem Argument?

Das Dublin-Regime, wonach jener Mitgliedsstaat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem die Person das erste Mal polizeilich erfasst wurde, bedeutet ein massives Ungleichgewicht innerhalb der EU. Während die (reichen) Staaten des Nordens - hier vor allem Deutschland, Frankreich und Österreich - sich massiv gegen eine Neuregelung der europäischen Flüchtlingspolitik aussprechen, kollabieren in den von der Krise des Kapitalismus schwer angeschlagenenen Staaten des Südens die rechtlichen und humanitären Unterstützungssysteme für Menschen auf der Flucht. 
Die österreichische Polizei erhielt im Sommer/Herbst 2014 massive Kritik von der bayerischen Polizei, weil zu viele Flüchtlinge durch das
"Nadelöhr" Brenner in den Norden kamen. Daraufhin intensivierten die österreichischen Polizeibehörden die Grenzraumkontrollen. Und jetzt
kommen die Refugees nicht einmal mehr zum Brenner, zumindest nicht beim ersten Versuch...hoffentlich aber bei den nächsten Versuchen.

Wie ist die Situation von Asylansuchenden bzw. Flüchtlingen in Nordtirol?

In Österreich gibt es eine sog. "Quotenregelung", die besagt, dass die Bundesländer gemäß ihrer Bevölkerungszahl eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen müssen. In Tirol, das jahrelang die Quote nur zu 80 % erfüllte, sind es im Moment knapp unter 3.000 Asylwerber, die hier auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten.
Es ist für uns aber problematisch, Menschen als Zahlen oder "Verschubmasse" zu sehen, wie etwa die Diskussion um "Verteilzentren", die als eine Art Erstaufnahmestelle geplant sind.

Wie lautet die Erfahrung von Plattform Bleiberecht Innsbruck in Sachen Schutz für Asylansuchende bzw. Migranten, hat sich hier in den  letzten Jahren etwas verändert?

Der von vielen NGOs geforderte Abgang des gefürchteten Tiroler Flüchtlingskoordinators Peter Logar, der seit den 1990er Jahren bis 2010
die Flüchtlingsunterbringung auf fast militärische Art und Weise ("Disziplin und Abschreckung") in Tirol administrierte, trug sicherlich
zu einer wesentlichen Verbesserung bei. Die beiden Landesräte Gerhard Reheis (SP) und die amtierende Christine Baur (GRÜNE)
haben eine neue, "humanere" politische Haltung in diesem Bereich an den Tag gelegt. Trotzdem gibt es Missstände und vor allem strukturelle Probleme (kein Arbeitsmarktzugang, hunderte von anerkannten Flüchtlingen finden keine Wohnung), die aufgezeigt und kritisiert werden müssen.

Gibt es außer dieser gemeinsamen Veranstaltung am 1. März auch andere Initiativen, die ihr gemeinsam mit den Südtirolern angehen wollt?

Wir hatten schon im letzten Jahr versucht, Kontakt mit Südtiroler Organisationen aufzunehmen. Aber zu diesem Zeitpunkt interessierte das Brenner-Thema anscheinend keinen und keine. Der 1. März ist unsere erste gemeinsame Aktion. Es ist unbedingt notwendig, die "transnationale Zusammenarbeit" nicht nur den staatlichen Polizei- und Regierungsbehörden zu überlassen. Heuer machen wir einen ersten Schritt in Richtung Kooperation "von unten". 


Die Plattform Bleiberecht Innsbruck ist ein antirassistisches und systemkritisches Kollektiv, das sich 2007 als Protestbewegung gegen die damalige Abschiebepolitik Österreichs gegründet hat. Die Forderungen und Infos der Südtiroler Organisatoren finden sich unter anderem auf der Homepage der Alexander-Langer-Stiftung. 

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Harald Knoflach Sa., 28.02.2015 - 16:54

zu einfache antworten für meinen geschmack. oder besser gesagt: die voraussetzungen für eine totale grenzöffnung und reisefreiheit für asylwerber sind (noch) nicht gegeben.

dublin II ist eine idiotische regelung. und die behandlung der flüchtlinge ist bisweilen eine schande. völlig einverstanden. aber gegenwärtig völlige offenheit zu fordern, ist auch nicht helle.

freilich hat eine quotenregelung etwas "unmenschliches" an sich. aber ohne eine art quotenregelung würden sich wohl weit über 90% der flüchtlinge auf schätzungsweise fünf bis sechs länder (schweden, schweiz, niederlande, deutschland, österreich und frankreich) verteilen. nicht gerade sinnvoll und fruchtbringend (auch nicht für die asylwerber, da ihre chancen schwinden würden, angemessen integriert zu werden).

auch die reisefreiheit halte ich für bedenklich. wichtiger wäre es, eine vernünftige betreuung zu organisieren. lässt man die flüchtlinge einfach auf sich gestellt, erhöhen sich die chancen, dass niemals fuß fassen können und im endeffekt auf der straße und im abseits landen (was mangels anständiger betreuung bereits jetzt passiert). aber nochmals - die betreuung gehört verbessert, mehr geld gehört investiert. "frei fahrt" wäre meines erachtens kontraproduktiv.

Sa., 28.02.2015 - 16:54 Permalink
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Harald Knoflach Sa., 28.02.2015 - 17:01

warum eine "antirassistische" und wohl auch "antifaschistische" plattform in einem deutschsprachigen text ausgerechnet die faschistische namenserfindung "brennero" verwenden muss, ist mir schleierhaft?!?!

Sa., 28.02.2015 - 17:01 Permalink