Gesellschaft | Jugendarbeit

Der virtuelle Jugendtreff

Die Offene Jugendarbeit begleitet die Jugendlichen durch die Isolation.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: netz | Offene Jugendarbeit

Matthias Jud ist Kultur- und Medienpädagoge sowie Jugendarbeiter beim Jugendzentrum Jux in Lana. Er spricht mit uns über die Bedeutung der Offenen Jugendarbeit in Zeiten der sozialen Distanzierung.

 

salto.bz: Herr Jud, wie kann die Offene Jugendarbeit die Jugendlichen in der aktuellen Situation begleiten?

Matthias Jud: In der jetzigen Situation ist es wichtig, dass die Jugendlichen spüren, dass der Jugendtreff zwar zu ist, aber wir sie trotzdem nicht allein lassen und in anderer Form begleiten, zum Beispiel mit Online-Treffs. Diese Treffs kann man sich wie digitale Wohnzimmer vorstellen, ein Raum wo die Jugendlichen sich virtuell „aufhalten“ und unterhalten können, wo nichts von ihnen gefordert wird, ihnen auch keine Aktivitäten aufgedrängt werden, aber ihnen doch zur Verfügung stehen. Sie können hier ihre Wünsche, Gedanken und auch eventuelle Ängste austauschen, haben aber dabei kein fixes Programm, sondern Gestaltungsfreiraum, ganz so wie im richtigen Jugendtreff.

 

Wie läuft es bisher mit den Online-Treffs?

Die erste Woche war natürlich eine organisatorische Herausforderung, zwischen ein paar kleinen technischen Schwierigkeiten und einer Fülle aus Anwendungen und digitalen Tools die richtige App für den Treff auszusuchen. Aber inzwischen ist es gut angelaufen und wird auch gut genutzt.

 

Wie war das plötzlich auf digital/online umschalten zu müssen? Hatte die Offene Jugendarbeit vorher auch schon digitale Angebote?

Wir haben für die Kommunikation immer schon Whatsapp, Instagram und Snapchat genutzt. Aber da ging es eher darum andere, Außenstehende, über unsere Aktivitäten zu informieren. Hingegen geht es in der jetzigen Situation darum, die Jugendlichen, die bisher in den Jugendtreff kamen, weiterhin zu begleiten. Das heißt es braucht viel mehr Interaktion, deshalb nutzen wir jetzt vermehrt die Videochats, weil wir die Beziehung zu den Teilnehmer*innen suchen müssen. Und das geht besser, wenn man nicht nur über Audio, sondern auch über eine Video-Präsenz ein Gefühl von Nähe vermittelt. Vorher fand der Beziehungsaufbau im Jugendtreff statt, im Moment müssen wir ihn in den Videochats herstellen.

 

Welche Plattformen oder digitale Tools verwendet ihr für die jetzige digitale Offene Jugendarbeit?

Wir arbeiten gerade viel mit ZooRoom, nicht zu verwechseln mit Zoom, denn letzteres wird gerade viel für den Fernunterricht, Sitzungen und Besprechungen genutzt.

Der Vorteil von ZooRoom ist, dass man vorher schon sehen kann, wer sich gerade im virtuellen Treff aufhält und dann erst entscheidet, ob man den virtuellen Raum betreten möchte. Man sieht sozusagen von außen schon, ob gerade viele Leute da sind, ob was los ist, oder nicht. Das ist  also ganz ähnlich wie im echten Jugendtreff, wo man einfach spontan vorbeischauen kann, ohne Einladung durch einen Link. Das ist ein wichtiger Unterschied zu manchen anderen digitalen Anwendungen, denn ohne Einladung gibt es keine Hierarchie von oben, keinen Administrator oder Organisator. Die Jugendlichen müssen sich nur einmalig registrieren und können sich frei untereinander treffen und verabreden. Die Jugendarbeiter*innen bekommen einfach nur die Nachricht, dass gerade jemand den Raum betreten hat, so, wie sie es im echten Jugendtreff auch mitbekommen würden. Sie können dann ab und zu reinschauen und sehen welche Art von Kommunikation stattfindet, wie die Umgangsformen sind und gegebenenfalls eingreifen.

 

Gibt es auch noch andere Formen der digitalen Jugendarbeit?

