Politik | Pestizdprozess

War das nötig?

Von Anfang an bemühte ich mich in persönlichen Gesprächen und e-Mails um Deeskalation. Zwei dieser e-Mails an LR Schuler gibt es hier zum Nachlesen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Alexander Schiebel und Karl Bär im Landesgericht Bozen
Foto: villagio photography

Heute wurde vor Gericht die letzte von 1.372 Strafanzeigen gegen uns zurückgezogen. Damit endet nun auch der Prozess, der gegen Karl Bär wegen Verleumdung geführt wurde. (Der Prozess gegen mich, war schon im Mai 2021 mit einem Freispruch zu Ende gegangen.)

Zeit also für eine Zwischenbilanz:
Was hat der Prozess dem Land Südtirol und der Südtiroler Obstwirtschaft gebracht?
Mehr Schaden oder Nutzen?
Mir will scheinen, dass der Schaden überwog ...
Aber hätte man diesen Schaden, durch geschickteres Handeln seitens der Politik, abwenden können?

Viele Wochen vor Prozessbeginn hatte ich mich in persönlichen Gesprächen mit Landesrat Schuler darum bemüht den Konflikt auf der Sachebene zu halten bzw. ihn dorthin zurückzubringen.
Am 29. Juli 2020 hatte ich dann, nachdem ich mehrere Telefonat mit Landesrat Schuler geführt hatte, die nachfolgenden Zeilen an den Landesrat gesandt:

* * *

Sehr geehrter Herr Landesrat Schuler!

Wie am Telefon besprochen möchte ich gerne gemeinsam mit Ihnen Deeskalation betreiben. Der Weg zur Deeskalation: Sie sorgen für eine Einstellung der Gerichtsverfahren gegen mich und Jacob Radloff und wir verfassen dazu eine gemeinsame Presseerklärung. (Ich denke allerdings, dass dazu gar nicht mehr sehr viel Zeit bleibt; um nämlich die Anzeige zurückzuziehen und das angelaufene Verfahren zu stoppen. Aber ich bin natürlich kein Rechtsexperte.)

Die Kernbotschaft einer gemeinsamen Erklärung sollte lauten: „Wir haben unsere Streitigkeiten beigelegt. Zumindest vor Gericht. Daher haben wir dafür gesorgt, dass das aktuelle Verfahren eigestellt wurde.“

Meine ersten Überlegungen zum Inhalt einer Presseerklärung:

Ich war immer der Meinung, dass politische Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt werden sollen und nicht im Gerichtssaal.

In meiner ganzen Arbeit zum Thema Mals ging es hauptsächlich darum, den Pioniergeist in dem kleinen Dorf im Vinschgau als etwas Positives darzustellen. Und ebenso die Standhaftigkeit der Menschen in Mals.

Bis zu einem gewissen Grad war mir dabei der konkrete Konflikt, der diesen Widerstand in Mals ausgelöst hatte, egal. Mein Film würde nicht sehr viel anders ausgesehen haben, wenn die Malser gegen einen Autobahnbau gekämpft hätten. Aber natürlich musste ich, damit man die Geschichte versteht, den zugrundeliegenden Konflikt zumindest oberflächlich erklären. (Und dass es bei einem Konflikt immer - mindestens - zwei Positionen gibt, liegt auf der Hand.)

Wichtig ist jedoch, dass wir zum Thema „industrielle Landwirtschaft“ eigentlich gar nicht so weit auseinanderliegen. Zumindest im Grundsätzlichen.

  1. Manche Phänomene der modernen Landwirtschaft, die ihren Ursprung in den 50er Jahren haben, werfen immer längere Schatten. Schatten, die wir heute immer deutlicher erkennen. Zum Beispiel beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
  2. Daher wird es ohnehin – nicht nur in Südtirol, sondern weltweit – zu einer Neuerfindung der Landwirtschaft kommen.
  3. Man wird sich dabei die Natur zum Vorbild nehmen, sie nachmodellieren. Stichwort: Agrarökologie. Man wird mit der Natur arbeiten. Auf der Basis von Wissen und Wissenschaft.

Die Funktion von konstruktiver Kritik liegt darin, einen solchen Prozess zu beschleunigen. Wenn aber Kritik zum Krieg ausartet, dann verschwenden wir wertvolle Energien im Streit, die wir gut brauchen könnten, um an einer besseren Welt zu basteln.

Landesrat Schuler und ich haben daher, um eine Streitkultur zu pflegen, die die Bezeichnung „Kultur“ verdient, das direkte und vertrauliche Gespräch gesucht. Dabei haben wir festgestellt, dass wir zwar in vielen Punkten unterschiedliche Meinungen haben, dass wir aber auch in einigen Punkten die gleichen Ansichten vertreten.

Zum Beispiel ...

