Gesellschaft | Digitale Medien

Fake News töten

Wie gefährlich Falschnachrichten wirklich sind und was dagegen unternommen werden muss.
Fake News
Foto: unsplash.com/kaylavlasquez

Während ich mir während des Corona-Lockdowns im Frühjahr ein Thema für meine Bachelorarbeit überlegen sollte, jedoch mal wieder tranceartig den Facebook-Feed durchscrollte, bemerkte ich zunehmend, wie Facebook-Freunde Inhalte teilten, die völlig absurd und falsch waren. Ich fragte mich, wer solche Falschmeldungen aus welchem Grund verbreitet und wieso es Menschen gibt, die auf den Fake News-Zug aufspringen. Außerdem fragte ich mich ob es bereits Anti-Fake News-Regulierungen gibt und welche Regulierungen von wem eingeführt werden müssten, um diesem Problem entgegenzuwirken. Die Antworten auf diese Fragen finden sich schließlich in meiner Bachelorarbeit und zusammengefasst in den nächsten Zeilen. Spoiler: Ich habe vor Beginn meiner Arbeit die Urheber von Fake News, die Auswirkungen von Fake News und die Schwierigkeit der Fake News-Regulierungen völlig unterschätzt.

 

Das Problem

 

In Zeiten, wo der technische Fortschritt in einem noch nie da gewesenen Tempo voranschreitet, hinken politische Regulierungen permanent hinterher. Eine zunehmend verunsicherte Bevölkerung mit unzureichender Medienkompetenz und fehlendem Vertrauen in Medien und Politik wird auf die gänzlich unerforschte Plattform Facebook losgelassen. Im Facebook-Feed lassen sich die Beiträge von einem seriösen, journalistischen Medium und einem privaten Verschwörungsblog auf dem ersten Blick nur schwer unterscheiden. Die Inhalte der Startseite werden von Facebook automatisch und individualisiert ausgewählt. Wie genau die Beiträge ausgewählt und priorisiert werden, gibt Facebook nicht Preis, aber das Ziel ist klar: Maximierung der Nutzeraktivität. Dabei provozieren Posts, die Emotionen wie Angst und Wut auslösen die meisten Reaktionen von Nutzern. Das trägt zur Entstehung von Filterblasen bei und fördert Polarisierung, Spaltung und Radikalisierung. Der Werbewert einer Facebook-Seite steigt durch starke Interaktion. Social Bots probieren aus, welche Themen die meisten Reaktionen auslösen. Die Beiträge mit den meisten Interaktionen sind zu einem großen Teil Fake News. Jede politische Falschmeldung schwächt die Demokratie und das Vertrauen seiner Bürger.

 

Die Nutznießer

 

Längst wissen Populisten, Extremisten und autokratische Regimes über diese Fehlentwicklung Bescheid und lassen von sogenannten Trollfabriken manipulative Desinformation, Propaganda und Verschwörungstheorien am laufenden Band produzieren, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Sie befeuern einen manipulativen Informations-Krieg, um politische Gegner und verfeindete Länder zu verunsichern und zu destabilisieren. Moskau beispielsweise investiert laut ehemaligen EU Kommissionsvize Andrus Ansip jährlich mehr als eine Milliarde in regierungstreue Medien. Ein als Trollfabrik bekanntes Unternehmen soll allein 1.000 Mitarbeiter haben. Die rechtsstehenden, amerikanischen Medien Fox News und Breitbart haben beispielsweise die meisten Angry Button Klicks. Auch Trump und seine Berater wissen um diesen Sachverhalt Besscheid und kommandieren die weltweite Aufmerksamkeit. Das zerstört das Vertrauen der Menschen, diese werden handlungsunfähig und schaffen die machtpolitische Grundlage für mehr Populismus.

 

Die Folgen

 

Welche Dimensionen der strategische Einsatz von Fake News in der Politik annehmen kann, zeigt die Manipulation der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016, genauso wie das manipulierte Brexit Votum 2016. Es gibt rechtsradikale Troll-Armeen in Deutschland, die ihre Fake News-Angriffe auf dem Instant Messaging Dienst „Discord“ akribisch planen, um damit das Meinungsklima auf Facebook effektiv zu verzerren. Wie fatal die Auswirkungen von Fake News Kampagnen auf Facebook aber tatsächlich sein können, zeigt sich in Myanmar. Hier wurde durch gezielte Falschinformationen der Hass auf die muslimische Minderheit der „Rohingya“ so weit getrieben, dass 20.000 Menschen getötet und 700.000 vertrieben wurden. Seit Anfang der Corona Pandemie gibt es zusätzlich eine regelrechte „Infodemie“ an Fake News, wie die WHO die Situation bezeichnet. Menschen sind durch das Virus zunehmend verunsichert und die Verschwörungstheorien florieren. Durch Corona-Fake News sind laut einer Studie bereits hunderte Menschen ums Leben gekommen. Trotz der verheerenden Auswirkungen manipulativer Fake News Kampagnen, sind die traditionellen, kommunikationspolitischen Maßnahmen dagegen bis dato ungenügend. Google, Youtube, Facebook, Twitter und Co. sind seit 2010, unter den Haftungsausnahmen der EU, für Richtlinien zu E-Commerce und Inhalte Dritter, von ihren Verpflichtungen der Inhaltsüberwachung befreit.

 

Welche Regulierungen gibt es aktuell?