Ja, es gibt moderierte Aktivitäten, die von den Jugendarbeiter*innen zum Beispiel bei Instagram, Whatsapp, Discord angefangen, geleitet und auch wieder abgeschlossen werden. Discord benutzen zum Beispiel Gamer sehr gerne als Kommunikationsmittel und wir sehen, dass gerade sie jetzt die wenigsten Probleme mit diesen digitalen Kommunikationsformen haben. Aber wir müssen dabei bedenken, dass nicht immer alle zu einer bestimmten Zeit Zugang zum Computer haben, oder womöglich nicht die nötige Ruhe dazu. Alle Jugendlichen sind in dieser Ausnahmesituation viel mit Fernunterricht beschäftigt, in vielen Familien müssen sich die jungen Leute den Computer mit ihren Geschwistern und eventuell sogar mit den Eltern teilen. Es ist deshalb sehr wichtig zeitlich flexible Aktivitäten anzubieten.

 

Kamen auch Vorschläge und Freizeittipps von den Jugendlichen selbst?

Ja, zum Beispiel Lernspiele auf Quizapp, Kahoot, also Plattformen, die sie schon aus der Schule kannten. Oder Scribble.io, wo man zeichnen muss und die anderen müssen raten. Siedler von Catan gibt es auch online und was auch gerade viel in den Online-Treffs gespielt wird ist Werwolf online, da können bis zu 16 Spieler mitmachen. Viele Brettspielproduzenten bieten ihre Brettspiele auch online an, z.B. auf www. Boardgamearena.com.

 

Ist die Anzahl der Jugendlichen, die in den Online-Treff kommen, vergleichbar mit den Besuchern im „echten“ Jugendtreff?

Nein, schon allein weil auf den Plattformen nur eine begrenzte Anzahl an Teilnehmer*innen in den Raum kann. Bei ZooRoom sind das z.B. 12. Aber mit zwölf Online-Teilnehmer*innen müssen alle schon sehr diszipliniert sein, damit man sich noch gegenseitig hört und versteht. Das klappt vielleicht bei Unternehmen, wenn der Chef die Videokonferenz leitet, aber bei Jugendlichen ist es sicher besser für die Kommunikation, wenn der Online-Treff ein bisschen kleiner ausfällt, also mit weniger Teilnehmer*innen als im echten Jugendtreff.

 

Wie kam euer Online-Angebot bisher bei den Jugendlichen an?

Wir haben viele Jugendliche, die teilnehmen, aber es gab auch Jugendliche, die eigentlich zu unseren Stammgästen im echten Treff gehören, die nicht in die Online-Treffs kommen. Entweder weil es sie nicht so interessiert, oder weil sie andere Alternativen gefunden haben, oder weil es eventuell Probleme mit der Internetverbindung gibt. Da sind dann wir Jugendarbeiter*innen gefragt, wir müssen diese jungen Leute aktiv ansprechen, z.B. über Whatsapp, um auch sie in einer anderen Form zu begleiten.

 

Die Jugendzentren bieten auch Telefonnummern an, wo die Jugendlichen sich hinwenden können, wenn ihnen in dieser Zeit die Decke auf den Kopf fällt.

Ja, und eine Frage, die wir bei diesen Gesprächen immer wieder hören ist: „Wie lange geht das wohl noch? Wann macht das Jugendzentrum wieder auf?“ Denn im Jugendtreff können sich freie Kleingruppen bilden, jeder macht was anderes und kann sich separat unterhalten. Im Vergleich dazu erlaubt der Online-Treff natürlich weniger Vielfalt und Entfaltung innerhalb des gleichen Raums. Klar bieten wir auch spezifischere Online-Treffs an, z.B. extra für Mädchen oder Jungs, aber es ist schwer dafür einen passenden freien Zeitpunkt im Tagesablauf aller Teilnehmer*innen zu finden.