  1. Die Herausforderungen, vor denen die moderne Landwirtschaft steht, sind komplex.
  2. Sie können nur schrittweise und nicht von heute auf morgen gelöst werden.
  3. Sie können nur durch gemeinsame Anstrengungen der ganzen Gesellschaft gelöst werden.
  4. Die wichtigste Zutat dazu ist der Wille diese Herausforderungen zu erkennen und anzugehen.

Natürlich besteht auch in vielen Punkten Uneinigkeit ...

  1. Ich halte die Gefahren die von Pflanzenschutzmitteln ausgehen, auch von jenen, die in Südtirol verwendet werden, für größer als Landesrat Schuler.
  2. Dies gilt vor allem in Bezug auf den Artenverlust. (Wobei wir auch hier – leider – von einem weltweiten Problem sprechen.)
  3. Auch die Gefahren für die Gesundheit sollten wir genau studieren. Pestizide spielen nämlich nach meiner Recherche eine Hauptrolle im Konzert jener chemischen Substanzen, die alle gemeinsam zur Ursache von Zivilisationskrankheiten werden.
  4. Schließlich sind wir auch im Bezug auf Mals unterschiedlicher Meinung. Ich denke, dass es gar nicht so wichtig ist herauszufinden, ob die Malser nach dem Buchstaben des (zur Zeit geltenden) Rechtes ihre neuen Regeln einführen durften. Ich denke die wichtigere Frage lautet, ob wir den politischen Willen haben, Gemeinden in Zukunft die Einführung verschärfter Umweltnormen zu gestatten. 

Der wichtigste Punkt jedoch, in dem wir Einigkeit erzielt haben, besteht in der Erkenntnis, dass ein gutes Gesprächsklima ein hohes Gut ist. Dass wir unsere Kritik stets so vorbringen müssen, dass sie nicht verletzend ist (dieser Kritikpunkt geht auch an meine Adresse) und dass wir unser Gespräch aus dem Gerichtssaal heraus in die Öffentlichkeit verlegen müssen (dieser Kritikpunkt geht an die Adresse der Kläger im aktuellen Prozess).

Schlussbemerkung ...

Nun freue ich mich darauf auch Ihren inhaltlichen Beitrag kennenzulernen, Ihr Statement zur Einstellung des Gerichtsverfahrens und zur Wiederherstellung eines fruchtbaren Gesprächsklimas. Auch bin ich bereit mein Statement noch weiter anzupassen, falls nötig.

Ich hoffe wir bringen etwas zusammen. Und ich bin zuversichtlich.

Mit freundlichen Grüßen, Alexander Schiebel

* * *
Leider hatte Landesrat Schuler, über den Inhalt meines E-Mails hinausgehend, auf einer Art von „Entschuldigung" von meiner Seite bestanden. Deshalb hatte ich ihm im am 11. August 2020, nach weiteren Telefonaten, noch einmal geschrieben:

* * *

Sehr geehrter Herr Landesrat Schuler!

Ich habe jetzt darüber nachgedacht, was wir telefonisch besprochen haben. Leider habe ich nicht sehr viel mehr "anzubieten", als das was ich bereits gesagt und geschrieben habe.

Es ist ungeschickt und sehr schwierig die Vergangenheit jetzt aufzurollen. Denn jeder von uns denkt, dass der andere im Unrecht ist. Das liegt in der Natur eines Konfliktes.

  • Ich empfinde die Anzeigen als ungerechtfertigt.
  • Sie meine Aussagen.

Wenn ich jetzt auf meine Aussagen Bezug nehmen würde, egal wie intelligent oder differenziert, dann würde das so wahrgenommen werden, als ob ich der einzige wäre, der sich etwas vorzuwerfen hätte. Wenn schon, dann müssten wir beide gleich lang über vergangene Fehler oder Missverständnisse sprechen.

  • ICH darüber, dass ich missverstanden wurde. (Ich bezichtigte die Südtiroler Obstbauern tatsächlich niemals der vorsätzlichen Tötung.)
  • SIE darüber, dass es falsch war die Gerichte mit einer wissenschaftlichen bzw. politischen Frage zu befassen.

Wenn nur ich sprechen würde, entstünde ein falscher Eindruck.

Daher noch einmal: Man müsste die Vorgeschichte weitgehend ausklammern und das Positive in den Mittelpunkt rücken. Worin aber bestünde dieses Positive?

  1. Wir reden miteinander.
  2. Wir reden vernünftig miteinander.
  3. Wir brauchen dazu keine Gerichte.

PS: Sie haben erwähnt, dass Sie jenen Bauern, die Sie „vertreten", etwas „anbieten" müssen. Aus meiner Sicht könnten Sie das mit der von mir skizzierten Streitbeilegung tun - denn: Mit einer Einigung könnten sie den Image-Schaden von der Südtiroler Landwirtschaft und dem Südtiroler Tourismus abwenden, den sie durch einen Prozess heraufbeschwören würden. 