 

Unter anderem gibt es unterschiedliche Regulierungen zum Thema Fake News in den Ländern Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, China und den USA. Außerdem installierte die EU-Kommission eine Taskforce, einen Verhaltenskodex und eine Info-Website zur Bekämpfung von Fake News. Zu den Maßnahmen der Selbstregulierung zählen Facebook-Gemeinschaftsstandards, Nutzungsbedingungen und Richtlinien. Die Gemeinschaftsstandards und zukünftige Regulierungspläne von Faceook klingen theoretisch gut durchdacht, jedoch zeigt sich in der Praxis, dass Fake News auf der Plattform oft noch problemlos verbreitet werden können. Fake News generierten im Jahr 2019 sogar die meisten Interkationen überhaupt. Staatliche Anti-Fake News Gesetze die bereits erlassen wurden, können aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit dem komplexen Problem Fake News nicht gerecht werden. Während China beispielsweise das komplette Internet unter Kontrolle und Zensur stellt, wird in den USA die Regulierung ausschließlich den privaten Anbietern überlassen. Das progressivste Medienregulierungs-Modell in diesem Sinne ist das sogenannte „White Paper“, das im Vereinigten Königreich im Jahr 2019 erlassen wurde. Hier werden Plattformen wie Facebook für Fake News verantwortlich gemacht und alle relevanten Gruppen in den Entscheidungsprozess miteinbezogen. Aber auch das „Vorzeigemodel“ des Vereinigten Königreichs bleibt nicht von Kritik verschont: Die englische NGO „Index on Censorship“ befürchtet, dass die übertragene Verantwortung auf Facebook zu übermäßiger Zensur und einem gravierenden Einschnitt in die Meinungsfreiheit führe.

 

Welche Regulierungen sollten eingeführt werden?

 

Folgende Lösungsansätze aus aktueller Fachliteratur lassen sich zusammenfassen:

Was sollte der Staat unternehmen?

  • Facebook sollte zu transparentem Handeln verpflichtet werden.
  • Unabhängiger Journalismus sollte gefördert und rechtlich privilegiert werden.
  • Facebook sollte einer Gerichtsbarkeit unterstehen und Konsequenzen für die Verbreitung von Fake News befürchten müssen.
  • Die Regulierung von Fake News auf Facebook sollte einer besonderen Sorgfaltspflicht und der öffentlichen Kontrolle eines fortlaufenden Regulierungsprozesses unterstehen.
  • Unabhängige, übergreifende Schiedsstellen aus Plattform-Betreibern, Justizvertretern, Strafverfolgern und Menschen aus der Zivilgesellschaft zusammengesetzt, sollten als Kontrollinstanz fungieren und zuständig für die Löschung von betroffenen Inhalten sein.
  • Die Medienkompetenz in der Bevölkerung sollte gefördert werden.
  • Werbequellen sollten transparent und sichtbar sein.
  • Social Bots sollten gekennzeichnet sein.

Was sollte die EU unternehmen?

  • Facebook-Algorithmen sollten transparent und bearbeitbar sein.
  • Ein übergreifendes, internationales Netzwerk aus unabhängigen Faktenprüfern sollte gegründet werden.
  • Facebook sollte internationalen Standards inklusive den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unterstehen.

 

Ausblick

 

Fake News sind nicht nur eine Gefahr für unser demokratisches Gesellschaftssystem, sondern haben bereits zehntausende Menschenleben gekostet. Die Verfasser von Fake News haben meist radikalpolitische Interessen und nutzen die komplexen Mechanismen von Facebook und unzureichende Regulierungen zu ihrem Vorteil. Aber auch wenn aktuelle Maßnahmen der gesellschaftlichen Bedrohung durch Fake News nicht gewachsen sind: Mit einem gesamtheitlichen, akteursübergreifenden, global-vernetzten Lösungsansatz kann eine langfristig erfolgreiche Bekämpfung von Fake News gelingen. Dieser Prozess erfordert sowohl den Einbezug einer gesellschaftlichen, partizipativen Debatte, als auch die Förderung professioneller, journalistischer Inhalte und der Medienkompetenz in der Bevölkerung. Schlussendlich dürfen sich die Facebook-User nicht aus der Verantwortung ziehen, denn am Ende des Tages töten nicht die Fake News, sondern deren Verbreiter.

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Maori Aotearoa Sa., 31.10.2020 - 11:35

Bitte Fakten korrekt wiedergeben: "Wie fatal die Auswirkungen von Fake News Kampagnen auf Facebook aber tatsächlich sein können, zeigt sich in Sri Lanka. Hier wurde durch gezielte Falschinformationen der Hass auf die muslimische Minderheit der „Rohingya“ so weit getrieben, dass 20.000 Menschen getötet und 700.000 vertrieben wurden." Das war NICHT in Sri Lanka, sondern in Myanmar. https://www.unocha.org/rohingya-refugee-crisis

Sa., 31.10.2020 - 11:35 Permalink
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Elisabeth Garber Sa., 31.10.2020 - 14:05

Bravo für den Autor dieses Beitrags! Es wäre wünschenswert, wenn kritische Menschen wie D. Pazeller ihr Wissen an Schulen (auch online) weitergäben.

Sa., 31.10.2020 - 14:05 Permalink
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Andergassen Thomas So., 01.11.2020 - 10:30

Ich sehe es so. Wenn die Handvoll Nachrichtenagenturen und Medien die Bürger korrekt und transparent über die Geschehnisse auf dieser Welt berichten würden, wäre es nie so weit gekommen. Man braucht nicht jeder Verschwörungstheorie nachlaufen, aber man braucht sich auch nicht der Illusion hingeben, dass die tägliche Berichterstattung der Medien dem entspricht was auf dieser Welt vor sich geht.

So., 01.11.2020 - 10:30 Permalink