Politik | Aussagen des Spitzenkandidaten der SVP

Beim SVP-Gesetz zur Bürgerbeteiligung liegt der Teufel im Detail

Was man wissen sollte, um Aussagen des Spitzenkandidaten der SVP zum SVP-Gesetz zur „Bürgerbeteiligung“ beurteilen zu können.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Die Hürde will  begründet sein!

Die Initiative für  mehr  Demokratie liest  mit  Genugtuung, dass  jetzt  auch  der Spitzenkandidat der SVP die im neuen SVP-Gesetz zur Bürgerbeteiligung vorgesehene Unterschriftenhürde als zu hoch ansieht.

Allerdings wäre es mit einer Absenkung um ein paar Tausend Unterschriften nicht getan. Die Höhe der Unterschriftenhürde muss begründbar sein und wir wüssten nicht, wie eine Zahl jenseits der 10.000 Unterschriften, begründet werden könnte, außer mit dem Argument, dass es nicht zu viele Volksabstimmungen geben soll. Wie häufig Volksabstimmungen bei zugänglichen Hürden stattfinden, hängt aber einzig davon ab, wie gut oder schlecht die Politik der politischen Vertretung ist. Mit hohen Hürden kann schlechte Politik schlecht, mit zugänglichen gut korrigiert werden.

 

Für die Höhe gut zugänglicher Hürden gibt es eine rechtlich-logische und eine empirische Begründung für die 7.500 - 10.000 Unterschriftenhürde (ca. 2% der Wahlberechtigten), wie sie unser Gesetzesvorschlag vorsieht:

 

  1. Wenn ein/e einfache/r Bürger/in maximal 7.000 bis 8.000 Stimme braucht, um mit einem Vollmandat in den Landtag gewählt zu werden und damit dort Gesetzentwürfen einbringen und darüber abstimmen lassen kann, dann ist nicht einzusehen, weshalb ein Promotorenkomitee mehr Zustimmung für einen eigenen Vorschlag nachweisen können muss, um das Recht auf Volksabstimmung darüber zu erwirken. So verlangt auch Art. 47 des Autonomiestatutes 8.000 Unterschriften, um über verabschiedete Grundgesetze in einem Referendum entscheiden zu können
  2. Soll Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger politisch wirksam sein, dann mussen Hürden wie in Ländern gelten, wo dies der Fall ist. Das gilt z.B. für die Schweiz, für viele Bundessstaaten der USA, eigentlich auch für Italien, wo aber das Beteiligungsquorum eine wirkliche Wirksamkeit verhindert. In diesen Ländern liegen die Hürden ungefähr bei 2 %. In Deutschland, wo Direkte Demokratie keine wirkliche Bedeutung in der Politik hat, liegen sie zwischen 5 und 20%.

 

Nicht nur die hohe Hürde, weitere Unzulänglichkeiten des SVP-Gesetz zur Bürgerbeteiligung

Die Initiative für mehr Demokratie begrüßt diese Aussage aber noch aus einem anderen Grund. Der Blick  kann  damit  endlich auch  auf alle übrigen Unzulänglichkeiten dieses Gesetzes fallen. Denn Volksabstimmungen werden, wie wir immer betont haben, in diesem Gesetz nicht nur  durch  die absurd  hohe  Hürde  verhindert, sondern durch  eine  ganze Reihe von Regeln, mit denen von der regierenden politischen Vertretung abgelehnte Vorschläge zu Fall gebracht werden können:

  1. Mit einer unbegründbar kurzen Zeit, innerhalb der die Unterschriften gesammelt werden müssen, nämlich innerhalb von zwei Monaten. Eine gute Regelung legt eine begründete Hürde unabhängig von den Sammelbedingungen fest und erleichtert in jeder Hinsicht die Sammlung selbst. Dies vorallem mit einer ausreichend langen Sammelzeit, die nicht als zu überwindende Hürde zu verstehen ist, sondern als wertvolle Phase, in der eine Verständigung der Bürgerinnen und Bürger über einen neuen Vorschlag stattfindet, die Zeit braucht.
  2. Mit der Zwei-Stufen-Regelung und der Möglichkeit einer Kommission festzustellen, dass ein institutioneller Gegenvorschlag zum Vorschlag der Promotoren derem Grund- anliegen entspricht und damit eine Volksabstimmung entfällt. Mit einer solchen Regelung sind Willkürentscheidungen vorprogrammiert, denn ein Gesetzesvorschlag ist die Ausgestaltung eines Grundanliegens, die auf ganz unterschiedliche Weise erfolgen kann.
  3. Mit der Möglichkeit einer Sprachgruppenvertretung im Landtag, die mit Mehrheitsbeschluss erklären kann, dass der Vorschlag die Interessen einer Sprachgruppe berührt, womit eine Volksabstimmung darüber entfallen würde. Es ist keine neutrale, übergeordnete Instanz vorgesehen, die die Berechtigung einer solchen Erklärung verbindlich kontrollieren müsste. Auch hier wären wieder Willkürentscheidungen Tür und Tor geöffnet.
  4. Hätte ein Promotorenvorschlag alle diese Hürden genommen, dann bestünde für die regierende politische Vertretung immer noch die Möglichkeit, diesen mit einem Gegenvorschlag zu Fall zu bringen. Denn der Vorschlag der Promotoren wäre nur dann in der Volksabstimmung angenommen, wenn er mehr Stimmen bekäme, als mit Nein-Stimmen beide Vorschläge abgelehnt worden wären. Bei mehreren Vorlagen werden also jene, die keine Reformen möchten, in der Volksabstimmung durch das Entscheidungsverfahren privilegiert, weil sich die Ja-Stimmen auf zwei Vorschläge aufteilen würden.

 

Im SVP-Gesetz fehlen außerdem unverzichtbare Möglichkeiten und gute Bedingungen der Mitbestimmung:
  • Das Referendum, mit dem Bürgerinnen und Bürger innerhalb weniger Monate mit max. 10.000 Unterschriften entscheiden können, ob ein Beschluss der politischen Vertretung in Kraft treten soll. Das ist eine der zwei Säulen der Direkten Demokratie und ein demokratisches Grundrecht.
  • Volksabstimmungen über Beschlüsse der Landesregierung nur in jenen  Gemeinden, die effektiv von diesen betroffen sind.
  • Volksabstimmungen über die wichtigsten Gesetze überhaupt: jene, mit denen die Ausübung der demokratischen Rechte geregelt wird sowie jene, mit denen die politische Vertretung sich ihre Gehälter und auch unsere Steuern festlegt.
  • Die Garantie für wirklich unabhängige, korrekte institutionelle Information im Hinblick auf Volksabstimmungen.
  • Eine  ganze  Reihe  von   Garantieregeln,  mit  denen  ein  faire,  gleichberechtigte  und transparente Mitbestimmung möglich ist. Direkte Demokratie  ist etwas ganz anderes!


Letztlich bekämen wir Bürgerinnen und Bürger mit dem SVP-Gesetz nicht Mitbestimmungsrechte (mit denen wir mit unserer Stimme bestimmen können), sondern nur   ein   Vorschlagsrecht.  Wenn Kompatscher   jetzt   von   diesem   Gesetz   als   einem „gangbaren  Kompromiss“  spricht,  mit  der  „Möglichkeit  für  den  Bürger,  den  Landtag  zu zwingen, sich mit einem Thema zu befassen“, dann erinnern wir ihn daran, dass es diese Möglichkeit seit 1972 gibt und wir mit vier Volksbegehren erleben mussten, mit welcher Unverfrorenheit  diese   Vorschläge  von  seiner  Partei  immer  wieder  vom  Tisch  gewischt worden sind. Wir hätten mit diesem Gesetz also weiterhin keine Möglichkeit Kontrolle zu üben über politische Entscheidungen und könnten auch nicht selbst solche treffen.

