Gesellschaft | Soziale Innovation

Leben im Gewächshaus

In einigen leerstehenden Gewächshäusern in Bologna haben sich soziale Innovation und Gemeinschaft angesiedelt: ein nachhaltiger Motor für Wirtschaft und Gesellschaft.
serre
Foto: Kilowatt Bologna

Fünfzehn Jahre lang standen die riesigen Gewächshäuser in den Gärten am Rande des Stadtzentrums von Bologna – “le serre dei giardini margherita” – leer. Nur mehr der Wächter der Gärten lebte in dem weiten, verlassenen Areal; morgens sperrte er die Gärten auf und abends wieder zu. Heute haben sich die Gewächshäuser in ein pulsierendes Zentrum verwandelt: Dank der Genossenschaft Kilowatt wurde ein Raum geschaffen, “in dem nicht-dystopische Zukunftsideen bespielt werden”, wie Massimo Tiburli Marini, Mitbegründer der Genossenschaft, erklärt.

 

Arbeitsplatz, Austausch, kulturelles Zentrum und Zuhause. All diese Dinge wollen die “serre dei giardini margherita” für die Menschen in Bologna sein. Die Genossenschaft Kilowatt, die die Sanierung und Wiederbelebung der Gewächshäuser 2014 von der Gemeindeverwaltung übernommen hat, hat ein breites Angebot an Aktivitäten und Räumen geschaffen, die der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Einerseits die Co-Working-Spaces, wobei Co-Working nicht nur als Schreibtischmiete, sondern als Netzwerk für regen Austausch und Zusammenarbeit verstanden wird. Um diese – häufig freiberufliche – Arbeit auch mit Familie vereinen zu können, wurde “Kilowatt Baby” ins Leben gerufen. Hier finden Eltern oder noch stillende Mütter ein Betreuungsangebot für ihre Kinder in ihrer Nähe. Kilowatt Baby arbeitet dabei mit der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Bologna zusammen, die neue, experimentelle Betreuungsansätze im Freien ausprobiert.

 

Unser erstes Ziel war es, einen Arbeitsplatz zu schaffen, der gleich viel zur Lebensqualität beiträgt wie die Freizeit.

 

Neben “Kilowatt Baby” gehören auch das Grafik- und Kommunikationsprojekt “K2” und die Beratungsstelle “Consulting” zur Genossenschaft. Sie bieten Beratung und Unterstützung rund um Innovationsstrategien im Bereich des Sozialen und der Nachhaltigkeit an. "Vielfach geht es aber auch um innerbetriebliche Innovation, Verbesserung von Arbeitsprozessen oder Weiterbildung", erklärt Tiburli Marino. Die Aufträge kommen aus dem gemeinnützigen oder öffentlichen Sektor, aber auch private Betriebe wenden sich immer häufiger an Kilowatt. Hier arbeiten “Consulting” und “K2”, die sich vor allem um audio-visuelle Inhalte kümmern, oft Hand in Hand.

 

Viele der Mitglieder von Kilowatt haben fixe Arbeitsplätze aufgegeben, um sich in dieses Projekt zu stürzen. “Wir wollen neue Paradigmen der nachhaltigen Entwicklung schaffen”, so Tiburli Marini, “und hier spielt der Arbeitsplatz eine wichtige Rolle. Unser erstes Ziel war es, einen Arbeitsplatz zu schaffen, der gleich viel zur Lebensqualität beiträgt wie die Freizeit. Das ist natürlich sehr ambitiös, aber zum Teil – glaube ich – ist es uns gelungen.” Auch deshalb, weil die Mitglieder vom Ziel, einem gemeinschaftlichen und nachhaltigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems Auftrieb zu schenken, überzeugt sind. “Wir versuchen in unserer Arbeit nicht nur an das “Wie viel” und das “Was” zu denken, sondern auch an das “Wie” und der Frage danach, für wen wir bestimmte Dinge tun.”

 

Während im Herbst und Winter vor allem wer dort auch arbeitet die “serre” besucht, wird der Ort im Frühjahr und Sommer zu einem kulturellen Hotspot der Stadt. Mitglieder, Mitarbeiter und freiwillige Helferinnen organisieren Festivals, Konzerte, Lesungen und andere Events. All das ist für die Öffentlichkeit frei zugänglich und wird durch das Bistro im Inneren der Gewächshäuser finanziert. “Wir haben nie auch nur ein einziges Ticket gedruckt”, so Tiburli Marino.

Im Sommer können die mit Steckdosen und WLAN ausgestatteten Tische und Bänke im Freien zudem fürs Lernen oder Studieren verwendet werden; zu Prüfungszeiten verwandelt sich das Areal in ein Studierzimmer unter freiem Himmel. Und in Zukunft soll der Raum auch im Winter stärker genutzt werden können: Geplant ist ein Ort, an dem Kunst, Forschung und wirtschaftliche Tätigkeiten aufeinandertreffen.

 

Während vor einigen Jahren der Wächter der “giardini margherita" noch der Einzige war, der durch die Gewächshäuser strich, haben mittlerweile viele Bewohner der Stadt dort ihr zweites Zuhause gefunden. “Es ist ein Ort, an dem man sich gerne aufhalten lässt", erklärt Tiburli Marini stolz. "Wenn wir 14 Stunden pro Tag in die Organisation eines Festivals stecken, freuen wir uns um so mehr darauf, abends auch dabei sein zu können. Die serre schaffen Gemeinschaft, Familie und innovativen Austausch."