  • Denn jedesmal, wenn die Presse über die Klagen gegen mich, meinen Verleger sowie das Umweltinstitut München berichten würde, würde auch der hohe Pestizideinsatz wieder Thema in der Öffentlichkeit sein. 
  • Und man würde auch darüber diskutieren, ob es in einer Demokratie wirklich der richtige Umgang mit unliebsamen KritikerInnen ist, sie vor Gericht zu stellen.

Ich bin daher der Überzeugung, dass aus Sicht der (an den Anzeigen beteiligten) Landwirte viel gewonnen wäre, wenn es nicht zum Prozess käme. 

Mit freundlichen Grüßen, Alexander Schiebel 

* * *

Aus diesen beiden e-Mails kann man (glaube ich) ganz gut herauslesen, worum es mir damals ging und immer noch geht:

  1. Versachlichung der Diskussion. 
  2. Konstruktive Gespräch ausserhalb der Gerichte. 
  3. Das Abwenden von Schäden, die durch unnötige Eskalation entstehen.

Leider ist es anders gekommen.

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Hartmuth Staffler Di., 01.02.2022 - 21:56

Herr Schiebel hat vollkommen Recht: Bei dieser Aktion hat der Schaden bei weitem den Nutzen überwogen, und zwar der Schaden, den diese verrückte, unehrliche Aktion der angeblichen Umweltaktivisten dem mehr als berechtigten Anliegen der echten Umweltaktivisten zugefügt hat, die sich für eine Reduzierung des Pestizideinsatzes in der Obstwirtschaft einsetzen. Mit ihren unlauteren Methoden haben Schiebel und Co. alle echten Umweltschützer in ein schlechtes Licht gerückt und damit unermesslichen Schaden angerichtet.

Di., 01.02.2022 - 21:56 Permalink
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Manfred Klotz Mi., 02.02.2022 - 07:24

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Der gute Herr Schiebel macht es sich aber ein wenig zu einfach. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er von fahrlässiger Tötung duch vorsätzliches Ignorieren geschrieben hat. Die Textpassage lautet genau so: "es handelt sich eher um fahrlässige Tötung. Oder eigentlich, nein, auch dieser Begriff trifft es nicht ganz genau. Nicht fahrlässig. Vorsätzlich! Tötung durch vorsätzliches Ignorieren von Gefahren."
Wenn der gute Herr Schiebel also behauptet "Ich bezichtigte die Südtiroler Obstbauern tatsächlich niemals der vorsätzlichen Tötung", dann ist diese Behauptung unlauter und im Grunde auch falsch. Und genau wegen dieses Verhaltens ist es zu diesem sinnlosen Prozess gekommen. Zur Deeskalation hätte gereicht, wenn er diese Aussage relativiert hätte.

Mi., 02.02.2022 - 07:24 Permalink
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Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Mi., 02.02.2022 - 08:40

Ich denke es macht jetzt keinen Sinn die alten Kamellen weiter auf zu backen, viel mehr sollten wir uns als Gesellschaft ernsthaft Gedanken darüber machen wie wir die ganzen, mittlerweile unzähligen chemischen Verbindungen, prüfen bevor wir diese unkontrolliert in die Umwelt geben. Dies betrifft nicht nur die Agrarwirtschaft. Das Problem ist doch das wir immer erst richtig prüfen wenn die Chemiekalie schon über viele Jahre in die Umwelt abgegeben wurde und der Schaden bereits verursacht wurde.
Guter Artikel zum Thema leider hinter der Bezahlschranke...
https://www.zeit.de/2022/05/chemische-verschmutzung-umwelt-forschung
Zwei gen. Tatsachen aus dem Artikel sind entscheidend
"Um 1950 begann der kometenhafte Aufstieg der Menschheit. Exponentielles Wachstum, getrieben vom Wohlstand des globalen Nordens: die Weltbevölkerung, das Weltsozialprodukt"
und
"Weltweit sind mehr als 350.000 Chemikalien zugelassen. Seit 1950 hat sich die Menge der produzierten Stoffe verfünfzigfacht. Künstlich hergestellte Substanzen werden für immer mehr Zwecke eingesetzt, als Dünger oder Insektengift, als Beschichtung bei Lebensmittelverpackungen und Wandfarben oder als Weichmacher in Plastik oder Spielzeug."
Wir vergiften uns selbst

Mi., 02.02.2022 - 08:40 Permalink
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Profil für Benutzer Günther Mayr
Günther Mayr Mi., 02.02.2022 - 14:44

war ja vorherzusehen: wer profitiert vor dem "SLAPP"?
natürlich Schiebel&BÄR!
einer der ca 1370 hat ja nicht mal gewußt was das ist - bloß daß es reichte.
hinterfotziger geht es wohl nicht mehr!: erst die Scheune in Brand setzen und dann fragen wer es denn gewesen sei!
mich würde es nicht wundern, falls es die situation erlaubt, daß manch einer vom Faustrecht gebrauch macht!

Mi., 02.02.2022 - 14:44 Permalink