Der Kompromiss, von  dem  Kompatscher spricht, mag SVP-intern  „gangbar“  sein,  ist es aber   sicher  nicht  für  die Bürgerinnen und  Bürger,  die nicht  zu Wasserträgern der regierenden Partei degradiert werden wollen. Es ist ein Kompromiss zwischen völliger Ablehnung von Direkter Demokratie und zaghafter, aber wenig kompetenter Befürwortung.

Er ist sicher nicht Ausdruck eines Mehrheitswillens in der Bevölkerung. Dieser hat sich klar in der Volksabstimmung 2009 ausgedrückt. Wenn mit der Stimmbeteiligung von 38,1 % damals auch nicht das 40 %-Quorum erreicht wurde, so war sie, wie der internationale Vergleich zeigt, durchaus repräsentativ und die Mehrheit von 83,2%, die sich für den Vorschlag der Initiative für mehr Demokratie ausgesprochen hat, überwältigend.
 

Bild
Profil für Benutzer Benno Kusstatscher
Benno Kusstatscher Fr., 27.09.2013 - 11:21

Liebe/r Frau/Herr Direkte Demokratie, ich bin ja ein Befürworter des Anliegens und finde den an den Tag gelegten Einsatz sehr bewunderswert. Nur kann ich mit solchen anonymen Postings wenig anfangen. Weder kann ich beurteilen, ob diese pauschalen Statements "Die Direkte Demokratie ist für ..." jetzt wirklich einem Gruppenkonsens entstammen, oder Privatmeinung des/der Verfasser/s/in sind. Noch finde ich es direktdemokratisch vorbildlich, wenn auf einem Forum, in dem sich so viele mit bürgerlichem Namen die Blöße geben, sich ausgerechnet die Direktdemokraten hinter einer halbanonymen Gruppenidentität verstecken. Unsere lieben Politiker posten ja auch unter ihrem Namen und nicht als "Die Grünen", "Die Freiheitlichen", "Scelta Civica" oder so. Irgendwann lesen wir dann "Ich 'AVS' sehe die Dinge so" oder "Ich 'Wir Schützen' sind der Meinung" oder "Ich 'bbd' stehe schon immer für..."- irgendwie skurril, oder? Stehen nicht alle Gruppierungen für auf persönlicher Individualität beruhenden Nuancen in der Sicht der Dinge?
-
Angesichts meiner politischen Passivität im Vergleich zu Eurem Einsatz steht mir Kritik kaum zu, möchte aber das Feedback deponieren, dass mich dieses Vorgehen verunsichert und zu wohl unnötiger Vorsichtigkeit bei der Lektüre Eurer Beiträge zwingt. Schade, wie ich finde.

Fr., 27.09.2013 - 11:21 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Initiative für mehr Demokratie
Initiative für… Fr., 27.09.2013 - 15:22

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Lieber Benno, danke für deinen Tipp. Wir sind aber ganz und gar nicht anonym. Hier kannst du nachlesen, wer hinter dem Account und auch hinter der Gruppe "Iniziativa per più democrazia - Initiative für mehr Demokratie" steckt: http://www.dirdemdi.org/de/component/content/article/161-impressum.html ---- Der Umgang mit den neuen Medien (also auch mit unserem Account/Gruppe auf salto.bz) ist gar nicht so einfach. Wir wünschen uns, das Salto Team würde uns da mehr unterstützen.

Fr., 27.09.2013 - 15:22 Permalink
Bild
Profil für Benutzer gorgias
gorgias Fr., 27.09.2013 - 17:25

Es ist eine Täuschung diese Abstimmung als repräsentativ zu bezeichnen, da es genug Personen gibt die aus strategischen Gründen, sich nicht beteiligt haben, anstatt Nein zu wählen. Schön blöd wenn sie es getan hätten und damit dem Referdum zur Gültigkeit verholfen.

Repräsentativ kann so eine Abstimmung nur ohne Beteiligungsquorum sein.

Fr., 27.09.2013 - 17:25 Permalink