Kultur | Salto Weekend

Zwei Hemisphären

Zwei bescheidene Räume für elf Künstler:innen und 39 Werke oder -gruppen zeigen eine Schnittmenge in den Biographien. Geboren in Südkorea, leben nun alle in Italien.
On uncertain Grounds
Foto: Privat
Natürlich weiß man, dass eine Gruppenausstellung von ARCOI  (Artisti Coreani in Italia) einen gewissen Anziehungsfaktor durch die Herkunft der ausgestellten Künstler:innen hat und auch damit in die Ausstellungsräume nach Leifers (Weissensteinerstraße 29) lockt. Statt sich damit zu begnügen und zu hoffen, dass der eine oder andere Besucher etwas offener aus der Ausstellung geht als er gekommen ist, arrangiert Kurator Michele Fucich den linken und rechten Raum zwei dicht besetzte Hemisphären (global und anatomisch gleichermaßen als Metapher anwendbar), in welchen die Kunstwerke Signale und Interferenzen austauschen. Dem Kurator ist dabei die beachtliche Leistung gelungen, dass eine dichte und heterogene Schau weder chaotisch noch überwältigend erscheint.
 

„On uncertain Grounds“, so der Name der Gruppenausstellung von verschiedensten Werktypen und Künstler:innen, eröffnet (wenn man der Nummerieung folgt) links mit einem Raum in welchem kulturelle Erwartungen an den Wänden ein Stück weit bestätigt, gerade durch die in die Raummitte gesetzten Marmorarbeiten von Kim Jae Kyeong, Nam So Hyeon, Park Seung Wan, sowie Kim Sung Il aber wieder bricht. Ihnen steht an den Wänden linker und rechter Hand eine Werkreihe gegenüber, die sich in Materialität und Sujet, gegenüber dem auch in ihren feinsten Ausfertigungen noch wuchtig wirkenden Skulpturen stellt: Son Hyun Sooks „Nuvole“, auf Hanji-Papier (koreanische Papiertype aus der Rinde des Maulbeerbaums) überzeugen durch eine Strahlkraft der Farbe, welche in all ihren unterschiedlichen Ausprägung stets eine Leuchtkraft ausmachen lässt.
 
 
Sind Kyeongs Spiralmuscheln aus weißem Marmor und grauem Bardiglio Marmor in ihrer Konkretheit gegenüber den hauchfeine Papierschichten aufweisenden Mischtechniken greifbarer, so besteht bei den anderen Marmorarbeiten weniger Widersprüche: Sind die beiden „Onde Gande“ filigran durchlässig und ohne ersichtliches Vorbild gearbeitete Netzstrukturen und Ils Strukturen ein Aufbrechen, welches in Biologie auf Zellebene vorzudringen scheint, so ist in Wans „Coesistenza - Antinoo“, ein uns vertrautes Objekt in Auflösung: Im anderen Raum hat es mit „Coesistenza- Torso di Caddi“ seine Entsprechung. In beiden Arbeiten werden Elemente klassischer Marmorstatuen im Kleinen repliziert und mit einer zweiten Schicht andersfarbigen Steins überlagert; Vielleicht ist es ein Blick in die Psyche, vielleicht eine Studie der Form, welche in Markierungen auf der Oberfläche des Steins fortbesteht.
An der Rückwand des Raumes bietet sich in ein weiterer Kontrastpunkt in den Werken Hwang Da Sols, welche mit ihren Werken aus schwarz lackierten Möbelstücken und mit Chinatusche gestalteten Zeichnungen westlich konnotierte Elemente in ein kritisches Licht rückt - siehe „Warning“, mit angelehnten Gewehren. Die Sujets selbst zeigen - aus der lokalen Warte - in den Osten. Fehlen darf in einer Ausstellung, welche sich mit Identitäten - mehr als mit Nationalität - befasst natürlich auch ein Spiegel nicht (Sol). Unauffällige Klammer des Raumes sind zwei großformatige Arbeiten in Acryl auf Leinwand der Künstlerin Joh Gyung Hee in Sepiatönen. Die Nachtansicht „Luce del Mondo“ mit horizontaler  (Leuchtturm) und vertikaler Lichtquelle (Mond) mit Blick auf eine Bucht, sowie eine weitere, „Cammino verso la foresta“, mit Zypressen am Bildrand, erlauben dem Blick einen Moment Rast.
 
 
Der zweite, kleinere Raum ist dichter und überwältigender als der erste: Chun Mi Jin beherrscht die linke Wand mit abstrakten, abermals mit durchlässigen Schichten arbeitenden Mischtechniken auf (herkömmlichem) Papier und Leinwand, die anderen beiden Wände, nimmt Shim Nan Young in Beschlag. Letztgenannte Künstlerin ist es, welche einen beim ersten Betreten des Raumes überwältigt: Der Blick fällt zuerst, vorbei an weiteren, kleineren Marmorobjekten auf ihre in Acryl und Ölpastell gestalteten Bilder, die Comichaftes und Kindliches in einem chaotischen Blick auf westliche Kultur verbinden. Da ein Nike-Swoosh an einem Schuh und überall englische Phrasen mit einzelnen Wort-Ellipsen, die mit gewisser Selbstironie auf die Sprecherin verweisen.
Dazwischen abermals Marmor, aufgenommene Kommunikationslinien zur „anderen“ Hemisphäre: Ist der Raum als Ganzes westlicher, so findet sich hier doch auch ein Zug Fernost, in Form von Shim Eun Has Stücken „Momento Magico“ (Gelber Marmor) und „Nuvola 3“ (Carrara Marmor). Betrachten wir die beiden der archaischen Venus-Gestalt nachempfundenen Steinkörper näher, so sind ihre Gesichtszüge nicht europäisch. „Nuvola 3“ schwebt dabei, vom Sockel angehoben, mit witzreicher Leichtigkeit, welche wir von allen Seiten etwa auf Augenhöhe umschreiten und betrachten können. Auch ein weiterer Punkt aus dem anderen Raum findet hier, im Kleinen, seine Entsprechung: Zwei Marmorobjekte von Kim Eun Jin geben sich ohne Sockel mit dem Boden zufrieden. In das vordere, „Gli angeli“, ist eine Spiegelscherbe eingebettet, gleich wie beim tief gestellten Spiegel im linken Ausstellungsraum treffen wir unserem eigenen Blick dabei nicht beiläufig, sondern nur, wenn wir bewusst den Kopf drehen. Wir müssen uns schon bemühen um unserem Gegenüber zu begegnen und um einander wahrzunehmen.