Politik | Appell für eine neue EU

Ein Verfassungskonvent für eine demokratischere EU

Das BREXIT-Votum der Briten hat viele Nachbeben auf verschiedenen Ebenen ausgelöst. Druck auf die Politik für mehr Demokratie in der EU kommt auch von unten.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Das britische BREXIT-Votum vor einem Monat hat Brüssel aufgerüttelt. 27 Staatschefs werden am 16. September in Bratislava Europas Zukunft nach dem Ausscheiden der Briten diskutieren. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat schon vorgeschlagen, den Europäischen Rat in eine zweite Kammer umzubauen, die Kommission vom EU-Parlament wählen zu lassen und die Rechte des Parlaments auszubauen.

Das geht in die richtige Richtung, meint der Dachverband der Organisationen für mehr Demokratie in Europa Democracy International, reiche aber nicht. Es müsse zunächst der Rahmen für ein neues Grundgesetz der EU geschaffen werden, und das können nur ein Verfassungskonvent (EU Convention) sein. Dieses vom Art. 48 des Vertrags von Lissabon (EUV) vorgesehene Forum wäre die einzige demokratisch angemessene Form, tiefergreifende Reformen der institutionellen Architektur der EU auf den Weg zu bringen.

Nur ein neuer Verfassungskonvent mit direkt gewählten Vertretern der europäischen Zivilgesellschaft sowie Vertretern der EU-Institutionen habe die erforderliche demokratische Legitimation, um die nötigen weitreichenden Reformen zu beschließen. Im Rahmen eines  solchen Konvents muss ausreichend Bürgerbeteiligung ermöglicht sein mit transparenten Verfahren und öffentlicher Diskussion. Am Ende des verfassunggebenden Prozesses gemäß Art. 48 EUV müsse eine EU-weite Volksabstimmung über das neue Grundgesetz stehen, also ein bestätigendes Referendum, wie wir es in Italien im kommenden Herbst erleben. Demokratische Reformen der EU müssen lauf democracy international mindestens Folgendes umfassen:

  • Das EU-Parlament muss zum echten Parlament mit umfassendem Gesetzesinitiativrecht werden.
  • Der EU-Rat soll zu einer zweiten Kammer (Staatenkammer) mit begrenzten Rechten werden.
  • Die EU-Kommission muss vom EU-Parlament gewählt und mit konstruktivem Misstrauen abgewählt werden können.
  • Die EU-Bürger müssen ein echtes Recht auf Volksinitiative erhalten (kein bloßes Volksbegehren die die derzeitige EBI).
  • Es muss ein EU-Referendum für Verfassungsänderungen wie für die Annahme der neuen EU-Verfassung geben.
  • Überlappende Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten sollen abgebaut werden.
  • Entscheidungen sollen so bürgernah wie möglich getroffen werden, also Stärkung des Subsidiaritätsprinzips.

In diesem Sinn hat democracy international einen Appell an den Europäischen Rat verfasst, den schon fast 47.000 Menschen unterzeichnet haben. In meiner Publikation „Più democrazia per l’Europa“ gehe ich einen Schritt weiter: als dritte Kammer soll eine Regionenkammer in Vertretung der gut 278 Regionen mit klaren Initiativ- und Vetorechten geschaffen werden, also echte Kontrolle und Anregung auch durch die Regionen. Diese Kammer würde den heutigen zahnlosen EU-Ausschuss der Regionen ersetzen und die regionale Ebene insgesamt stärken.

Doch ist nicht der letzte EU-Verfassungskonvent von 2002-2003 gerade am Volk gescheitert, in diesem Fall an der französischen, irischen und holländischen Wählerschaft? Nun war jener Konvent  weder ausreichend demokratisch legitimiert, noch konnte sich die Zivilgesellschaft maßgeblich einbringen. Das mächtige Konventspräsidium unter Giscard d’Estaing traf die wichtigsten Entscheidungen selbst. Das Ergebnis, ein EU-Verfassungsentwurf von 400 Seiten Länge, wurde nicht ausreichend kommuniziert.

Ein echter Konvent braucht mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, muss also zumindest zum Teil direkt gewählt werden. Die Konventsmitglieder müssen am Ende über die Verfassungsvorlage selbst entscheiden können und sie der gesamten EU-Wählerschaft zur Abstimmung vorlegen. Erst über ein solches Verfahren lässt sich eine breite Debatte in der ganzen EU über die zukünftige Grundlage und Arbeitsweise der Union auslösen. Und damit tut sich ein Weg aus dem verbreiteten Frust mit der „bürgerfernen EU“ bis hin zur EU-Ablehnung auf. „Ein pan-europäisches Referendum könnte zur Geburtsstunde einer echten europäischen Demokratie werden“, schreibt democracy international im Appell, den man hier unterzeichnen kann.

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Wilfried Meraner Mi., 27.07.2016 - 23:19

Danke Thomas,
das war natürlich fällig.
Es scheint zwar ein Schaden zu sein, dass Großbritannien aus der EU austreten will. Aber in Wirklichkeit könnte das für die gesamte EU von entscheidendem Nutzen sein: denn es ist eben auch ein sehr lauter und längst fälliger ALARM-SCHREI!
Denn über diese EU braucht man sich aus der Sicht der Demokratie wirklich nicht zu freuen.
Die Demokratie der EU ist in einem katastrophalen Zustand - aber das Ausmaß dieser Katastrophe kennen wahrscheinlich nicht viele. Ich jedenfalls habe kaum eine Ahnung davon gehabt, bevor ich dein sehr gutes Büchlein darüber gelesen habe, "Piú democrazia per l'Europa". (Zugegeben noch immer nicht fertig, obwohl es fein zu lesen ist.)
Z.B.: die Mächtigen sind alle nicht vom Volk gewählt, weder der Europäische Rat noch die
Europäische Kommission. Wählen dürfen wir Bürger nur das Europäische Parlament - das klingt wichtig? Aber es ist das einzige der drei Gremien, das fast keine Entscheidungsbefugnisse hat.
Dafür dürfen die Lobbys wesentlich mitentscheiden.
Wie konnte daraus etwas demokratisches und bürgernahes entstehen?
Aber, Achtung: ein Großteil aller gesetzlichen Regelungen für die EU- Staaten
wird nicht von den einzelnen Staaten beschlossen, sondern von der EU.
Wir europäischen Bürger wollen ein demokratisch verwaltetes Europa!
Danke für den Link. Ich hoffe es unterschreiben alle, denen die Demokratie in der EU
ein Anliegen ist.

Mi., 27.07.2016 - 23:19 Permalink
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Wilfried Meraner Mi., 27.07.2016 - 23:31

Antwort auf von Wilfried Meraner

Ergänzung
Das Buch von Thomas Benedikter ist vergriffen, aber man kann es als Pdf hier gratis herunterladen (nur 1,8 Mb):
Piú democrazia per l'europa
(Ich weiß nicht ob das mit dem Link klappt, ansonsten einfach den Titel bei Google eingeben)

Mi., 27.07.2016 - 23:31 Permalink