Umwelt | Weißes Elend

Pistenschläuche & Touristikerschläue

Vom Wintersport, und was aus ihm geworden ist (und noch werden wird, wenn wir nicht aufpassen)
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Foto: APA, Puls

Ungute Nachrichten aus Kitzbühel machen derzeit die Runde, und Negativ-Furore, in den sozialen Medien, aber nicht nur dort. Ein Artikel in „Süddeutsche Zeitung“  eröffnete den unschönen Reigen vor wenigen Tagen, mit dem ebenso sinnigen wie treffenden Titel „Dieses aufgehäufte weiße Elend“. Man – frau auch – ist fassungslos, zumindest in der Blase, in der ich mich am liebsten aufhalte. Es gibt aber auch Leute, die diesen „Pistenschlauch“ sexy finden, so sehr, dass sie doch glatt eigens von Südtirol nach Kitzbühel reisen, um sich diesen überdekadenten Pistenwahnsinn anzutun.

Übrigens: Die Kitzbüheler Touristiker und Werbeleute erhoffen und erwarten sich von dieser Aktion und den Nachrichten darüber einen „positiven Werbeeffekt“. (Die Fassungslosigkeit der Beobachtenden steigt ins Unermessliche). Sie haben’s wohl nötig (1). Wie tief wollen wir, die marktgetriebene Gesellschaft, eigentlich noch sinken (2)?

Über diesen News aus dem Lande der Cousins im Norden also grübelte ich, als ich vor ein paar Tagen im sommerlichen Lauf-Shirt durch unseren kühlen Laranzer Wald jagte (der übrigens auch schon bald der touristischen „Entwicklung“ übergeben und überlassen werden soll), und dabei ganz schön ins Schwitzen geriet, obwohl der Oktober doch fast zu Ende und schon bald Allerheiligen ist, mithin König Winter und sein Schnee schon längst von den Bergen herunterschauen sollten.

Dann – erleichtertes Aufatmen in der Erschrockenen-Blase – erschien diese andere Botschaft vom „Tourismus mit der Brechstange“ am Horizont der wintertouristischen Unheiligkeiten, der ich stante pede ein „Prädikat wertvoll“ verleihen würde: für die klugen Inhalte sowieso, ganz besonders aber für die ausgezeichnete Idee der Verleihung einer eisernen Brechstange an Touristiker und Tourismusorte, die mit ihrem Tun und Treiben dem Land und seinen Leuten schaden.

Dies alles zusammen, diese Gemengelage gewissermaßen, erinnerte mich nicht zuletzt an Bilder aus Almerìa, die ich – es mag an die zwanzig Jahre oder mehr her sein – in einer Dokumentation über die „Entwicklung“ jener spanischen Region gesehen hatte, und die mich seither nicht mehr losließen. Wer sich jetzt fragt, was Almerìas Tomaten mit unseren Kunstschnee-Wintern zu tun haben, der sei beruhigt: Sie haben, und zwar sehr viel mehr, als man meinen möchte. Und zwar so:

In Almerìa waren vor ein paar Generationen einige findige Bauern auf die Idee des Tomatenanbaus gekommen. Die Geschäfte mit der Tomate liefen, sie liefen gut und immer besser, mit der Folge unter anderem, dass Nachahmer nicht lange auf sich warten ließen. Auch die Sache der - zahlreichen - Nachahmer lief gut, so gut, dass Almerìa und seine Tomaten letztlich zu dem wurden, was sie heute sind: die Region eines der hässlichsten Negativ-, seine Tomaten eines der Parade-Beispiele dafür, was jegliches „Over“ über kurz oder lang mit sich bringt, nämlich: Verdorbenes Land, verdorbene Früchte.

Das ist traurig genug, aber dieser (noch) nicht der Punkt, der sich meinem Gedächtnis tief eingebrannt hatte - das war vielmehr die Tatsache, dass das „Anbau-Over“ in Almerìa einerseits, eine sich verändernde Umwelt andererseits gestiegenen Wasserbedarf hier, gesunkene Wasserreserven dort mit sich brachten, und die Tomaten-Bauern, die schon längst Tomaten-Industrielle waren, immer neue und zunehmend aberwitzige Methoden ersinnen mussten, damit ihre Pflanzungen zum nötigen Wasser kamen (sieht an dieser Stelle vielleicht schon jemand Parallelen zwischen dem Tomatenanbau in Almerìa, und dem Schnee-Anbau in den Wintersportorten der Alpen?!). Das ging so lange, bis eines Tages das Wasser aus dem Norden geholt und durch halb Spanien zu den Tomaten in Almerìa geführt werden musste (noch einmal: Parallelen zu heimischen, winterlichen „Entwicklungen“ augenfällig?!).