 

Wie ist das mit den Jugendlichen, die eigentlich gerade dabei waren eine Ausbildung zu beginnen?
Ja, es gibt viele Jugendliche, die sich, bevor alles zum Stillstand kam, gerade um einen Praktikumsplatz oder eine Ausbildung bemühten. Auch diese Situationen begleiten wir jetzt digital, helfen ihnen z.B. Bewerbungstexte zu schreiben und geeignete Praktika zu finden.
Weiters bietet netz | Offene Jugendarbeit eine Beratungsstelle für Jugendliche, die professionelle und persönliche Orientierung suchen. Das Angebot JugendCoachingGiovani gibt es auf Deutsch und Italienisch. Das Projekt ist im Moment zwar nicht mehr mobil, aber von zuhause aus sind die Jugendcoaches nach wie vor für die Jugendlichen und Netzwerkpartner*innen da! Diese Zeit werden wir nutzen, um die Möglichkeiten der virtuellen Begleitung zu erweitern, indem wir Coachings über WhatsApp-Video Call, Skype oder Zoom anbieten. Jugendliche, welche also gerade in diesen Tagen ihren Lebenslauf schreiben oder mit einem unserer Jugendcoaches über schulische oder berufliche Orientierung sprechen möchten, können sich weiterhin unter folgender Nummer dort melden: 324 7781356. Auf der Webseite https://www.netz.bz.it/jugendcoachinggiovani gibt es zudem Anleitungen und Tipps für eine erfolgreiche Bewerbung.

 

 

Als Medienpädagoge, wie unterscheiden sich Ihre jetzigen Ratschläge an Jugendliche im Vergleich zu „normalen Zeiten“?

Es ist normalerweise sehr wichtig zu schauen: welche Offline-Alternativen haben die Jugendlichen zum Medienkonsum, z.B. beim Sport, Gesellschaftsspiele o.ä.. Momentan ist das natürlich sehr viel schwieriger, aber es ist trotzdem wichtig, dass die Jugendlichen weiterhin darauf achten wie viel Zeit sie vor dem Bildschirm verbringen, wann sie schlafen gehen usw. Aber im Moment gibt es in den Familien viel mehr Konfliktpotential als sonst: wir alle sind es schlicht nicht gewohnt so lange zusammen im Haus eingesperrt zu sein und oft führt auch die gemeinsame Nutzung der Internetverbindung zu Reibereien zwischen Geschwistern und mit den Eltern, weil die verschiedenen Anwendungen und Spiele nicht gleichzeitig möglich sind. Wir raten dann zu kreativen Apps, die man auch offline nutzen kann, wie z.B. Foto- oder Comicapps, mit denen man gut seine Zeit verbringen kann. Weiters gibt es ein paar Jugendtreffs, die jetzt online die Kochrezepte der Jugendlichen sammeln. Die Jugendlichen schicken dafür ihre Rezepte und die Fotos ihrer Kreationen ein und daraus soll später ein Corona-Kochbuch entstehen. Oder eine kleine Challenge wer die Playlist mit der besten Partymusik auf Spotify zusammenstellt. Die Jugendlichen sind froh über solche kleinen Herausforderungen.

 

Wie schätzen Sie wird sich die Isolation auf die Zeit danach auswirken?

Ich könnte mir vorstellen, dass die Jugendlichen nach der Isolation kurz- und mittelfristig erst einmal genervt sind von den online Treffen und sich wieder vermehrt persönlich treffen werden. Viele geben jetzt schon zu, dass sie sich darauf freuen wenn die Schule wieder losgeht. Sie vermissen nicht den Lernstress aber die menschlichen Kontakte in der Schule.

Aber ich glaube nicht, dass es eine generelle Aversion gegen das Digitale geben wird. Es gehört zur Jugendzeit dazu, dass man alles Neue interessant findet und ausprobieren möchte und das wird auch weiterhin so sein. Und das ist auch gut so, denn es geht ja nicht darum die Digitalisierung einzudämmen, sondern darum richtig mit ihr umzugehen und die entsprechende Kompetenz aufzubauen.

Was wir alle aus dieser Situation gelernt haben ist hoffentlich in dieser Flut von Informationen das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, die Fake-News auszusortieren. Die Informationsquellen, die in dieser Zeit sachlich und zuverlässig berichtet haben und nicht reißerisch oder sensationslustig, werden wir auch später noch weiternutzen. Wir haben uns in diesen Tagen bewusst von Plattformen entfernen können die Fake-News und Hasspostings verbreiten. Das wird uns auch nach der Isolation zugute kommen. Wir werden danach alle medienkompetenter sein und die digitalen Medien bewusster nutzen. Das wäre jedenfalls mein Wunsch, dass wir diese Lehre aus der ganzen Geschichte ziehen.

{Interview: Lucia de Paulis}