Ich werde nie vergessen, wie ich beim Schauen jener Bilder, beim Betrachten jenes Tuns in meiner Couch erstarrte, völlig fassungslos angesichts der Tatsache, dass jene Leute offenbar nicht sahen, nicht erkannten, was doch sonnenklar war, nämlich die totale Sinnlosigkeit ihres Tuns und jenen Treibens; wie sie immer weiter machten, trotz der erschwerten bis unmöglichen Umstände, die mehr als deutlich machten, dass ihre Region für den Tomatenanbau schlicht und ergreifend nicht mehr geeignet war. (Erst viele Jahre später habe ich gelesen, welche möglicherweise die Gründe für die Blindheit der spanischen Tomatenbauern (und nicht nur ihre) sein könnte: Es scheint, dass die Menschheit auf Katastrophen nur dann angemessen reagiert, wenn sie davon brutal "überfallen" wird. Langsam und stetig sich entwickelnde Katastrophen – wie z. B. der Klimawandel – werden hingegen nicht als solche wahrgenommen.)

Und ja, es ist an dieser Stelle wohl müßig zu sagen, dass es nicht lange dauern sollte, bis ich ähnlich sinnloses Tun und Treiben auch in der Heimat beobachten konnte, und mich exakt dieselbe Fassungslosigkeit an- und überfällt, wann immer ich sehe, welch aberwitziger, ja fast schon grotesker – almerìamäßiger – Aufwand mittlerweile auch bei uns betrieben wird, um für unsere Winter (Winterchen, um genau sein, oder „Winter soft“) zu einem bisschen Schnee zu kommen zu Pisten zu kommen zu Skitouristen zu kommen, und wie hartnäckig bis starrsinnig wir uns selbst und der Welt das Märchen vom weißen Winter erzählen, immer wieder, immer noch, trotz allem. 

Und so taumeln wir, blind, wie die Schlafwandler, von einer Winter-Saison zur nächsten, und hoffen, mit immer neuer „Innovation“ in unser Heute zu retten, was doch unwiederbringlich einer von Jahr zu Jahr ferneren Vergangenheit angehört. Ja, die beiden mit der Brechstange im Video aus Kitzbühel haben unbedingt Recht: Ein Gesinnungswandel ist überfällig – vielleicht sogar einer im Sinne der Shoshana Zuboff, Wirtschaftswissenschaftlerin und Harvard-Professorin: ihr zufolge ist „Innovation“ meist eine Schimäre ist, die nur bewirkt, dass wir immer weiter auf der Stelle treten und an längst überkommenen Zu- und Umständen herumflicken, derweil aber Mutation – tiefgreifende Veränderung, gründliche Umwälzung – vonnöten wäre.

Sofern wir nicht riskieren wollen, dass beträchtliche Teile unseres schönen Landes, eher über kurz denn über lang, (auch) als „Friedhöfe aus Stahl, Beton und abgeholzten Pisten“ enden sollen. Noch haben wir Möglichkeiten, diese und ähnliche Katastrophen abzuwenden. Aber nicht mehr lange.

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Peter Gasser So., 27.10.2019 - 12:25

„Wie tief wollen wir, die marktgetriebene Gesellschaft, eigentlich noch sinken“:
zum Schifahren in die Wüste in eine Halle auf die Arabische Halbinsel?

So., 27.10.2019 - 12:25 Permalink
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19 amet Mo., 28.10.2019 - 09:35

Als ich vor Jahren nach Malaga fuhr, kamen wir durch Almeria. Wir waren entsetzt. Die Gemüsebauern hatten die ganze Landschaft mit Plastikgewächshäusern zugebaut. Auf den Hügeln Windräder und das Tal in Plastik eingehüllt. Als bei uns die ersten Hagelnetze gespannt wurden, dachte ich mir: Die Bauern, die jedesmal, wenn sie die Hand aufhalten, von den Landschaftspflegern plodern, fest unterstützt von ihrer Werbeabteilung, werden uns wohl nicht das Etschtal zuhängen. Fehlanzeige, wie jeder heute selbst betrachten kann. Nun kommen die Verwandten und wollen Winter auf Teufel komm raus, wahrscheinlich bis zum letzten Wassertropfen. Denn Sie haben ja auch ein Recht mit der Landschaft zu verdienen. Meinen sie.

Mo., 28.10.2019 - 09:35 Permalink